Kapitel 35

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»Adrien?«

Das war das erste Wort, welches meinen Mund verließ, als ich ihn neben mir nicht sehen konnte. Er würde erst nach einer einer Stunde zur Arbeit gehen. Das wusste ich.

Warum war er dann nicht hier?

Aus der warmen Decke raus kriechend ging ich in mein Zimmer, um mir eine Strickjacke zu holen und lief dann die Treppen runter.

Verwirrt sah ich mich um. Abgesehen davon, dass Adrien nicht da war, waren weder unsere Köchin Anna noch Lucas in der Küche aufzufinden. Normalerweise wären beide hier und hätten zusammen am anderen Tisch gefrühstückt.

»Lucas? Anna?«

Ich wurde immer panischer. Ist etwa jemandem was zugestoßen?

Nach einigen Minuten konnte ich endlich Schritte hören und lief zu den Treppen, um zu sehen, wer noch da war.

Lucas hatte einige Blätter in der Hand und stieg die Treppen hoch. Als er zu mir sah, erkannte ich seinen besorgten Gesichtsausdruck. Er sah sehr müde und fertig aus.

»Lucas! Wo zum Teufel ist Adrien? Anna kann ich auch nicht finden«, fragte ich ihn dann.

Lucas legte die Kiste auf den Boden und setzte sich auf die Treppenstufen. »Mrs. Hernández, Anna ging es nicht gut... sie wollte nach Hause, also habe ich ihr den Tag frei gegeben.«

»Verstehe... und Adrien? Wo ist er? Auf der Arbeit noch ganz sicher nicht, das weiß ich.«

Ich konnte sehen, wie der alte Mann sich durch die grauen Haare strich und bedrückt auf den Boden blickte.

Irgendwas war hier los. Die Panik wurde immer größer und ich wusste nicht, wie lange ich es noch in dieser ruhigen Position aushielt. »Lucas! Antworte mir bitte. Ich mache mir Sorgen.«

»Mr. Hernández wurde mitgenommen. Von Offizieren.« Er atmete tief aus. »Ich muss Ihnen keine Lügen erzählen, Sie wissen ganz genau, was für Geschäfte hier getrieben werden. Doch diesmal ist es was anderes.«

»Was meinst du?«

»Mr. Hernández wird damit beschuldigt, den Oberkommandeur der Marine umgebracht zu haben. Doch so etwas ist nicht der Fall. Ihr Ehemann ist unschuldig.«

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Oder tun sollte. Irgendetwas musste ich ja tun, nicht wahr?

»Ich muss zu ihm, Lucas. Bitte«, flehte ich ihn schon fast an. Er sah mich bemitleidend und nickte dann.

»Sie sind seine Frau, Sie hätten also theoretisch Zugang zu seiner Zelle, falls er jetzt schon in einer ist. Kommen Sie mit mir mit.« Mit diesen Worten stiegen wir in Adriens Auto. Fred fuhr uns. Ich hatte immer noch meinen gestreiften Pyjama an, weder Zähne geputzt noch das Gesicht gewaschen, doch das war mir in dem Moment egal.

Ich wollte nur Adrien sehen. Mehr nicht.

Doch all die Fragen in meinem Kopf mussten auch endlich beantwortet werden. »Lucas, wann ist das alles passiert? Warum habt ihr mich nicht aufgeweckt? Was hat Adrien mit diesem Oberkommandeur zu tun? Haben die Offiziere Beweise? K-Kann er ins Gefängnis kommen? Ich-«

Genau in diesem Moment kullerten all die Tränen meine Wangen runter. Ich konnte nicht  anders, als meinen wirren Emotionen freien Lauf zu lassen.

»Mrs. Hernández, beruhigen Sie sich. Hier, trinken Sie Wasser, das wird Ihnen gut tun.« Lucas gab mir eine Flasche, aus der ich in kleinen Schlücken das Wasser zu mir nahm. »Es ist vor eineinhalb Stunden passiert. Sie haben noch geschlafen, er wollte Sie nicht aufwecken, als es geklingelt hat. Mr. Hernández ist dann mit den Offizieren mitgegangen, ohne zu widersprechen. Unser Anwalt war auch gar nicht da, deshalb hatten wir keine andere Option. Anna ging es nicht gut, da die Männer mit ihren Waffen sie sehr überfordert haben. Wie Sie wissen ist sie ein recht emotionaler Mensch. Und ich bin geblieben, damit Sie nicht alleine bleiben mussten.«

Lucas machte kurz eine Pause. Er sah auch überfordert aus, versuchte aber so gut es ging dies nicht anmerken zu lassen.

»Ob es Beweise gibt oder nicht, das weiß ich leider nicht. Doch solch ein Haftbefehl kommt nicht einfach so aus dem Nichts. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat man an den originalen Beweisen etwas bearbeitet, damit man diese gegen Mr. Hernández nutzen kann. Er selbst ist zwar nicht gut mit dem Oberkommandeur, doch das hat mit einer Situation von vor fünf Jahren zu tun. Ob er ins Gefängnis kommen könnte... das kann ich Ihnen leider nicht sagen, denn ich weiß es selber nicht.«

Ich nickte und versuchte all die Informationen so schnell es ging zu verarbeiten. Mein Heulkrampf hörte nicht auf und ich konnte erkennen, wie schwer sich Lucas tat, nicht in Tränen auszubrechen. Er hatte eine sehr weiche Seite, wenn es um Adrien ging. Wie den eigenen Sohn behandelte er ihn immer.

»Lucas, wir müssen was dagegen tun. Wir-«

Er unterbrach mich. »Machen Sie sich keine Sorgen, Mrs. Hernández. Unsere Männer tun gerade alles, um die Unschuld Ihres Ehemannes zu beweisen. Sie müssen für ihn da sein, denn das braucht er jetzt am meisten.«

Als wir ankamen, stiegen Lucas und ich aus dem Auto. Fred, der über die ganze Fahrt hinweg still, aber dennoch bedrückt war, blieb drinnen sitzen, während wir das riesige Polizeigebäude betraten.

»Wir würden gerne Adrien Hernández sehen, er müsste gerade jetzt mit seinem Anwalt sprechen«, sprach Lucas zur Dame an der Theke. Diese nickte und erklärte uns, wohin wir gehen mussten.

Einige Minuten später waren wir auch schon vor dem Zimmer. Wir betraten dieses und konnten Adrien auf der einen Seite sehen, den Anwalt auf der anderen. Hinten saßen zwei weitere Polizisten, die das ganze Geschehen beobachteten.

Als ich Handschelle an Adriens Handgelenk erkannte, die mit dem anderen Ende an seinem Stuhl befestigt war, brach mein Herz in tausend Teile.

Er sah in meine Richtung und sein sonst so harter, undurchschaubarer Blick wurde für mich wieder weicher.

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AuroraWhere stories live. Discover now