Kapitel 9

1.6K 52 6
                                    

Seufzend sah ich mir das Brautkleid an, welches die Ladenbesitzerin enthusiastisch hochhob.

»Das sieht doch toll aus! Findest du nicht, mein Schatz?«, voller Begeisterung drehte sich meine Mutter um das Kleid herum und lächelte mich warm an. Mir war klar, dass ihr diese Situation genauso wenig gefiel wie mir, doch im Gegensatz zur zukünftigen Braut machte sie einen recht fröhlichen Anblick.

Aber ich konnte sie verstehen, ihre einzige Tochter war nun mal ich und heiraten tat ich auch nicht alle zwei Monate. Da freute man sich schon etwas, egal wie verrückt diese Situation doch war.

Ein kleiner Teil in mir wünschte sich natürlich, dass ich die Liebe meines Lebens heiraten und eine wundervolle Zukunft haben würde. Doch wir waren hier nicht im Land der Märchen. Bei solchen Gedanken kam schon wieder die eiskalte Hand der Realität und brachte mich in die eigentliche Welt zurück.

»Hübsch ist es, ja. Ich glaube das hier würde passen«, meine Stimme wirkte recht monoton, was für einen verwirrten Gesichtsausdruck der Ladenbesitzerin sorgte, doch dieser verschwand auch so schnell wie er kam und schon hatte sie wieder dieses übertriebene Grinsen auf dem Gesicht.

Verständlich, einerseits musste sie die Kunden glücklich machen, andererseits tat sie genau das, was alle Menschen in solch einem Falle machen würden: das Ganze erstmal hinterfragen. Ich wirkte nämlich nicht wie jemand, der scharf aufs Heiraten war.

Und das war hier das Problem.

»Sie wirken sehr müde, das... das passiert vielen hier so, der ganze Hochzeitsstress belastet Sie wahrscheinlich«, was du nicht sagst.

Mit einem kleinen Nicken vergewisserte ich ihr, dass alles in Ordnung war.

War es zwar kein bisschen, aber dies war der einfachste Weg, um unangenehmen Fragen die Tür zu zeigen.

Der Blick meiner Mutter wechselte von glücklich zu traurig, schneller als ich blinzeln konnte. Dies war wahrscheinlich wieder der Moment, in dem ihr klar wurde, dass ihre Tochter nicht aus Liebe sondern aus Zwang heiraten musste.

Welche normale Mutter würde sowas denn wollen? Genau, keine. Wobei, komische Leute gibt es überall. Ich wusste, was für ein Bild Adrien und seine Familie der Außenwelt vor die Füße legten. Elitäre Leute, die einen unzerstörbaren Ruf hatten.

Nur wenige wussten, wer diese Leute eigentlich war. Und so sehr mich das Schicksal wohl hasste, gehörte ich leider auch zu diesen wenigen Leuten.

Schlimmer als das konnte es nicht gehen? Mir Trottel fiel es die ganze Zeit nicht mal auf, obwohl meine liebe Familie dieses Spielchen schon von Anfang an spielte.

»Aurora, wir haben alles«, mit einem kleinen Stupsen an meinem Ellenbogen zog sie mich aus meinen Gedanken hinaus und zeigte zum Ausgang. Ich nickte nur stumm und folgte ihr einfach.

Wie lange war ich bitte in Gedanken versunken? Und warum zum Teufel dauerte der Kauf so kurz?

Mit einem leichten Schütteln meines Kopfes fokussierte ich mich wieder auf meine Umgebung. In letzter Zeit passierte dies mir zu sehr, ich sollte damit aufhören, bevor andere nachfragen. Am wenigsten hätte ich Lust auf Fragen wie »Bedrückt dich etwa etwas?«.

Ich meine ja, tut es, aber dir zu erzählen, dass meine Familie genauso wie der Mann, den ich heiraten musste, Mafiosi waren, wäre recht problematisch.

Doch gleichzeitig auch ein guter Weg, um Menschen zu verscheuchen.

Ha ha.

Was zum Teufel erzählte ich hier eigentlich für einen Schwachsinn...

»Triffst du dich heute eigentlich mit ihm?«, fragte mich meine Mutter auf einmal vom Beifahrersitz, ohne mich anzuschauen. Mir fiel auf, dass sie noch nie seinen Namen in den Mund nahm. Doch ich konnte es irgendwie nachvollziehen, nach all dem, was in der Vergangenheit passierte, würde ich kein enges Verhältnis zwischen beiden Familien erwarten.

Und das, obwohl ich mit dem Sohn heiraten musste. Wie absurd das alles eigentlich klang.

»Heute nicht, warum?«, stellte ich ihr eine Gegenfrage. Diesmal drehte sie sich zu mir um. Ihre Augen versprühten Wärme, was ich schon immer beeindruckend fand. Meine ähnelten Eisklötzen.

»Ich weiß, dass es dir auch schwerfällt, doch ich will einfach nur das Beste für dich«, diesmal sammelten sich einige Tränen in ihren Augen, sodass sie glasig wurden. Oh nein, mit weinenden Leuten konnte ich sehr schlecht umgehen. Zeigt, wie emphatisch ich nur war.

Behutsam legte ich meine Hand auf ihre und lächelte sie schwach an. »Mach dir keine Sorgen, Mom. Wir werden das alles schon irgendwie hinbekommen.«

Ob ich mir selber glaubte?

Kein bisschen.

Aber so wenigstens wusste ich, dass andere wegen mir weniger leiden mussten. Vor allem wenn diese anderen Leute waren, die mir etwas bedeuteten.

»Freut mich, dass du mit dieser Situation so erwachsen umgehen kannst. Es ist... Wir wollen dich einfach nur glücklich sehen.«

Indem ich einen mir komplett fremden Mann heiratete, dessen Hauptjob wahrscheinlich aus Drogen und Waffen bestand? Doch das sagte ich ihr nicht ins Gesicht, einmal, weil ich sie dadurch noch deprimierter machen würde und auch, weil es für sie wie ein doppelter Schlag ins Gesicht wäre. Wir beide wussten nämlich ganz genau, wie unsere Familie ihr Geld verdiente.

Mit einem leichten Nicken drehte sie sich zurück. Die ganze Fahrt über sagte niemand mehr was. Es dauerte nicht mehr lange, bis ich heiraten würde und bis jetzt sah ich meinen zukünftigen Ehemann nur einma-

Oh warte, machten wir daraus gleich zwei. Den Typen traf ich ja schon bevor ich von all dem wusste. Falls das genau das war, was Leute Schicksal nannten, dann könnte dieses Schicksal all ihre sieben Sachen packen uns aus meinem Leben so schnellst wie möglich verschwinden.

•    •    •    •    •   ✍︎    •    •    •    •    •

AuroraWhere stories live. Discover now