Kapitel 12

1.5K 49 6
                                    

»Steig in das Auto. Jetzt.«

»Du hast mir immer noch nicht gesagt, wohin wir gehen«, sprach ich zu ihm, doch er ignorierte mich. Nicht mit mir, Freundchen. »Hey!«

Mit meiner linken Hand hielt ich ihm am Oberarm fest und drehte ihn zu mir. Fragend blickte er zu erst meine Hand, dann mich an. Seine Augen hatten mal wieder diesen kalten Blick in ihnen, der mich jeden Tag aufs Neue ungewollter fühlen ließ.

»Was genau soll das werden?«

Seufzend wiederholte ich meine Frage noch einmal. »Wohin gehen wir, Adrien?«

»Zu einer Gala. Die Leute fangen schon mit Gerüchten über dich an. Also wird es Zeit, dass du dich der Welt endlich zeigst«, mit einem Male riss er seinen Arm aus meinem Griff und stieg in das Auto ein. Ich tat es ihm gleich.

Nun machte es mehr Sinn, warum er mir einige Stunden früher sagte, ich solle mich schicker anziehen. Das dunkelblaue, enganliegende Kleid passte glücklicherweise zu solch einem Anlass. Mein Blick glitt zu meinem Ehemann. Obwohl Adrien fast jeden Tag einen schwarzen Rollkragenpullover trug, hatte er diesmal ein Hemd an. Die beiden Knöpfe oben waren offen, was unüblich für ihn war. Normalerweise trug er seine Hemden immer mit einer passenden Krawatte. Ich wunderte mich für einen kurzen Moment, warum solche kleinen Unterschiede mir überhaupt auffielen.

Mit einem lautlosen Seufzen lehnte ich mich zurück. Wäre es so schwer gewesen, mir zu sagen, wohin wir gingen? Konnten wir uns nicht wenigstens ein kleines bisschen wie zusammenlebende Menschen verhalten?

Verheiratet zu sein stellte ich mir nie als etwas komplett perfektes vor.

Jeder hatte seine Makel. Seien es Kommunikationsprobleme, Misstrauen oder Eifersucht. Dinge, die bei einer zu hohen Dosis die Ehe sogar zerstören konnten.

Doch wie wirkte sich sowas auf Menschen wie uns aus? Adrien und ich, wir waren zwei Fremde, die allen etwas vorspielten. Feststeckend in einem Spiel, in dem wir nur zwei unwichtige Züge waren.

»Hättest du Lust, zusammen Abend zu essen?«, platzte es aus mir heraus. Warum? Keine Ahnung. Aber für die nächsten 12 Monate musste ich mit diesem Eisbrocken klar kommen.

Sich kennenlernen. Sich verstehen. Sich akzeptieren.

Der einzige Weg zu einer recht gesunden Fake-Ehe.

»Warum?«, seine Stimme war tief. Nicht zu tief. Irgendwie passte sie zu ihm. Ich könnte mir den Typen nicht mit einer hohen Stimme vorstellen. Alles an Adrien hatte dieses düstere Etwas.

»Einfach so. Wir sollten uns kennenlernen.«

»Was, wenn ich dich nicht kennenlernen möchte?«

Autsch. Das tat weh.

Aber nicht runterkriegen lassen.

»Wir werden ein ganzes Jahr lang zusammen leben. Mehr als 300 Tage uns zu Gesicht bekommen. Findest du nicht auch, dass man sich da schon etwas mehr verstehen sollte?«, stellte ich ihm eine Gegenfrage. Er hielt das Auto an der Straßenseite an und schaute aus dem Fenster.

»Nein. Wir sind Fremde, die sich hassen sollten. Jeden Moment könnte ich dich umbringen, ist dir das überhaupt bewusst? Unsere Ehe hat weder Sinn noch Zweck. Das alles hier,« mit dem Finger zeigte er zuerst mich, dann sich selbst. »ist das Ergebnis eines verdammten Fehlers.«

Ich konnte ihn irgendwie verstehen. Mal abgesehen davon, dass er mich jeden Moment töten konnte.

Oder ich versuchte mich einfach nur zu beruhigen. Man wusste es nicht.

»Hält uns trotzdem nicht davon ab, Freunde werden zu können«, versuchte ich es noch einmal.

Und dann lachte er. Er lachte einfach.

Aber es war kein nettes Lachen. Eher hörte er sich an wie ein Psychopath, der mir keine fünf Minuten später die Kehle aufschlitzen würde.

»Irgendwie traurig, dass du es immer noch nicht geschafft hast, aus deiner elitären Traumwelt herauszukommen. Das reale Leben besteht nicht aus Zuckerwatte, Mädchen.«

Diesmal war ich es, die verachtend auflachte.

»Zuckerwatte? Hast du überhaupt eine Ahnung, wer ich bin? Was für ein Leben ich bevor diesem illegalen Blödsinn führte?«, Wut baute sich in mir auf. Nichts mehr hasste ich als Menschen, die dachten, sie würden den anderen wirklich kennen. »Meine Adoptiveltern waren komplette Psychos, die auf jeden Fall eine große Portion Therapie brauchten. Oder besser gesagt alle in meiner Umgebung, denn keiner von denen war normal. Du denkst dir wohl, unser Leben bestände aus einer oberflächlichen Fassade, nicht wahr? Tja, falsch geraten.«

Für einen Moment blieben wir beide still. Leider hatte ich keinen blassen Schimmer, was in ihm vorging. Er könnte sich sogar von Anfang bis Ende lustig gemacht haben, doch seine Gesichtszüge verrieten mir gar nichts. Emotionslos blickte er wieder aus dem Fenster.

»Wie würdest du dich fühlen, wenn deine verdammte Mutter wöchentlich ihre Affäre mit nach Hause brachte? Dich im Schrank versteckte und mit ihm Dinge tat, die kein kleines Kind zu Gesicht bekommen sollte... Während mein Vater jahrelang Geschäfte mit deiner Familie machte, hintergang meine Mutter ihn mit deinem verfickten Onkel!«, seine Stimme bebte. Sie hob sich kein bisschen, doch trotzdem fühlte ich mich ihm unterlegen. 

»Du tust so, als wäre ich daran Schuld«, war das einzige, was ich rausbrachte. Im Gegensatz zu seiner Stimme war meine nicht mehr so stabil. Eher war sie wie das witternde Wetter um uns herum, welches uns mal hier mal da einige Blitze schenkte.

»Tue ich nicht. Ich versuche dir einfach zu zeigen, welches Blut du in dir trägst.« Diesmal starrten seine dunklen Augen direkt in meine. »Wir können keine Freunde werden, Aurora.«

»Wir könnten... Würdest du endlich aufhören, mich in eine Schublade zu stecken, in der ich nicht rein gehöre.« Und das war das Ende unseres Gesprächs. Er sagte nämlich nichts mehr dazu, sondern startete den Motor wieder. Was anfangs ein harmloses Kennenlernen sein sollte, riss am Ende veraltete Wunden auf.

Vielleicht waren wir einfach nicht dazu bestimmt, uns zu verstehen. So lange Adrien diesen Hass auf mich übertrug, konnten wir diese 12 Monate nur als Fremde bewältigen.

Nicht mehr und nicht weniger.

•    •    •    •    •   ✍︎    •    •    •    •    •

AuroraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt