Kapitel 30

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Adrien

Ich hasste mich. 

Nichts auf dieser Welt hasste ich mehr als mein verdammtes, ekelhaftes Ich.

Adrien Hernández.
Kalt. Emotionslos. Unberechenbar.

So beschrieb man mich. So kannte man mich. So war ich. Ich hatte einfach nicht das Recht, weder glücklich zu sein noch geliebt zu werden. Niemals hätte ich gedacht, dass es noch genug Platz gab für zwei für mich schon komplett verstorbene Dinge.

Bis sie dann kam. Sie war dieses kleine Funken Hoffnung, welches mich noch am Leben hielt. Dank ihr konnte ich spüren, was es überhaupt hieß zu atmen.

Und jetzt wurde mir das Licht in meinem sonst so düsteren Leben weggenommen.

Nicht mehr lange dauerte es. Denn in kürzester Zeit würde ich das wahre Monster, welches sich versteckt hielt, rauslassen. Sie würde mich hassen, das wusste ich.

Doch ich hatte keine andere Wahl mehr. Aurora war zu rein für meine Welt, zu unschuldig für all meine Taten.

Ich schuldete ihr das. Ein Herzbruch später würde für sie das Leben weitergehen, während meins das zweite Mal aufgab. Diesmal aber für immer und ewig.

Es gab nämlich kein Zurück mehr.

»Guten Morgen«, hörte ich ihre Stimme. Ich schloss meine Augen und nahm tief Luft. Genau jetzt durfte ich auf keinen Fall die Kontrolle verlieren.

Die Angst, mit ihr zu reden und mich dabei zu verlieren, war zu groß. Also antwortete ich nicht. Ich ignorierte sie und versuchte so schnell es ging diesen verdammten Mut zu sammeln, der dringend gebraucht wurde.

»Hm. Noch sehr müde? Nicht einmal antworten kannst du.«

Ich musste es tun. Und zwar jetzt. Denn je länger sie sprach, desto schneller verlor ich die Kontrolle über meinen Körper, meinen Sinnen und meinen Gefühlen.

»Nein, ich bin nicht müde.«

Ich konnte mir gerade gut vorstellen, wie sie ihre dunklen Augenbrauen zusammenzog und mich verwirrt anschaute. In ihren wunderschönen Augen sich Fragezeichen bildeten und ihre Zunge über die vollen Lippen fuhr.

Doch war ich zu feige, um ihr überhaupt ins Gesicht zu schauen. Ich sah auf die Wand oben, mit der Hoffnung, die Situation einfacher zu machen.

Doch ihr Dasein neben mir reichte schon aus, alles in mir aus dem Ruder zu bringen.

»Was ist los mit dir?« Dieses Zerbrechliche in ihrer Stimme. Es würde mich womöglich bis an das Ende meiner Tage verfolgen. Gut so. Was Besseres habe ich auch nicht verdient.

Ein weiterer Atemzug, der meine Lungen nicht erreichte. »Wir machen vieles falsch, Aurora. Sehr vieles sogar.«

Noch nie hatte sich etwas richtiger angefühlt.

»Ich kann einfach nicht vergessen, wer du eigentlich bist. Mit wem du verwandt bist. Jedes Mal, wenn ich dir ins Gesicht blicke, habe ich nur das im Kopf.«

Falsch. Ihr verfickter Onkel war schon länger nicht mehr relevant. Denn das einzige, was ich sah, wenn ich in ihr Gesicht blickte, war ein einziges Wort:

Mein.

»W-Was?«

Für jede einzelne Träne versprach ich ihr, die Welt in Grund und Boden zu reißen. Mal schauen, wie ich mich diesmal bestrafen würde.

»Du hast mich richtig gehört.« Ich stand auf, mit dem Rücken zu ihr gedreht, ihre atemberaubende Reflexion am Fenster beobachtend. So würde es nämlich ab sofort weitergehen.

»Adrien, was ist los? Was... Was hat sich seit gestern Nacht geändert? Wieso verhältst du dich wieder wie früher?« Sie schluchzte auf. Aurora schluchzte wegen mir auf. Du verdammtes Arschloch.

Der Schmerz in meiner Brust war nicht mehr zu ertragen. Ich hielt es nicht mehr lange aus.

Mein dritter Atemzug, der seine Folgen haben würde. »Du hast mich gehört. Wir sind an den Vertrag gebunden. Und Grenzen sind genau dafür da.«

Aurora richtete sich nun auf. Mit dem Ärmel ihres Pullovers strich sie sich über das Gesicht.

Sie weinte. Wegen mir.

Ich hätte ihr den Schmerz ersparen können. Mit ihr den Morgen genießen, sie in meinen Armen halten können.

Doch früher oder später wäre die Beziehung zwischen uns zu kompliziert. Und auch zu gefährlich.

Nur so konnte ich sie beschützen. Indem sie weit weg von mir war und nun eine neue, frische und saubere Seite in ihrem Lebensbuch öffnen konnte.

Eine Seite ohne mich.

»Na gut, wenn du es so willst. Aber ich werde dir nie verzeihen! Ich habe dir mein Herz geöffnet und du hast es in tausende Teile zerstückelt. Ich habe dir meinen Kuss gegeben, du hast ihn wie wie Müll in die Tonne geworfen. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich wirklich glücklich. Aber wie du willst. Ab sofort geht es weiter wie davor...«

Ihre Stimme wurde schwächer, blieb aber noch stark genug, um mich so gut es ging zu zerstören. Ich war stolz auf meine Frau. Genau so musste sie sein.

Sich mit einem schwarzen Schicksal wie meinem nicht einlassen. Das Leben in vollen Zügen genießen, ohne in Angst und Schmerz leben zu müssen.

»Das alles, was du mir gestern gesagt... nichts von dem war wahr, stimmt's? Niemand sagt sowas eine Nacht zuvor und verhält sich dann so am nächsten«, konfrontierte sie mich. Ich schloss für einen kurzen Moment die Augen und kalkulierte eine Antwort, die der Wahrheit nicht im Geringsten entsprach. 

»Worte müssen wohl eine große Rolle für dich spielen, Aurora. Doch für mich haben sie keine Bedeutung. Genauso wie du habe ich mich in diesem kurzen Moment verloren, doch auch früh genug realisiert, dass es falsch war. Bei dir wird es genauso sein.« Lüge.

Alles war gelogen. Jedes einzelne Wort, jeder einzelne Buchstabe sind in meinem Herzen eingraviert. Für sie. Nur  für sie.

Meine Seele wurde nur durch sie wieder zurück ins Leben gerufen. Mein Herz fing wieder an zu schlagen und meine Lippen lernten erneut die Fähigkeit zu lächeln.

Aurora stand auch auf. Ohne ein weiteres Wort zu sagen verließ sie mein Zimmer und ging nach unten.

Ihre Schritte wurden immer leiser und leiser. Und mit jedem einzelnen realisierte ich eigentlich, was gerade passierte.

Genau in diesem Moment bröckelte alles in mir. Mit voller Wucht schlug ich die Lampe auf der Kommode nieder. Dann litt der Spiegel unter mir, genauso wie meine Faust. Am Ende passte das Zimmer perfekt zu meinem Zustand.

Aufgewühlt, zerstört, verloren.

Ich hatte sie verloren. Diesmal für immer.

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AuroraWhere stories live. Discover now