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Im Wohnzimmer schnappte ich mir Claire und Carter und führte sie mit extra lauter Stimme in Richtung Küche. Auf dem Weg trafen wir Cathy und Kevin, die sich stark darum bemühten, eine Unterhaltung vorzutäuschen. Cathys blasses Gesicht war tiefrot angelaufen und ich warf ihr einen bedeutungsschwangeren Blick zu. In der Küche packten wir den Kuchen, den Claire mitgebracht hatte, auf eine Servierplatte und in der Schublade, aus der ich vorhin noch das Kartenspiel gezaubert hatte, fand ich einige Geburtstagskerzen. 

Um Punkt zwölf stiefelten wir mit brennenden Kerzen auf dem Kuchen und singend ins Wohnzimmer, wo uns ein grinsender Dale empfing. Die anderen stimmten auch mit ein und mit einem kräftigen Pusten blies Dale die Kerzen aus. Nacheinander umarmten wir das Geburtstagskind.

„Happy Birthday", sagte ich, als ich dran war, und legte meine Arme um ihn.

Dale schlang seine um meine Taille und drückte mich fest an sich.

„Danke, Tillie", murmelte er in meine Haare.

Lächelnd schloss ich die Augen und strich ihm über den Rücken.

Claires Kuchen schmeckte göttlich. Während alle mit Kuchen und Anstoßen beschäftigt waren, verschwand ich mit Cathy auf die Treppe und ließ mir erklären, was gerade mit Kevin ging. Sie kam gar nicht raus aus dem Kichern.

„Ohh, Tillie, er ist so heiß und küssen kann er auch noch!", verkündete sie und schüttelte ungläubig den Kopf. „Wenn er schon gut küssen kann, was meinst du, wird er im Bett draufhaben!"

Ich war immer wieder erstaunt über Cathy. So wie sie redete, müsste man eigentlich meinen, sie hätte schon eine Menge Erfahrung gesammelt, was Jungs und Sex anging.

„Wir haben Nummern ausgetauscht und wollen nächste Woche zusammen einen Film im Kino schauen. Oder zuhause. Mal sehen."

„Cathy, du planst doch nicht ernsthaft, direkt mit ihm zu schlafen, oder?", fragte ich erstaunt.

„Warum denn nicht?", gab sie zurück. „Worauf soll ich denn bitte warten? Dass wir uns verlieben oder so ein Blödsinn?"

Ich zuckte mit den Achseln.

„Nee, du", sagte Cathy, „Du bist die Romantikerin von uns beiden, ich brauche sowas nicht. Was soll es mir jetzt auch noch bringen, auf eine Beziehung zu hoffen? Wir sind bald mit der Schule durch und dann ziehe ich weg zum Studieren, da brauche ich keinen Freund in der High School. Oder wir daten eine Weile und trennen uns und ich bin immer noch Jungfrau, wenn ich aufs College gehe!" Selbstsicher nickte sie. „Worauf soll ich warten, wenn ich genau weiß, was ich will? Jetzt ist jetzt, Tillie. Und mein Jetzt werde ich nutzen."

„Und mit ‚Jetzt' meinst du Kevin?", fragte ich argwöhnisch.

Cathy grinste. „Oh, glaub mir, er wird auch etwas davon haben!" Sie zwinkerte mir zu und bewegte sich dann in Richtung der Gästetoilette.

Seufzend machte ich mich auf den Weg zurück ins Wohnzimmer. Als ich gerade in die Diele trat, hörte ich Carter und Dale vor der Wohnzimmertür miteinander diskutieren.

„Wie wär's, wenn du einfach mal etwas Respekt zeigen würdest? Egal, was sie anhat, hör auf, andauernd von ihr zu reden, als wäre sie ein scheiß Sexobjekt", zischte Dale drohend.

„Was laberst du da, das mache ich überhaupt nicht! Ich finde sie halt heiß, was ist dein Problem?", gab Carter genervt zurück.

„Du bist mein scheiß Problem. Du solltest dich lieber von ihr fernhal-..."

Dale und Carter bemerkten mich zur selben Zeit. Beide sahen mich ziemlich erschrocken an, was mir klarmachte, über wen sie gerade gesprochen hatten. Ich machte auf dem Absatz kehrt und bewegte mich in die Küche, wo ich mir einen unbenutzten Becher nahm und ihn mit Leitungswasser füllte. Hinter mir hörte ich Schritte, die mir in die Küche folgten und die Küchentür wurde geschlossen.

„Tillie", sagte Dale.

Ich stellte meinen Becher neben die Spüle und drehte mich zu ihm um. Besorgt sah er mich an.

„Tillie, ich..."

„Was sollte das schon wieder?", unterbrach ich ihn. „Was hast du für ein Problem, Dale? Warum meinst du dich bitte so krankhaft um meine Sicherheit bemühen zu müssen? Was meinst du denn, würde Carter mir antun wollen?"

Dale schnaubte. „Oh, ich hab schon einiges davon mitbekommen, was Carter so mit Mädchen treibt..."

„Und das gibt dir das Recht, ihm vorzuschreiben, was er mit mir macht? Willst du mir vielleicht auch Vorschriften darüber machen, mit wem ich etwas zu tun haben darf und mit wem nicht?", rief ich.

„Natürlich nicht!", entgegnete Dale und hob abwehrend die Hände. „Ich..."

„Warum ist es jetzt plötzlich zu deiner Lebensaufgabe geworden, mein Leben zu kontrollieren?"

Dale raufte sich die Haare. „Tillie, nein..."

Ich entscheide, was ich tue und lasse! Und auch, was ich mit Carter mache! Was zum Teufel ist los mit dir? Glaubst du, weil wir hier jetzt zusammenleben", rief ich aufgebracht und gestikulierte wie wild mit den Armen, „sind wir jetzt... Familie und darum musst du mich vor jeglichem Unheil beschützen, oder was?"

„Tillie, hör auf!", rief Dale und sah mich wütend an. „Du weißt ganz genau, dass das nicht der Grund ist!" Er ließ die Arme sinken. „Wir wissen beide, was der Grund ist."

Ich verstummte. Dales verzerrte Gesichtszüge lockerten sich allmählig, bis er mich mit großen, nach Bestätigung suchenden Augen ansah. Langsam kam er auf mich zu.

Mein Herz verfiel in einen immer schnelleren Rhythmus, umso näher er kam und ich krallte mich an der Arbeitsplatte fest, da ich plötzlich das Gefühl hatte, nicht mehr stehen zu können. Wie in Zeitlupe bewegte Dale sich auf mich zu und sah mir mit Nachdruck in die Augen, als er Zentimeter von mir entfernt zum Halt kam. 

Eine Millionen Gedanken schwirrten mir im Kopf herum, am lautesten der, den ich immer wieder unterdrückt hatte. Der, der diesen Moment schon seit einer ganzen Weile herbeigesehnt hatte. Doch auch der andere Gedanke, der mit dem ersten immer miteinherging, erschien und wurde immer mächtiger. Mom und John.

Dales Blick wanderte zu meinen Lippen und er beugte sich zu mir herab.

Ich senkte den Blick. „Nein", flüsterte ich, „nicht."

Dale verharrte in der Bewegung und hatte dann im nächsten Augenblick einen kleinen Abstand zwischen uns gebracht. Überraschung, Verwirrung und eine Spur Verletzlichkeit waren in seinem Blick zu lesen.

„Tut mir leid...", murmelte ich. Ich zögerte noch kurz, dann huschte ich an ihm vorbei aus der Küche. 

BestzeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt