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Zum Abendessen war ich wieder zuhause und begrüßte es sehr, dass Dale mir keine große Aufmerksamkeit schenkte. Nach dem Essen trugen er und John den Regalanbau in mein Zimmer und verschraubten ihn mit den restlichen Teilen, während Mom und ich zusahen. Dales Konstruktion passte perfekt. John kommentierte auch den angemalten Teil, sah darin aber nur ein wenig Farbe und nicht das, was es wirklich bedeutete.

Für die zwei Bücherstapel, die vor dem Regal gelagert hatten, gab es nun endlich Platz. Dale half mir die Bücher einzuräumen und während er mir die Bücher reichte, mussten Mom und John gegangen sein, denn plötzlich waren wir allein. Nervös ließ ich meinen Blick durchs Zimmer wandern und dann über das Regal tanzen. Im Augenwinkel nahm ich wahr, wie Dale anfing zu grinsen.

„Keine Sorge, ich fang nicht wieder davon an", sagte er leise. „Ich finde es aber trotzdem ganz süß, dass meine bloße Anwesenheit dich so aus dem Konzept bringt."

Ich spürte die Wärme in meine Wangen steigen. „Ähm, nein Dale. Bild dir bloß nichts ein."

„Mhm", machte Dale und trat ziemlich nah an mich heran, während er einige Bücher in das Regal räumte.

Ich schluckte, als er schmunzelnd zu mir heruntersah und beschäftigte mich schnell mit den Büchern. Dale stellte die letzten zwei Bücher auf das oberste Brett und trat dann noch näher, sodass ich mich zu ihm umdrehen musste, da er sonst in meine Schulter gelaufen wäre. Er beugte sich ein wenig nach vorne, doch in Richtung meines Ohres, nicht meiner Lippen.

„Gute Nacht", flüsterte er.

Mein Atem ging stockend und fast hätte es mich mit ihm gerissen, als er sich wieder gerade machte, mich noch einmal blöd angrinste und dann aus dem Zimmer ging.

„Gute Nacht", murmelte ich.

In den nächsten Tagen lenkte ich mich mit dem Gedanken an Thanksgiving und das Wochenende bei meinen Großeltern ab, anstatt mich Dales jämmerlichen Versuchen mich verrückt zu machen, hinzugeben. Was nicht besonders einfach war. 

Im Englischkurs grinste er mich mit wackelnden Augenbrauen an, während er zu seinem Platz schlenderte und beim Training erwischte er mich dabei, wie ich ihn anstarrte, und spannte ganz zufällig seinen Bizeps an. Ich ignorierte ihn einfach, soweit es ging, doch als ich am Mittwochabend einen Kuchen backte, während Mom und John Einkäufe erledigten, tänzelte Dale permanent um mich herum, sodass ich langsam genervt war.

„Lass es gut sein, Dale", zischte ich, während er über meine Schulter griff und eine Pekannuss stibitzte.

Ich ersetzte die Nuss auf dem Kuchen und schob ihn dann in den Ofen. Aufgebracht wandte ich mich dann Dale zu, der grinsend seinen Blick über mich wandern ließ.

„Es wird nichts zwischen uns passieren, okay? Bitte akzeptier das einfach."

Dale legte den Kopf schräg. „Hat es dir so wenig gefallen? Ich fand es eigentlich ganz nett. Du kannst gut küssen." Seit Grinsen wurde noch breiter, als ich rot anlief. Dann lachte er auf. „Vielleicht war Max Jensen ja doch zu was gut! Oder du bist einfach ein Naturtalent."

Ich wäre am liebsten vor Scham im Erdboden verschwunden. Stattdessen machte mir mein Erinnerungsvermögen klar, dass Dale auch verdammt gut küsste und Max das nicht mal annähernd so gut konnte. Ich drehte mich weg und nahm mir auch eine Nuss, damit ich nicht meinem Verlangen nachging, Dale zum Schweigen zu bringen, indem ich meinen Mund auf seinen presste und war heilfroh, als Mom und John kurze Zeit später nach Hause kamen.

***

Mom und ich fuhren über Thanksgiving zu ihren Eltern, die in einem kleinen Ort am Eriesee lebten. Dale und John verbrachten den Tag bei Dales Tante in der Stadt. Ich konnte Mom davon überzeugen, auch das Wochenende über bei Grandma und Grandpa zu bleiben, da ich unbedingt den Kopf frei kriegen musste.

Ab Montag würden wir hart für die Regionalmeisterschaft trainieren müssen, wenn wir eine Chance auf die Staatsmeisterschaft haben wollten. Coach Nick bot uns ab kommender Woche die Möglichkeit, auch morgens vor der Schule zu trainieren, was Dale auf alle Fälle in Anspruch nehmen würde. Wollte ich zur Schule gefahren werden, musste ich da wohl oder übel auch mitspielen. Aber ich wollte natürlich auch mein Bestes geben. Ich hatte ja immer noch die Chance auf eine Sport-Förderung fürs College, darauf wollte ich nicht verzichten.

Aber erstmal ließ ich es mir über das Thanksgiving-Wochenende gutgehen. Grandma hatte groß gekocht und ließ uns kaum die Möglichkeit, noch etwas mitzuhelfen, als wir am Donnerstagvormittag in Westfield ankamen. Dafür kam mein Kuchen besonders gut an. Die Luft am Wasser war besonders frisch Ende November, aber die Sonne schien und die Spaziergänge am Wasser entlang mit dem bunten Laub auf den Wegen taten die nächsten Tage nach dem vielen Essen an Thanksgiving sehr gut.

Mit einem halbwegs klaren Kopf kamen wir am Sonntagabend wieder zuhause an, wo John bereits das Abendessen zubereitet hatte. Dale war seine nervtötende Art wohl auch über den Kopf gewachsen, denn er lächelte mich bei der Begrüßung nur an und behandelte mich danach ziemlich neutral. Kaputt, aber auch durchweg entspannt legte ich mich später am Abend ins Bett und schlief schnell ein.

***

„Tillie!", raunte mir jemand zu und rüttelte sanft an meiner Schulter.

Benommen öffnete ich ein Auge. Vor meinem Bett hockte Dale, der mich blöd angrinste.

„In einer halben Stunde fahren wir. Auf auf!"

Ich stöhnte und rieb mir die Augen. Dummerweise hatte ich vergessen, meinen Wecker umzustellen. Widerwillig stand ich auf und schnappte mir einen Pulli vom Boden, den ich schnell überzog.

Dale ging mir voraus hinunter in die Küche, wo seine Müslischale bereits verzehrbereit stand. Ich nahm mir eine Banane und zwei Reiswaffeln, die ich mit Erdnussbutter bestrich und machte mir eine Tasse Tee. Verschlafen setzte ich mich Dale gegenüber, der bereits topfit durch sein Handy scrollte. 

Seinen verschwitzten Haaren nach zu urteilen, war er bereits joggen gewesen. Während ich meine Banane mampfte, sah Dale mich zwar nicht an, hatte aber große Probleme, sein Grinsen zu unterdrücken. Genervt schälte ich die Banane und schnitt sie in Scheiben, die ich auf meinen Reiswaffeln verteilte.

Nach dem Frühstück wusch ich mir nur ein wenig mein Gesicht mit kaltem Wasser und bürstete meine Haare, bevor ich sie zu einem unordentlichen Dutt zusammenband, schnappte mir meine Tasche, die ich, Gott sei Dank, bereits gestern Abend gepackt hatte, und verließ im selben Moment wie Dale mein Zimmer.

Draußen war es dunkel und kalt und fast schlief ich bibbernd im Auto ein. Dale seufzte unmerklich und schälte sich aus seinem Schal, den er mir, ohne die Augen von der Straße zu nehmen, zuwarf.

„Ich höre kaum die Musik, wenn du so laut mit den Zähnen klapperst", kommentierte er.

Dankbar band ich mir seinen Schal um meinen Kopf und hörte fast augenblicklich auf zu zittern. Mit geschlossenen Augen genoss ich die Wärme des Schals und Dales Geruch, der darin hing, und döste den Rest der Fahrt vor mich hin. 

BestzeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt