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Cathy kam am Abend zu mir und leistete mir Beistand, während ich vor mich hinvegetierte. Sie erzählte mir, dass sie nach der letzten Stunde mit Kevin an ihrem Spind gestanden hatte, als Dale durch den Flur auf Tiffany zugelaufen war und sie vor allen ziemlich laut angefahren hatte.

„Sie sah aus, als würde sie gleich weinen", sagte Cathy. „Und als Carter kam und Dale von ihr weggezogen hat, hat Dale ihn fast umgeschubst. Carter hat ihn dann aber an den Schultern gepackt und hat auf ihn eingeredet und Kevin ist dann auch rübergegangen. Dale hat sich dann auch etwas eingekriegt, aber als die drei Richtung Ausgang gegangen sind, hat er noch mal durch den Flur gebrüllt, dass sich doch jeder bitte um seinen eigenen Scheiß kümmern soll."

Cathy sah mich an, aber ich gab keine Reaktion von mir. Es war das eingetreten, wovor ich mich so gefürchtet hatte. Schlimmer hätte es nicht kommen können und jetzt, wo es passiert war, jetzt, da es alle wussten... ich war wütend und traurig und hatte den ganzen Nachmittag geheult und geschrien, bis ich nicht mehr konnte. Und dann... war es mir einfach egal gewesen.

Es war, als wäre ein superschweres Laster von meinen Schultern gefallen und hätte Platz gemacht für ein Gefühl der Gleichgültigkeit, das mich endlich aufatmen ließ. Nun, da alle Karten offen lagen, hatte ich nichts mehr zu verstecken, konnte mit dem Scheiß abschließen und ihn hinter mir lassen. Tief atmete ich ein und aus und lächelte Cathy dann zu.

„Tiffany Harding ist eine dumme Kuh", sagte ich und griff nach Cathys Hand. „Und wenn sie noch eine Weile reden, dann sollen sie das machen. Es ist mir egal. Auch das wird vorbeigehen. Und in ein paar Monaten lasse ich die Schule eh hinter mir." Zuversichtlich drückte ich ihre Hand und Cathy nickte.

„Das ist die Tillie, die ich kenne", flüsterte sie grinsend.

Ich bediente mich heimlich in der Vorratskammer an Moms Weinen und den Rest des Abends verbrachten Cathy und ich trinkend und lachend in meinem Zimmer. Wir unterhielten uns darüber, wie es wird, wenn wir studieren gingen und wie sie vorhatte, ihre Beziehung mit Kevin aufrechtzuhalten, da sie am liebsten an die Uni in Albany gehen wollte. 

Und wir versprachen uns, dass wir uns definitiv so häufig wie möglich besuchen würden und planten, was wir alles erleben wollten. Und wieder einmal war ich unglaublich dankbar dafür, dass Cathy meine beste Freundin war.

***

Am Montagmorgen schwänzte ich wieder das Training und betrat erhobenen Hauptes mit Cathy an meiner Seite die Schule. Ich sah die Blicke und hörte das Getuschel, aber immerhin wurden mir keine unangebrachten Fragen und Sprüche mehr an den Kopf geworfen.

Als ich in den Englischkurs kam, grinste Tiffany mich dumm an, als ich mich auf meinen Platz setzte, sagte aber nichts. Und als Dale in den Raum kam, sah sie auch demonstrativ in eine andere Richtung. Nicht so Dale. Der suchte meinen Blick, als er sich auf seinen Platz setzte, ich sah aber lieber zu unserem Lehrer, der nun die Klasse betrat.

Nach der Stunde ging ich schnell aus dem Raum und hörte, wie Dale hinter mir herrief. Ich reagierte nicht darauf und ging zu meinem Spind, wo ich mein Mathebuch herausfischte. Dale blieb neben meinem Spind stehen und wartete darauf, dass ich ihn wahrnahm. Ich ignorierte ihn aber weiterhin.

„Tillie, das Ganze tut mir so leid", erklärte er dann.

Ich sammelte meine Mathezettel zusammen, unter anderen die, auf denen er mir die einfachsten Regeln der Algebra erklärt hatte.

„Schon okay", sagte ich, ohne ihn anzusehen. „Es musste ja so kommen."

So bestimmt nicht", murmelte Dale.

Ich schloss meinen Spind und sah zu ihm hoch. Er sah aus, als hätte er nicht besonders gut geschlafen.

„Mh", machte ich und zuckte mit den Schultern. „Aber so ist es nun mal. Ich werde es jetzt einfach hinter mir lassen und gut ists. Solltest du vielleicht auch, es gibt ja weitaus wichtigere Sachen im Leben. Die Staatsmeisterschaft steht ja bald an. Fühlst du dich schon gut vorbereitet?"

Entgeistert sah er mich an. „Ich, äh,..."

„Ich hoffe, Coach Nick ist nicht zu sauer, weil ich zweimal gefehlt hab. Naja, wir sehen uns dann nachher." 

Ich ließ ihn stehen und machte mich auf den Weg zu meinem Mathekurs.


Coach Nick war sauer, aber als ich ihm sagte, dass ich aus gewissen Gründen gefehlt hatte, die er auch gerne als ‚Frauenprobleme' betitelte, ließ er seine Tirade bleiben und schickte mich ins Wasser.

Ich schlug mich trotz der kleinen Pause gut und merkte auch wieder einmal, wie mir das Schwimmen beim Durchatmen half. Es war mir eigentlich ziemlich egal, wie ich bei der Staatsmeisterschaft abschneiden würde. Dass ich es überhaupt geschafft hatte, mich zu qualifizieren, fand ich schon beeindruckend.

Der Coach war trotzdem der Meinung, dass ich gute Chancen hatte auf eine Platzierung auf dem Treppchen. Wer auch eine sehr gute Chance darauf hatte, aber mal wieder ziemlich frustriert war über seine eigene Leistung, war Dale. Aber das musste mich ja nicht wirklich interessieren.

Beim Training sprach mich zum Glück keiner auf Tiffanys Gerede an. Nur Carter lächelte mir aufmunternd zu. Nach dem Training brauchte Claire etwas länger als sonst und verließ mit mir zusammen die Halle in Richtung der Bushaltestellen.

„Matilda, ich wollte mit dir noch über das reden, was Tiffany gesagt hat", sagte sie, als ich mich auf die Bank an der Haltestelle sinken ließ. Ich grummelte zur Antwort und Claire setzte sich neben mich. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass Lisa ihr das gesteckt hat. Die beiden sind ziemlich gut befreundet. Ich habe nichts gesagt, ich schwöre es dir! Ich habe nicht mal irgendwem von eurem Date damals um Weihnachten im Café erzählt!", sagte sie und sah mich entschuldigend an.

Peinlich berührt verbarg ich mein Gesicht etwas mehr in meinem Schal. „Du wusstest, dass das ein Date war?"

Claires Mund verzog sich zu einem Grinsen. „Ja, ich hab euch durch das Fenster rumknutschen sehen."

„Oh...", machte ich beschämt.

Claire stupste mich an. „Ich finde es süß. Und nicht komisch oder so. Ich meine, eure Eltern waren doch gar nicht so lange zusammen, oder?" Sie zuckte mit den Schultern.

Ich schüttelte den Kopf. „Naja. Es ist jetzt aber vorbei, zwischen Dale und mir."

Es war merkwürdig so offen mit jemand anderem darüber zu reden. Aber Claire war in den letzten Monaten eine sehr gute Freundin geworden, sodass es sich eigentlich sogar ziemlich gut anfühlte, mit ihr so ein Gespräch zu führen. Insbesondere, wenn sie sogar schon gewusst hatte, was los war.

„Oh, okay. Das tut mir leid", sagte sie und klang tatsächlich etwas niedergeschlagen.

Dankbar für ihr Mitgefühl lächelte ich sie an. Als mein Bus kam, umarmte ich Claire noch zum Abschied, bevor sie zurück zum Parkplatz zu ihrem Auto ging und ich in den Bus stieg. 

BestzeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt