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Die Busfahrt zur Schule am nächsten Morgen fühlte sich an, als wäre ich gerade aus einem längeren Urlaub zurückgekehrt oder aus einem sehr intensiven Traum aufgewacht, der größtenteils aus Schwimmbecken und Dale bestanden hatte.

Ich setzte mich auf die Bank, auf die ich mich immer gesetzt hatte und einige Haltestellen weiter stieg auch Cathy dazu und setzte sich neben mich. Als wir an der Schule ankamen, wartete Kevin bereits auf sie und begrüßte sie mit einem innigen Kuss. Überrascht registrierte er mich.

„Hey, Matilda! Seit wann nimmst du denn den Bus?", fragte er, während er und Cathy die Arme umeinander legten. Ich fasste es selbst nicht, aber gestern hatte Cathy mir auch erzählt, dass sie und Kevin nun offiziell zusammen waren und ich in meiner Ego-Blase nichts davon mitbekommen hatte. Wie selbstverständlich ging ich neben dem festverschlungenen Paar in die Schule.

„Oh, ich bin über das lange Wochenende umgezogen", sagte ich und zog meinen Reisverschluss höher. Im Bus war es bereits kalt gewesen, aber hier draußen war es noch schlimmer.

„Ach echt...?", fragte Kevin und wollte gerade noch etwas sagen, da sah ich, wie Cathy ihn anstupste und leicht den Kopf schüttelte. Daraufhin lächelte er mir nur zu und unterhielt sich dann mit Cathy über ihr Wochenende.

Ich warf einen Blick auf meine Uhr. Dale sollte auch schon in der Schule sein. Ich verabschiedete mich von Cathy und Kevin, als sie bei seinem Spind stehenblieben, und sah mich dann nach Dale um. Er war gerade an seinem Spind zugange, als ich neben ihm auftauchte.

„Hey", sagte ich und er lächelte mich leicht an, als er mich sah.

„Hi. Wie geht's dir?"

„Gut, gut... etwas ungewohnt alles, aber andererseits auch wie immer", sagte ich grinsend. Dale lachte nicht, sondern räumte einfach weiter in seinem Spind herum. Ich räusperte mich. „Und wie geht's dir? Und deinem Dad?"

Dale atmete geräuschvoll ein und aus. „Geht so. Er ist ziemlich fertig."

„Das tut mir leid", murmelte ich und ließ den Blick sinken.

„Du kannst ja nichts dafür", sagte Dale und verzog seinen Mund nun wieder zu einem kleinen Lächeln. Aufmunternd strich er mir über den Rücken.

Ich lächelte und wand mich beschämt aus seinem Griff. Dale ließ den Arm sinken. „Hast du Lust, heute nach der Schule was zu machen?", fragte ich und hob bedeutungsvoll die Augenbrauen. „Ich könnte ja mit zu dir komm-"

„Ich kann heute nicht", sagte Dale und nahm sich ein letztes Buch aus dem Schrank, bevor er ihn mit einem Knall schloss. Erschrocken sah ich zu ihm auf.

„Okay... dann vielleicht morgen? Nach dem Training?"

„Vielleicht", murmelte Dale und sah auf seine Uhr. „Ich muss los, wir sehen uns."

Perplex sah ich ihm hinterher, als er davon trottete.

***

Ich sah Dale erst am Mittwoch beim Training wieder. Er schien nicht in der besten Verfassung zu sein und machte beim Sprinttraining ziemlich schlechte Zeiten. Missmutig war er der erste, der sich nach dem Training in die Kabinen verabschiedete. Ich verließ einige Zeit später mal wieder als letzte die Halle und mein Herz machte einen Satz, als ich Dales Auto auf dem ansonsten verlassenen Parkplatz stehen sah.

Unsicher ging ich zu dem Auto und stieg ein. Dale sah nicht auf, als ich mich setzte und gespannt darauf wartete, was er mir zu sagen hatte. Er atmete schwer durch und richtete seinen Blick dann endlich auf mich. Meine Kehle schnürte sich zu, als ich die Traurigkeit in seinen Augen sah.

„Dale...", murmelte ich.

„Es tut mir so leid, Tillie", unterbrach mich Dale. „Ich bin im Moment super von der Rolle." Er legte seine Hand auf meine und als ich sie ergriff, merkte ich, wie sehr er mir gefehlt hatte. „Sollen wir ein wenig zum See fahren?"

Die Fahrt dauerte nicht lange und schon lag der leuchtende See vor uns. Der Schnee, der langsam weniger wurde, war mittlerweile matschig und nicht mehr ganz so schön anzusehen. Dale stellte das Auto an unserem Platz ab und schnell schlüpften wir auf die Rückbank, wo wir uns aneinander kuschelten, und schauten schweigend auf den See hinaus. Seine Finger verschränkten sich mit meinen und ich lehnte meinen Kopf an seine Brust und genoss seine Wärme.

„Ich habe Dad noch nie so verletzt erlebt", sagte Dale nach einer Weile leise. „Jedenfalls nicht seit..."

Mit meiner freien Hand strich ich über sein angewinkeltes Bein. Mom war in einer recht stabilen Verfassung nach der Trennung, aber sie war ja auch nicht die Person, die abgewiesen wurde. So nah war ich John nie gewesen, dass ich mir vorstellen konnte, wie es ihm ging. Aber so stark wie sich schlechte Emotionen auf Dale auswirkten, war es bei seinem Vater wahrscheinlich ähnlich.

Und es tat mir weh zu sehen, wie schwer Dale mit John mitfühlte. Egal wie verschieden sie waren und dass ihre Beziehung nicht die beste war, Dale schien es nicht ertragen zu können, seinen Vater so zu erleben. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie es gewesen sein musste, als seine Mutter starb.

Ich hob unsere verschränkten Hände an meinen Mund und drückte einen Kuss auf seine Hand. „Meine Mom... scheint nicht die einfachste Partnerin zu sein", mutmaßte ich und Dales Brust zuckte ein wenig. Als ich mich zu ihm umdrehte, lag ein Schmunzeln auf seinen Lippen.

„Da fällt der Apfel wohl nicht weit vom Stamm", sagte er und strich mir über die Wange.

Ich zog mich zu ihm hoch und legte meine Lippen auf seine, um ihm zu zeigen, wie einfach es mit mir sein konnte. Sanft erwiderte er meinen Kuss und die Anspannung zwischen uns schien beinahe wie verschwunden, als er mich an sich heranzog und der Kuss intensiver wurde.


Ich lebte mich die nächsten Tage zuhause erstaunlich schnell wieder ein, fast so, als wären die Monate bei den Collins wirklich nur ein Urlaub gewesen. Mom wirkte teilweise etwas abwesend, aber immer, wenn ich sie erwischte, wie sie nachdenklich in der Küche saß, lächelte sie mir zuversichtlich zu. Am Freitag nach unserem Umzug machten wir einen Mädelsabend zusammen, sahen Rom-Coms und tranken dazu eine Flasche Wein.

Auch Cathy besuchte ich häufiger, da ich jetzt wieder näher an ihr dran wohnte und sie mittlerweile auch nicht mehr jede freie Minute mit Kevin verbringen musste. Dale lud ich gerne zu mir nach Hause ein, wenn Mom noch arbeiten war, sagte aber auch einem weiteren richtigen Date mit ihm zu. Es bereitete mir immer noch Unbehagen, aber mittlerweile hielt uns die Beziehung unserer Eltern ja nicht mehr davon ab, auch in der Öffentlichkeit glücklich miteinander zu sein.

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