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Mom und John waren im Wohnzimmer und sahen fern, als ich hereinkam. Kurz unterhielt ich mich noch mit ihnen, verabschiedete mich aber auch bald zum Schlafengehen und wünschte den beiden eine gute Nacht, bevor ich mich nach oben begab.

Dales Zimmertür war einen spaltbreit offen und aus seinem Zimmer dudelte die angenehme Musik, die ich am Abend vor der Bezirksmeisterschaft bei ihm gehört hatte. Mein Herz raste, als ich langsam an seine Tür trat und sachte klopfte. Auf sein „Ja!" trat ich ein und schloss die Tür hinter mir. Dale saß mit angewinkelten Beinen auf einer Sportmatte. Er schien gerade Sit-Ups gemacht zu haben. Schweratmend sah er mit großen Augen zu mir hoch.

„Hi", sagte ich schüchtern.

„Hi", sagte er. „Wie war dein Date?"

„Ähm... gut", druckste ich herum.

Dale nickte und machte sich dann wieder an seine Sit-Ups. Ich ging auf ihn zu und ließ mich neben ihm auf den Boden nieder. Überrascht setzte er sich wieder auf.

„Aber ich habe ihm gesagt, dass ich nicht mehr als Freundschaft zwischen uns sehe", erklärte ich und sah Dale in die Augen.

„Oh", sagte er und erwiderte meinen Blick.

„Warum hast du das Regal für mich angemalt, Dale?"

Seine Wangen färbten sich leicht rosa und er sah auf seine Hände. Er zuckte mit den Schultern.

„Ich dachte, es würde dir gefallen. Es sind Wellen. Wasser. Weil du das Schwimmen so liebst."

Ich nickte. „Das tue ich."

„Warum hast du damals aufgehört?", fragte er leise. Es lag eine Verletzlichkeit in seiner Stimme, als wäre es eine Frage, die er schon lange stellen wollte, sich aber nicht getraut hatte.

Ich zögerte. „Ich... ich war damals an einem ganz wunden Punkt", erklärte ich. „Dad hat uns verlassen. Mom war depressiv. Ich habe vieles aufgegeben damals. Nicht nur das Schwimmen. Ich hab quasi nichts mehr für die Schule gemacht, hab mich sogar von Cathy abgewandt... und mir von irgendwelchen älteren Jugendlichen Alkohol kaufen lassen, um mich dann alleine in meinem Zimmer bis zur Besinnungslosigkeit zu betrinken. Das ging einige Wochen... oder Monate so, keine Ahnung. Mom hat es kaum wahrgenommen. Oder vielleicht hat sie es auch, ich weiß es nicht. Jedenfalls ist sie nicht eingeschritten. Aber dafür Cathy." 

Ich musste lächelte. „Cathy kam eines Tages zu mir und hat mir ordentlich eine gepfeffert. Und mich angeschrien und geheult. Irgendwie hab ich es dann mit ihrer Hilfe aus meinem Loch geschafft. Nur das Schwimmen... das war immer Dads und mein Ding. Dahin wollte ich nicht zurückkehren."

Dale schüttelte ungläubig den Kopf. „Tillie, ich hatte keine Ahnung..."

Ich winkte ab. „Niemand wusste das, keine Sorge."

„Und wie kam es dann, dass du wieder angefangen hast? Mit dem Schwimmen, meine ich?"

„Naja", begann ich schmunzelnd, „ehrlich gesagt hast du viel damit zu tun. Ich hatte ja gar nichts mehr mit Leuten zu tun, die mit mir geschwommen sind. Und als du dann... wieder in mein Leben getreten bist und – wenn wir dann mal miteinander geredet haben – immer und ständig von deinen Schwimmerfolgen geplappert hast", tadelnd sah ich Dale an, während er anfing zu grinsen, „hat das in mir irgendwas wachgekitzelt. Und als Max dann Anfang des Jahres mit mir Schluss gemacht hat, dachte ich, ich probiere es mal wieder mit dem Schwimmen. Vielleicht lenkt das ja vom Herzschmerz ab."

Dale verdrehte die Augen, als ich von meinem Exfreund sprach, den er scheinbar nicht sehr zu schätzen schien. „Und es hat geholfen?"

„Und wie", sagte ich grinsend. „Da hab ich gemerkt, dass ich Max nie geliebt habe. Aber das Schwimmen schon. Und ich habe gemerkt, dass ich meinen Dad vermisse. Ich hatte überhaupt keinen Kontakt zu ihm, seit er weg war. Aber im Frühjahr habe ich mich dann endlich bei ihm gemeldet. Und naja, dann hab ich den Sommer bei ihm verbracht, wo ich fast jeden Tag schwimmen war und ich habe wieder festgestellt, dass es mich glücklicher macht, als alles andere, was ich tue. Und jetzt sind wir hier."

Es tat gut es auszusprechen. Dale schenkte mir ein Lächeln.

„Ich bin froh, dass du wieder dabei bist. Du hast echt gefehlt."

Nachdenklich sah ich ihn an. „Erinnerst du dich wirklich nicht an den Vorfall mit der Schwimmbrille?"

Dale schnaubte. „Natürlich erinnere ich mich noch daran. Es war mein erster Tag und ich bin fast ertrunken bei dem Versuch, dich zu beeindrucken. Und du hast nur heulend die Brille an dich gerissen und bist weggerannt."

Er grinste mich an, doch bei meinem erstaunten Blick realisierte er, was er gerade gesagt hatte. Er setzte an, um noch etwas zu sagen, doch ich beugte mich in diesem Moment zu ihm herüber und legte meine Lippen auf seine. 

Dale verharrte in der Bewegung, dann erwiderte er zögerlich meinen Kuss. Ich rückte ein Stück in seine Richtung und drängte mich noch näher an ihn heran. Scharf atmete er durch die Nase ein und legte seine Hand an meinen Nacken. Seine Lippen wurden fordernder, meine Hände fanden sich in seinen Haaren wieder und wir versanken in einem tiefen Kuss. Sehnsüchtig klammerten wir uns aneinander fest, aus Angst, die Realität würde uns bald wieder einholen. 

Erst als wir unten im Haus Stimmen hörten, kamen wir zum Halt. Langsam löste ich mich von Dale, der nur zögerlich von mir abließ, und stand auf. Schweigend sahen wir uns mit demselben verwirrten Blick an. Dann drehte ich mich um und ging zur Tür.

„Tillie...", sagte Dale noch leise, aber ich drehte mich nicht noch einmal zu ihm um, sondern verschwand durch die Tür, die ich sachte hinter mir zuzog.

Mom und John räumten gerade lautstark in der Küche herum, während ich in mein Zimmer schlich und mich auf meine Bettkante sinken ließ. Tausend Gedanken flogen mir im Kopf herum und viele schrien mich an, zurück zu Dale zu gehen. Mein Herz raste. 

Ich ging ins Bad, schminkte mich ab und putzte meine Zähne. Mit eiskaltem Wasser wusch ich mein Gesicht und versuchte, wieder runterzukommen. Doch als ich im Bett lag und das Licht ausmachte, war ich hellwach und fragte mich, wie um alles in der Welt es zu dieser Situation gekommen war. 

BestzeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt