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Als Dale mich am letzten Samstag im Januar mittags abholte, schneite es gerade. Ich sagte Mom, dass ich mich mit Freunden treffen wollte und lief schnell nach draußen, als ich sein Auto durch das Fenster erkannte. Mit vollgeschneiter Kapuze ließ ich mich auf dem Beifahrersitz fallen und öffnete meine Jacke, damit die Wärme der Heizung schneller an meinem Körper ankam.

Dales Mund verzog sich zu einem Grinsen, als er sah, dass ich ein Kleid trug. Nicht so knapp wie das an seinem Geburtstag, es schien ihm aber dennoch zu gefallen. Er legte seine Hand auf meinen Oberschenkel und lehnte sich zu mir herüber, um mich mit einem Kuss zu begrüßen und da es so doll schneite und uns so keiner sehen konnte, ging ich gerne darauf ein.

„Also", sagte er, als wir uns voneinander lösten. „Ich dachte mir, wir könnten uns eine Kleinigkeit zu essen holen und danach mit einem heißen Kaffee durch den Schnee spazieren." Er spähte in das Schneegestöber draußen und fügte hinzu: „Falls es sich bis dahin etwas gelegt hat."

Ich nickte lächelnd und versuchte mich zu entspannen. Dale fuhr uns in die Stadt, wo wir in einem mexikanischen Restaurant unglaublich gute Quesadillas aßen, während wir an einem Tisch am Fenster saßen und dem Schneefall zusahen. Es hatte sich schon eine ziemlich dicke Schicht Neuschnee gebildet.

Das Restaurant war nicht besonders groß, die meisten Bestellungen waren bei diesem Wetter Auslieferungen und es war noch früh, sodass wir fast die einzigen im Laden waren. Als ich sah, dass Dale Tomatensoße im Gesicht hatte, nahm ich eine Serviette und tupfte ihm wie selbstverständlich das Kinn ab. Erstaunt sah er mich an und musste, wie ich auch, anfangen zu lachen.

Dann küsste er mich und ich grinste in den Kuss hinein, den ich, obwohl wir mitten in der Stadt waren, wo jeder uns durch das Fenster sehen konnte, zuließ. Ich gab mich meinen Gefühlen hin und erwiderte seinen Kuss so innig, wie es in der Öffentlichkeit noch erlaubt war und war einfach nur glücklich.


Nach dem Essen hatte sich das Wetter tatsächlich etwas beruhigt. Nur noch kleine Flöckchen kamen vom Himmel gefallen, die direkt schmolzen, als sie auf meine Jacke trafen. Wir stapften durch den Schnee zum nächstgelegenen Café und holten uns zwei heiße Schokoladen zum Mitnehmen.

Es war schon ein wenig am Dämmern, als wir uns mit den heißen Getränken an den kalten Händen aufmachten und ein wenig am Grünstreifen entlang des kleinen Flusses, der sich vom großen See abgehend durch die ganze Stadt zog, spazieren gingen.

Dale legte seinen Arm um mich und ich genoss es sehr, bis ich auf einer Bank in einer nicht mehr sehr großen Entfernung eine Gruppe Mädchen in unserem Alter sah. Ich schüttelte Dales Arm von mir ab, da winkte eine von ihnen auch schon zu uns herüber.

„Hey Leute!", rief sie, als wir näherkamen. „Na, kundschaftet ihr wieder neue Lokale aus?" Claire grinste uns freudig an. Sie saß mit ihren Freundinnen, die, die ich damals auf Carters Party kennengelernt hatte, mit Kaffeebechern auf der Parkbank.

Wir unterhielten uns einige Minuten mit ihr, während ihre Freundinnen uns nicht viel Aufmerksamkeit schenkten. Nur eine von ihnen, Lisa, beäugte uns. Bald verabschiedeten wir uns von Claire und ihren Freundinnen und bewegten uns in die Richtung von Dales Auto.


Auf dem Weg zu mir nach Hause war Dale schweigsam. Ich griff nach seiner freien Hand, doch er tat so, als müsse er sich stark auf den nicht vorhandenen Verkehr konzentrieren und legte sie auch ans Steuer, also zog ich meine wieder zurück. Er parkte einige Meter von meinem Haus entfernt.

„Was ist los?", fragte ich, nachdem er den Motor abgestellt hatte.

Dale seufzte und sah mich an. „Bin ich dir wirklich so... peinlich?"

„Was? Nein, natürlich nicht!" Entgeistert sah ich ihn an. „Wieso denkst du das?"

„Wieso denke ich das wohl", sagte Dale schnaubend und schüttelte den Kopf.

Beschämt senkte ich den Blick. „Tut mir leid... Es ist einfach... die ganze Situation mit deinem Dad und meiner Mom... Das ist ja nicht von heute auf morgen vergessen..."

„Hm. Ja. Deine Mutter. Woher soll ich eigentlich wissen, dass du nicht dasselbe mit mir abziehst, wie sie mit meinem Vater?"

„W-was?" Ärgerlich suchte ich seinen Blick, doch er sah lieber durch die Windschutzscheibe. „Dale, ich bin nicht meine Mutter."

Er lachte bitter. „Du bist immer wieder weggelaufen. Hast mich geküsst und dich dann wieder verschlossen."

„Dale..."

Er sah mich nun mit verzerrter Miene an. „Und dann lässt du es endlich zu und trotzdem sehe ich, dass du Zweifel hast. Wenn du deine Hand aus meiner ziehst. Wenn du dich nervös umsiehst, ob auch wirklich niemand uns sieht. Ich habe das Gefühl, dass ich nur hinter verschlossener Tür gut genug für dich bin, aber sobald uns jemand sehen kann..."

„Dale, entschuldige bitte. Aber es... es ist eben merkwürdig! Meine Mutter und dein Vater waren in einer Beziehung! Was glaubst du werden die Leute sagen, wenn sie uns zusammen sehen?"

„Ich könnte mich nicht weniger darum scheren, was andere über mich zu sagen haben", erklärte er. „Und außerdem mochte ich dich lange bevor sie zusammengekommen sind."

Ich schnaubte. „Und du glaubst wirklich, wir wären uns jemals nähergekommen, wenn sie nicht zusammen gewesen wären?"

Er antwortete nicht.

„Sicherlich nicht", sagte ich, „daher ist es komisch! Aber jetzt..."

„Aber jetzt was?", rief er und sah mich aufgebracht an. „Jetzt, wo deine Mutter meinen Vater verlassen hat, können wir zusammen glücklich sein?"

Perplex sah ich ihn an und zuckte mit den Achseln. „Das ist doch, was du möchtest!"

„Auf dem Unglück unserer Eltern sollen wir unser Glück finden? Das nimmst du in Kauf?"

Ich schüttelte den Kopf. „Wir sind nicht der Grund für die Trennung."

„Weißt du das sicher?", fragte er und in seiner Stimme schwang eine Verletzlichkeit mit, die mir das Herz brach. „Vielleicht haben sie es mitbekommen und das wars, was das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Vielleicht sind wir daran schuld. Dad ist ein Wrack und wir sind vielleicht schuld daran. Vielleicht hast du Recht gehabt und es war ein Fehler."

„Dale", sagte ich mit zittriger Stimme, „komm schon..."

Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, ob wir daran schuld sind oder jedenfalls einer der Gründe sind. Aber... vielleicht hattest du wirklich Recht. Es ist merkwürdig gewesen."

Ich schluckte. „Gewesen?"

Dale atmete geräuschvoll ein. Mit hartem Blick sah er durch die Windschutzscheibe. „Es ist wahrscheinlich besser so", sagte er monoton. „Du wärst doch sowieso irgendwann wieder weggelaufen."

Mein Atem ging schnell und mit aller Macht versuchte ich mich zusammenzureißen. Dann griff ich an den Türgriff.

„Gut", sagte ich, „Na dann. Wiedersehen." Mit den Worten stieg ich aus und knallte die Autotür hinter mir zu.

Mit schnellen Schritten war ich an meiner Einfahrt angekommen und sah mich nicht mehr nach Dale um. Ich rief Mom noch zu, dass ich wieder zu Hause war, aber schnell ins Bett wollte, zog mir meine Schuhe und Jacke aus und hetzte nach oben. Ich schaffte es nicht mehr bis zu meinem Bett, sondern brach schon kurz vorher auf dem Boden zusammen und ließ meinen Tränen freien Lauf.

BestzeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt