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Wir schafften es, bis Dienstag die Finger voneinander zu lassen, doch an den trainingsfreien Tagen hatten wir eben den ganzen Nachmittag das Haus für uns. Als wir nach der Schule zuhause ankamen, lief Dale schonmal vor. Verwundert folgte ich ihm und hörte, wie er nach seinem Vater und meiner Mutter rief. Ich schloss die Tür hinter mir und zog mir die Schuhe aus, während Dale sich grinsend zu mir umdrehte.

„Keiner zuhause", sagte er und hob anzüglich die Augenbrauen.

Ich verdrehte lachend die Augen und schälte mich aus meiner Jacke. Bevor ich meinen Schal ablegen konnte, hatte Dale mich schon hochgehoben und mein Schal flatterte zu Boden, während ich meine Arme um seinen Hals schlang und meine Lippen auf seine drückte. Schnell kickte er seine Schuhe von den Füßen und ich schlang meine Beine fester um seine Hüfte, als er seine Jacke abwarf und dann mit einem festen Griff an meinem Hintern die Treppe hochlief.

Es fühlte sich einfach unwirklich an. Was ich mit Dale hatte, hatte ich noch nie erlebt. Die Blicke, die wir uns im Schulflur zuwarfen. Wenn er sich im Englischunterricht streckte, um sich zu mir nach hinten zu drehen. Wenn wir heimlich hinter der Halle knutschten oder nach dem Schwimmtraining zum See fuhren, dorthin, wo keiner vorbeikam, und uns auf seiner Rückbank vergnügten. Meine Hormone spielten verrückt und ich bekam kaum etwas um mich herum mit.

Wenn ich mit Cathy sprach und sie mir Updates über Kevin gab, drifteten meine Gedanken immer wieder zu Dale. Wenn uns Mom abends am Esstisch von ihrem Tag bei der Arbeit erzählte und damit den ganzen Tisch unterhielt, weil wir nichts dazu beitrugen und John noch nicht zuhause war, wanderte mein Blick immer wieder über Dale und unsere Beine berührten sich unter dem Tisch. Als wir John halfen, die Weihnachtsdeko aus dem Wohnzimmer zu entfernen und Dale und ich Kisten in den Keller brachten, stahlen wir uns in dem Raum, wo er mir das Regal präsentiert hatte, gegenseitig einen Kuss. Wir lebten in unserer eigenen Welt, in der nur wir zwei existierten.

***

Keine zwei Wochen nach Jahresbeginn war der Todestag von Dales Mutter. Er nahm mich mit zum Friedhof und stellte mich ihr vor und obwohl wir uns in der Öffentlichkeit befanden, griff ich nach seiner behandschuhten Hand. Er dankte mir mit einem Lächeln, das mein Herz erwärmte. Den Mistelzweig platzierte er auf dem abgerundeten Grabstein.

Der Tod von Dales Mutter war bereits neun Jahre her und ich glaubte, dass sie die Frau war, die bei einer der Proben für unser Weihnachtsstück damals zugesehen hatte. Die blonde Frau hatte mir vor der Probe ein Lächeln geschenkt und mir ein Kompliment für mein Kostüm gemacht. Danach war mir die Tücherkonstruktion nicht mehr ganz so schrecklich vorgekommen.

„Wieso bist du nicht mit deinem Vater hergefahren?", fragte ich, als wir wieder im Auto saßen. „Besucht ihr sie nicht zusammen?"

Dale zuckte mit den Schultern. „Wir... nein. Wir gehen das meist getrennt an. Was die meisten Aspekte unserer Leben angeht, sind wir ziemlich verschieden, aber was Gefühle und sowas angeht, sind wir ziemlich gleich. Das würde nicht gutgehen."

Ich nickte. Einen emotionsgeladenen Dale und seinen ebenso gestimmten Vater zusammen auf einem Friedhof, stellte ich mir auch nicht besonders angenehm vor. Als wir zuhause ankamen, war John bereits da. Mit einem Blumenstrauß in der Hand kam er uns im Flur entgegen.

„Na ihr beiden", begrüßte er uns mit einem traurigen Lächeln. „Warst du schon beim Friedhof?"

„Ja, wir waren gerade da", sagte Dale.

Überrascht sah John mich an und ich reagierte mit einem angespannten Lächeln. Dann wandte er sich wieder an seinen Sohn. „Oh, schön. Na gut. Ich mache mich mal auf den Weg." Mit den Worten verschwand er durch die Tür.

Dale und ich zogen uns schweigend die Jacken und Schuhe aus, dann nahm er mich in den Arm und sah lächelnd zu mir herunter.

„Danke, dass du heute dabei warst", sagte er und gab mir einen sanften Kuss.

Ich legte meine Hand an seine Wange. „Natürlich", hauchte ich, gab ihm einen ebenso leichten Kuss zurück und strich ihm über die Wange.

Langsam lösten wir uns voneinander und ich griff nach meiner Tasche.

„So, ich müsste mal ein paar Mathehausaufgaben machen. Ich komme jetzt schon nicht hinterher."

Dale nickte und griff nach seinem Rucksack. „Soll ich dir vielleicht helfen?"

„Ähm, ich weiß nicht. Kennst du dich gut mit Algebra aus?"

Er schnaubte. „Schon vergessen, dass ich ein Streber bin?", fragte er grinsend.

Wir gingen in mein Zimmer, wo wir uns auf meinem Bett mit meinen Mathesachen breitmachten. Ich versuchte wirklich mein Bestes in der Schule, aber das Schwimmen dieses Jahr und die Ablenkung von Dale die letzten Wochen hatten nicht wirklich dazu beigetragen.

Dale, der schon letztes Jahr das Thema durchgenommen hatte, war der geborene Lehrer. Schön langsam erklärte er mir die Stellen, die mir Kopfschmerzen verursachten, auf einfachste Weise. Ich war selbst erstaunt, wie viel mehr ich bei ihm lernte als im Unterricht.

Am Bettende hockend betrachtete er nachdenklich eine Aufgabe in meinem Mathebuch und machte sich einige Notizen. Ich lag quer über dem Bett auf meiner Seite und sah zu ihm hoch. Als ich meine Hand an seine Wange legte, sah er zu mir herunter.

„Ich weiß, das hörst du immer und ständig. Aber du hast wirklich ein schönes Gesicht", sagte ich und wunderte mich gleichzeitig über meine Ehrlichkeit. Dale zog überrascht die Augenbrauen hoch.

„So häufig höre ich das gar nicht", erklärte er, musste aber auch grinsen. „Du bist auch wunderschön."

Beschämt ließ ich ihn los und blickte auf den Zettelsalat vor mir. Er legte sich neben mich und sah mich an.

„Wirklich. Mein schöner Stern", murmelte er und strich mir über die Wange. „Ich glaube für mich war es wirklich Liebe auf den ersten Blick."

Mein Herz klopfte laut als Reaktion auf das, was er gerade gesagt hatte. Bevor er noch etwas sagen konnte, lehnte ich mich ihm entgegen und legte meine Lippen auf seine. Seine Hand wanderte von meiner Wange an meinen Nacken und zog mich noch näher an ihn heran. Der Kuss wurde intensiver und ich drückte ihn in die Matratze, während ich mich auf ihn heraufzog. Er nahm mein Gesicht in seine Hände und löste uns voneinander.

„Tillie...", flüsterte er und sah mir in die Augen.

Ich schluckte und wand mich aus seinen Armen. Sein irritierter Blick folgte mir, als ich mich auf ihm aufsetzte und meinen Pullover auszog. Auch mein T-Shirt und meinen BH warf ich ab, bis ich halbnackt auf ihm türmte. Mit einem Blick voller Verlangen setzte Dale sich auf, küsste mich wieder heftig und ließ seine Hände über meine nackte Haut gleiten. Er schien vergessen zu haben, dass er noch etwas sagen wollte.

BestzeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt