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Mom und ich waren nach unserem Mittagessen im Park relativ zügig losgefahren und kamen um kurz nach sieben wieder zuhause an. Dale war schon eine Stunde früher zuhause angekommen und als ich ihm Bescheid gab, war er keine zwanzig Minuten später bei mir. Mit klopfenden Herzen lief ich zu seinem Auto und stieg ein.

„Hi", sagte ich schüchtern.

„Hi", sagte Dale und lächelte mich an.

Dann fuhr er los und wir sagten kaum etwas, bis wir am See angekommen waren und er anhielt. Wir verzogen uns auf die Rückbank, wo ich mich mit einer Decke bedeckte, die noch von unseren Ausflügen an den See auf den Sitzen lag. Schweigend sahen wir auf das dunkle Wasser hinaus. Der Schnee war mittlerweile auch hier verschwunden.

„Wie war Yale?", fragte ich und brach damit die Stille zwischen uns.

„Gut", sagte Dale. „Ich kann nicht glauben, dass sie mich wirklich wollen."

„Du hast das verdient, Dale. Das sagte sogar der Coach des St. Francis Colleges." Überrascht sah er mich an und ich zuckte mit den Schultern. „Dein Potenzial wird eben erkannt."

„Na das hoffe ich doch", sagte Dale grinsend. „Und wie gefällt dir das College?"

„Wirklich gut. Ich war im Sommer schon einmal da und hab es damals schon zu meinen Favoriten gezählt."

Dale griff meine Hand und betrachtete sie lächelnd. „Ich freue mich so sehr für dich, dass dein Traum wahr wird."

Ich lachte über die Dramatik in seiner Stimme. „Dein Traum geht doch auch in Erfüllung mit Yale."

„Das stimmt." Er sah zu mir auf. „Ich... werde Yale aber wohl absagen müssen."

„Was? Warum?"

„Ich habe heute einen Anruf von einer anderen Uni bekommen. Und... dort wird mir ein volles Stipendium angeboten. Die Uni war zwar nicht wirklich unter meinen Favoriten, als ich sie mir letztes Jahr angesehen habe, aber vorletzte Woche war ich nochmal da und das Schwimmteam ist super, mit dem Coach kann ich gut arbeiten, die Finanzierung wäre mit dem Stipendium erledigt und es ist auch eine Ivy-League-Uni. Und die Stadt hat auch wesentlich mehr zu bieten als New Haven."

„Oh mein Gott", hauchte ich. Das erklärte seine Abwesenheit in der Schule vor Kurzem. Dale hatte für seine schulischen und athletischen Leistungen die letzten Jahre alles gegeben. Er verdiente es an der besten Uni des Landes aufgenommen zu werden. Auch wenn dies bedeutete, dass er Stunden von mir entfernt studieren würde. „Also... du gehst also nach Boston?"

Dale grinste breit und ich versuchte meine Enttäuschung zu verstecken. „Harvard hat mich angenommen, ja." 

Ich schluckte schwer. 

„Aber", fuhr Dale fort, „die andere Uni liegt nach meinen Kriterien vorne und darum habe ich mich dafür entschieden."

Verwirrt sah ich ihn an. „Du wurdest in Harvard und Yale angenommen, aber entscheidest dich für eine andere Uni? Welche? Princeton?!"

„Columbia", sagte Dale und ich könnte schwören, dass mein Herz für einen Schlag aussetzte.

„Columbia? Columbia University in..."

„In New York City." Dale zuckte mit den Schultern. „Ich habe gehört, die Stadt soll ganz cool sein", sagte er und zwinkerte mir zu, „und wenn ich mich zwischen New York, Boston und New Haven entscheiden kann und dazwischen, vollfinanziert zu werden oder einen großen Schuldenberg anzuhäufen, weil ich bei den anderen Unis nur Teilstipendien kriegen würde, dann fällt mir die Entscheidung ziemlich leicht. Und so kann ich auch für meinen Heimatstaat schwimmen!"

Sein Mund verzog sich wieder zu einem Grinsen. „Außerdem habe ich gehört, dass ein ziemlich cooles Mädchen auch in der Stadt studieren will."

Ich schoss nach vorne und schlang meine Arme um ihn. Dale legte seine Arme um mich und küsste meine Haare.

„Es tut mir so leid, dass ich so ein Arsch war, Tillie", murmelte er.

„Sie wussten nichts von uns", erklärte ich, während ich mich von ihm löste. „Ich hab Mom gefragt. Sie hatten keine Ahnung."

Dale runzelte die Stirn. „Du meinst... du hast es ihr erzählt?"

Ich zuckte mit den Schultern. „Ähm... sozusagen, ja", druckste ich herum.

Dales Mund verzog sich zu einem Lächeln, bevor er mich wieder in seine Arme zog.

„Danke, Tillie", murmelte er mir in die Haare. „Nicht nur dafür, sondern... für so vieles. Weißt du, was mein Ruhepol bei der Regionalmeisterschaft war? Du. Und das warst du dann auch bei der Staatsmeisterschaft. Und unbewusst auch vorher schon. Es war immer der Gedanke daran, dass es nicht um den Wettbewerb ging, sondern dass ich etwas tat, was ich liebte. Und ohne dich hätte ich mich damals niemals dem Schwimmteam angeschlossen."

Er löste die Umarmung und suchte meinen Blick. „Tillie, ich hatte früher unfassbare Angst vorm Schwimmen. Mein Cousin hat mir früher Geschichten von Schlangen in einem Tümpel bei ihm in der Nähe erzählt und ich wollte nie wieder einen Fuß ins Wasser setzen. Aber dann kamst du leuchtender Stern daher und ich hab gehört, wie du vom Schwimmteam geredet hast und... nach dem Tod meiner Mutter wollte Dad unbedingt, dass ich mich mit einem Hobby etwas ablenke und als er mich gefragt hat, was ich denn gerne machen möchte, war meine Antwort ‚schwimmen'."

Lächelnd schüttelte er den Kopf. „Dad hat wahrscheinlich gedacht, ich wäre verrückt geworden, hat mich aber trotzdem hingeschickt und dann... hat es mir gefallen. Wärst du nicht gewesen, hätte ich nie herausgefunden, wie sehr ich es liebe zu schwimmen." Ungläubig sah er mich an. „Du hattest so einen großen Einfluss auf mein Leben, ohne tatsächlich ein Teil davon zu sein. Du hast mich so sehr geprägt, ohne es zu wissen. Und dafür bin dir auf ewig dankbar, Tillie."

Ich hatte keine Worte. Dale strich mir über die Wange und beugte sich zu mir herüber, doch ich wich zurück.

„Wa-", setzte er verwirrt an, doch ich unterbrach ihn.

„Ich liebe dich, Dale", sagte ich und verschluckte mich fast an meinen Worten.

Seine Augen weiteten sich, dann verzog sich sein Mund zu einem Grinsen.

„Was...?", murmelte ich und spürte die Panik in mir aufsteigen.

„Gibst du es endlich zu, ja?", fragte er und sein Grinsen wurde immer breiter. Dann legte er seine Hände auf meine, die leicht zitterten. „Darf ich es jetzt auch aussprechen, ohne dass du mich wieder mit deinem nackten Körper ablenkst?"

Ich lachte auf und der Knoten in meinem Hals löste sich. Dale legte seine Hand wieder an meine Wange und strich mit seinem Daumen darüber.

„Ich liebe dich, Tillie." Sein Grinsen wich einem warmen Lächeln. „Ich liebe dich. So sehr. Und dass wir uns ineinander verliebt haben, ist nur die Krönung auf dem, was du sowieso schon für mich bedeutet hast", erklärte er. Und dann küsste er mich endlich.

***

Auf dem Weg zur Schule am nächsten Morgen löcherte mich Cathy mit zig Fragen, die ihr zwischen unserem Telefonat, das wir geführt hatten, nachdem Dale mich nach Hause gebracht hatte, und der Busfahrt noch eingefallen waren. Als wir an der Schule ankamen, wartete Kevin bereits auf sie und zu dritt gingen wir in Richtung des Schulgebäudes.

Auf Höhe des Parkplatzes stupste Cathy mich an und deutete auf Dale, der gerade aus seinem Wagen gestiegen war. Unsere Blicke trafen sich und mein Mund verzog sich bei seinem Anblick zu einem breiten Lächeln.

„Wir sehen uns nachher", sagte ich zu den anderen und Cathy grinste nur zur Antwort.

Dann ging ich auf Dale zu. Er wartete angelehnt an seiner Autotür auf mich.

„Pass auf, die Leute können uns sehen", sagte er und grinste blöd.

„Das ist mir ziemlich egal", erwiderte ich und legte meine Hände um seinen Hals. Seine Arme schlangen sich um meine Mitte und zärtlich sah er zu mir herunter.

„Ich sehe nur dich", flüsterte ich. Und dann küsste ich ihn endlich. 

BestzeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt