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Die nächsten Tage konzentrierte ich mich voll und ganz auf das Schwimmen und die anstehende Staatsmeisterschaft. Die Organisation, die Sportstipendien vermittelte, meldete sich diese Woche bei mir und ich stand im Kontakt mit dem Schwimmcoach des St. Francis Colleges in New York City.

Dieser war ziemlich beeindruckt von meiner Leistung und, da konnte ich mich wahrscheinlich glücklich schätzen, kannte meinen Dad. Dass ich die geborene Schwimmerin war, war ihm somit klar. Der Coach plante bei der Staatsmeisterschaft Ende des Monats zuzusehen und am Montag danach sollte ich zur Uni kommen und das Team kennenlernen.

Ich konnte es nicht fassen und auch Mom war mehr als nur begeistert, da das College eins meiner Favoriten war und ich durch das Schwimmen ein Teilstipendium bekommen würde. Und weil es bedeutete, dass ich in New York City studieren konnte.

Coach Nick sah die guten Nachrichten als Anlass, mich beim Training bis an meine Grenzen zu bringen, aber ich war voller Motivation und machte gerne mit, da sich die Höhe des Stipendiums auch nach meiner Leistung bei der Staatsmeisterschaft richten würde.

Das Gerede in der Schule verebbte nach einigen Tagen, da ich und scheinbar auch Dale nicht darauf eingingen und wir sowieso nicht zusammen gesehen wurden. Stattdessen hörte ich immer häufiger merkwürdige Gerüchte über Tiffany und stolz erklärte mir Cathy, dass sie diese in die Welt gesetzt hatte und auch nicht damit aufhören wollte, bis wir die Schule im Sommer abgeschlossen hatten. Ich wusste nicht, ob ich sie davon abhalten oder lachen sollte.

„Sie hat es doch verdient", sagte Cathy schulterzuckend dazu und präsentierte mir stolz ihre Liste mit Gerüchten, die sie für die nächsten Wochen vorbereitet hatte.

Die Liste beinhaltete harmlose Sachen wie Tiffany hat auf dem Jahrmarkt anstelle eines kandierten Apfels eine kandierte Zwiebel vom Verkäufer bekommen, weil sie unhöflich zu ihm war bis zu Tiffany lässt Leute aus dem Internet ihre Hausaufgaben machen und verteilt dafür Gefälligkeiten.

Entrüstet sah ich Cathy an, als ich diesen Punkt gelesen hatte, doch Cathy machte eine Unschuldsmiene. „Da steht ja nicht, was für Gefälligkeiten", verteidigte sie sich. „Vielleicht schickt sie ihnen Geld oder Bonbons. Wer weiß das schon? Ich nicht und ich spezifiziere es auch nicht."

***

Obwohl es mir natürlich total egal war, bekam ich es mit, dass Dales Leistung beim Schwimmen ziemlich schwach war. Immer mal wieder hatte er einige gute Tage, an denen Coach Nick auch zufrieden war, aber knapp anderthalb Wochen vor der Meisterschaft fing er wieder stark an nachzulassen.

Wenn er sich wütend aus dem Becken zog und sich die Haare raufte, konnte ich den Anblick kaum ertragen. Nicht, weil ich ihn vermisste, sondern weil ich wusste, dass er es besser konnte und sein emotionsgeladener Kopf ihm mal wieder im Weg stand.

Am Donnerstag nach dem Morgentraining kam ich mal wieder als letzte aus der Kabine und im Eingangsbereich sah ich Coach Nick und Dale miteinander diskutieren. Als Dale mich wahrnahm, würgte er den Coach kurzerhand ab und verabschiedete sich durch die Eingangstür. Coach Nick drehte sich um, nickte mir noch zu und verschwand dann in seinem Büro, während ich schnellen Schrittes nach draußen lief. Dale ging schnurstracks auf das Schulgebäude zu.

„Dale!", rief ich und lief etwas, um ihn einzuholen.

Seit unserer ‚Unterhaltung' an meinem Spind vor anderthalb Wochen hatte ich nicht mehr mit ihm gesprochen. Er wurde langsamer, hielt aber nicht an.

„Dale", sagte ich noch einmal mit Nachdruck, als ich auf seiner Höhe ankam. Er blieb stehen und sah mich mit harter Miene an.

„Was?", presste er hervor. Sofort verdunkelte sich auch meine Laune.

„Du musst wirklich aufhören, so emotionsgeladen zu sein und deinen Kopf frei kriegen. Es steht so viel auf dem Spiel!"

„Oh, vielen Dank auch, Tillie. Das war mir ja überhaupt nicht klar", zischte er.

„Ich meine es ja nur gut", gab ich angespannt zurück. „Ich weiß, dass du mehr draufhast. Und wenn du dich von deiner Gefühlslage so runterziehen lässt, könnte sich das ziemlich schlecht auf deine Zukunft mit dem Schwimmen auswirken."

Dale schnaubte. „Willst du mich eigentlich verarschen? Wie soll mir das jetzt bitte helfen? Wie wäre es, wenn ich einfach gar nicht antrete?"

„Was?", keifte ich.

Dale trat einen Schritt näher an mich heran und sein Kiefer zuckte mal wieder. „Vielleicht solltest du mal ein paar Emotionen zulassen, anstelle deiner ‚mir ist alles scheißegal'-Haltung. Dann würdest du vielleicht auch verstehen, dass man das nicht einfach abstellen kann!"

„Was zum Teufel soll das jetzt heißen? Ist doch schön, dass sich jedenfalls einer von uns zusammenreißen kann und sich auf den Wettkampf konzentriert!"

„Toll, Glückwunsch", sagte Dale und sah mich herablassend an, bevor er sich umdrehte und weiterging.

„Was willst du denn von mir hören?", rief ich ihm hinterher und mit wütendem Blick drehte er sich wieder zu mir um. „Willst du, dass ich dir für immer hinterherheule, oder was? Soll ich mich jede Nacht in den Schlaf weinen?"

Dales Blick wurde noch dunkler.

„Ich habe geweint", rief ich aufgebracht, „als du mir gesagt hast, ich soll mich verpissen! Ich habe geweint, als deine dumme Exfreundin ihren dummen Mund aufgemacht hat! Ich habe geweint, geheult und geschrien, aber ich habe es satt! Ich werde nicht den Rest meines Lebens in Selbstmitleid baden und konzentriere mich lieber auf meine Zukunft, und alles was ich wollte, ist dir zu raten, das auch zu tun!"

Dale blickte mich wütend an, sagte aber nichts. Ich schnaubte genervt und ging dann an ihm vorbei zum Schulgebäude. Zum Glück hatte ich an diesem Tag keinen Unterricht mehr mit ihm, ansonsten hätte ich ihn wahrscheinlich mit meinem Collegeblock abgeworfen.

Als Dale am Freitagmorgen nicht zum Training erschien, bekam ich ein ziemlich schlechtes Gewissen. Ich wusste, ich war nicht gerade nett gewesen und schon gar nicht hilfreich, aber dass es sich so auf ihn auswirken würde, hatte ich nicht gedacht. Auch in der Schule und beim Nachmittagstraining war er nicht anwesend. Fast hätte ich mich bei Carter erkundet, ob er wusste, warum Dale nicht da war, hielt aber doch lieber meine Klappe.

Ich wusste nicht, warum ich mir eigentlich die Freiheit nahm, mich weiterhin in sein Leben einzumischen, obwohl es ja offensichtlich war, dass er es nicht wollte. Dennoch war ich heilfroh, als er am Montag wieder beim Training auftauchte. Erstaunlich entspannt zeigte er wieder gute Leistungen und ich versuchte, mich nicht mehr darum zu scheren und mich auf mein Training zu konzentrieren.

Neben dem Training in der Schule ging ich laufen, aß besonders protein- und vitaminhaltig und dehnte mich ausgiebig, um einen starken Muskelkater vorzubeugen, der mich nur wieder an Dale erinnern würde. Und egal, wie gut ich schwamm oder wie lange ich laufen war, die Anspannung auf Samstag stieg mit jedem Tag ins Unermessliche. 

BestzeitenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt