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Am nächsten Tag beeilte ich mich nach dem Training, föhnte mir aber noch die Haare. Dale und ich hatten vor, wieder an den See zu fahren und falls ich wieder nackt auf seiner Rückbank enden sollte, wollte ich jedenfalls trockene Haare haben, damit ich mich nicht erkältete. Mein Spiegelbild grinste mich bei dem Gedanken daran an, während ich mir die Haare bürste.

Dick eingepackt lief ich schon fast zum Parkplatz, wo ich Dale vor seinem Auto stehen sah. Als ich merkte, wer neben ihm stand, wurde ich langsamer.

„Hey, Liebes", sagte Mom.

Verwirrt sah ich zwischen ihr und Dale hin und her und auch Dale sah mich mit einem großen Fragezeichen im Gesicht an.

„Hey... Mom. Was machst du hier?"

„Oh, ähm, ich wollte dich abholen. Ich hoffe, du hast heute Abend noch nichts vor? Ich hatte gehofft, wir könnten zusammen essen gehen, nur du und ich?"

Mein Blick wanderte zu Dale, der mit den Schultern zuckte. Scheinbar hatte Mom ihm nicht erzählt, was der Überfall zu bedeuten hatte.

„Äh, klar. Ich habe noch nichts vor."

Dale schnaubte unmerklich und ich unterdrückte es, ihm einen warnenden Blick zuzuwerfen.

„Schön, dann komm! Dale, dein Dad kocht gerade für euch, also fahr am besten auch direkt nach Hause", sagte Mom und strich Dale über den Rücken.

„Alles klar", sagte er nickend.

Ich gab Dale meine Sporttasche mit, damit er schonmal meine nassen Sachen aufhängen konnte, und ging dann mit Mom zu ihrem Wagen. Dale setzte sich in sein Auto und hob noch die Hand zur Verabschiedung.


Mom fuhr uns zu dem Burger-Restaurant, wo sie und John Dale und mir vor knapp fünf Monaten erklärt hatten, dass sie zusammenziehen wollten. Wir bestellten unsere Lieblingsburger und ich warf mich glücklich auf das Essen, da das Training heute ziemlich anstrengend gewesen war.

„Also, Tillie", sagte Mom nach einer Weile.

Ich sah zu ihr auf. War ja klar, dass dieses Essen irgendeinen Hintergrund hatte. Mit ernster Miene sah sie mich an und ich schluckte. Sie musste es bemerkt haben. So illusioniert, wie ich in letzter Zeit war, musste sie es bemerkt haben. Oder sie hatte uns gesehen oder jemand anderes hatte uns gesehen und sie hatte über Dritte davon gehört...

„John hat um meine Hand angehalten."

„W-was?"

„John hat mich zu Silvester gefragt, ob ich seine Frau werden möchte."

Ich ließ den Blick sinken. So endete es also. Was auch immer es war zwischen Dale und mir, jetzt und heute würde es enden. Und wir würden offiziell eine Familie werden. In meinem Kopf herrschte Leere. Ich legte meinen Burger auf dem Teller ab.

„Wow", sagte ich leise. „Ich... herzlichen Glückwunsch."

Mom räusperte sich. „Ich habe Nein gesagt."

Überrascht blickte ich auf. „Was? Warum?"

„Weil... ich nicht wollte. Ich konnte nicht. Wir haben viele Probleme, Tillie. Viele. Und er meint diese immer mit großen Schritten in eine gemeinsame Zukunft lösen zu wollen. Zusammenziehen. Heiraten. Womöglich noch weitere Kinder." Mom schüttelte den Kopf. „Ich konnte nicht mehr."

Ich betrachtete meine Mutter erstaunt. Wie oft hatten sie und John sich gestritten? Und wie war mir nicht aufgefallen, dass ich sie die letzten zwei Wochen quasi nie zusammen gesehen hatte? Entweder war John lange im Büro oder Mom war mit Freunden verabredet gewesen.

Und auch vorher schon. Der Streit vor der Regionalmeisterschaft, wozu John nicht mitgekommen war. Als Dale und ich gelernt hatten. Als wir zu Weihnachten nur meine Großeltern besucht hatten, anstatt auch mit John und Dale ihre Verwandten zu besuchen oder umgekehrt. Entgeistert realisierte ich, wie ich die letzten Wochen überhaupt nichts davon wahrgenommen hatte, was um mich herum passierte.

„Es tut mir so leid, Mom", flüsterte ich und griff nach ihrer Hand.

„Danke, Tillie", sagte sie traurig, „Aber ich blicke zuversichtlich in die Zukunft. Und ich bin froh, dass ich auf deinen Vater gehört habe und das Haus nicht verkauft habe..."

„Dad? Hat das was mit ihm zu tun?"

Mom nahm ihre Hand aus meiner und senkte den Blick. „Nein, natürlich nicht. Aber... ein bisschen vielleicht. Du bist nicht die Einzige, die dieses Jahr wieder Kontakt zu ihm aufgenommen hat."

Ich konnte es nicht fassen. „Mom. Du erinnerst dich vielleicht noch daran, wie es dir ging, nachdem er uns verlassen hat?"

Mom schüttelte langsam den Kopf. „Er hat uns nicht ‚verlassen', Tillie. Wir haben uns einvernehmlich getrennt. Er wäre nie gegangen, wenn ich ihn nicht dazu gedrängt hätte, als er damals die Option hatte, nach New York zu gehen."

Verwirrt sah ich sie an.

„Auch wir hatten viele Probleme. Andere als John und ich, aber die haben sich ziemlich auf uns und unsere Beziehung ausgewirkt. Und natürlich auf dich. Ich wollte nicht, dass du in einem Haus aufwächst, wo nur herumgeschrien wird und wir nur zusammenbleiben, damit du nicht mit der Scheidung deiner Eltern klarkommen musst. Ich dachte, es wäre das Beste so", sagte Mom und sah mich fragend an.

Ich war damals an meinem Tiefpunkt angekommen, doch als es wieder bergauf ging, musste ich zugeben, war es zuhause nicht mehr so schrecklich angespannt, wie vor der Scheidung meiner Eltern. Ich nickte langsam.

„Ich denke, das war es. Aber... und jetzt? Jetzt redet ihr wieder miteinander oder sogar mehr?"

Nachdenklich sah Mom aus dem Fenster. „Wir reden wieder miteinander, ja." Sie atmete tief durch und sah mich dann wieder an. „Dein Dad und ich waren fast zwanzig Jahre zusammen. Das ist eine ziemlich lange Zeit. Und wir haben ein Kind, dich, zusammen. Er wird nie für immer aus meinem Leben verschwinden. Und ich werde ihn auch immer lieben, Tillie. Aber ob wir noch einmal zusammenfinden, weiß ich nicht."

Ich seufzte. Früher war ich immer davon ausgegangen, dass sich das Leben, wenn man in dem Alter meiner Mutter war, eingependelt hatte. Familie, Beruf, Hobbys, Freunde. Dass es doch so viele Unsicherheiten und Veränderungen in Moms Leben gab, gab mir ganz schön zu bedenken.


Wir aßen unsere Burger auf und machten uns dann auf zu unserem alten Haus. Mom hatte heute Nachmittag früher Schluss gemacht und im Haus schonmal die Heizung aufgedreht. Viele Möbel hatten wir sowieso zurückgelassen, sodass wir uns auf dem Sofa unter diversen Decken einkuscheln konnten, die Mom mitgebracht hatte. Sie holte von der Terrasse einen Wein, den sie uns einschenkte und den Rest des Abends verbrachten wir weintrinkend und unterhielten uns seit einer Ewigkeit das erste Mal wieder richtig miteinander.

Als ich es mir einige Zeit später leicht angetrunken auf meinem alten Bett gemütlich machte, nachdem ich noch etwas gegen die Heizung getreten hatte, damit sie nicht wieder ausging, sah ich auf mein Handy. Dale hatte mehrere Male versucht mich anzurufen.

Ich ging schwer davon aus, dass auch er heute die Nachricht bekommen hatte. Kurz überlegte ich, ihn anzurufen, doch ich wusste nicht so ganz genau, was ich von dem Beziehungsaus unserer Eltern denken und zu ihm sagen sollte. Schließlich legte ich mein Handy neben mein Kissen, ohne mich bei ihm zu melden.

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