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Zitternd lief ich am nächsten Morgen zu Dales Auto. Der Boden war gefroren und trotzdem kam vom Himmel nur ein leichter Schneeregen, der sich zu meinen Füßen zu Matsch verwandelte.

Dale saß bereits im Auto als ich einstieg und drehte gerade die Heizung voll auf. Im Auto war es beinahe noch kälter als draußen. Ich versuchte, das Klappern meiner Zähne zu unterdrücken und rieb mir nur ein wenig die Arme, doch Dale merkte es natürlich und wickelte seinen Schal ab.

„Komm her", forderte er mich auf, aber ich sah einfach weiter durch die Windschutzscheibe. Vor meinem Gesicht konnte ich meinen Atem sehen, so kalt war es. „Tillie!", drängte Dale und zupfte an meiner Jacke. 

Widerwillig drehte ich mich in seine Richtung und bekam dann seinen Schal um den Kopf gebunden. Er strich mir noch eine Strähne meiner Haare hinters Ohr und ließ seine Hand dann an meiner Wange liegen. Wie selbstverständlich neigte ich meinen Kopf in seine warme Hand. Er lächelte und strich sanft mit seinem Daumen über meinen Wangenknochen.

„Besser?", fragte er.

„Mhm", machte ich und nickte in seine Hand.

„Tut mir leid, aber die Hand brauche ich beim Fahren. Jedenfalls zu Anfang." Langsam entzog er mir die Hand und ich kuschelte mich tiefer in den Schal rein.

Dale fuhr los und warf mir immer wieder Blicke zu. Ich betrachtete ihn von der Seite. Selbst in der dicken Winterjacke sah er verdammt gut aus. Als er mich wieder ansah und feststellte, dass ich ihn beobachtete, streckte er seine Hand aus und legte sie auf meine aus Eisklötzen bestehenden Hände. Ich nahm sie zwischen meine Hände und hielt sie bei mir.

Überrascht sah Dale auf unsere verschlungenen Hände und als er wieder nach vorne blickte, machte sich ein zufriedenes Lächeln auf seinen Lippen breit. Den Rest des Weges lauschten wir nur noch der ruhigen Musik aus den Lautsprechern, die, die er immer wieder in seinem Zimmer abgespielt hatte, und ich döste auch wieder etwas ein, während ich seine Hand fest zwischen meinen hielt.

Beim Training am Morgen machte Dale extrem gute Zeiten und auch am Nachmittag ließ er alle anderen links liegen. Der Coach versuchte seine Freude zu unterdrücken und seine Professionalität zu wahren, nahm ihn aber am Ende doch noch zur Seite und redete auf ihn ein, während Dale breit grinste und nickte. Immer wieder sahen wir uns an, bis Carter es am Nachmittag mitbekam, wie ich Dale anstarrte und mich darauf ansprach. Ich wimmelte ihn irgendwie ab und ließ meine Blicke ab da nicht mehr so auffällig über Dale wandern, während ich seine aber umso intensiver auf mir spürte.

Nach dem Training war ich mal wieder die Letzte, die die Halle verließ. Ich hatte mir noch ein wenig die Haare geföhnt, damit sie draußen nicht einfroren. Es war schon richtig dunkel, als ich zum Parkplatz ging und ich meinte ein paar Schneeflocken wahrzunehmen.

Mein Herz fing an schneller zu schlagen, als ich mich zu Dale ins Auto setzte und er mich mit großen Augen ansah. Irgendetwas hatte sich im Laufe des Tages zwischen uns geöffnet und Dales Blicke, die er mir die Fahrt über zuwarf, zeigten seine Sorge darüber, dass ich mich wieder verschließen könnte. Aber in mir hatte sich eine seltsame Ruhe gebildet. Als ob ich mir endlich eingestanden hätte, dass ich etwas für ihn empfand.

Zuhause war es dunkel. Mom und John waren wohl noch einkaufen. Ich schälte mich aus meiner Jacke und den Schuhen und drehte mich dann zu Dale um, der mit mir vor der Garderobe stand und mich bereits anstarrte. Sein Blick tanzte nervös über mein Gesicht, ging dann aber in Richtung Wohnzimmer.

„Warte hier kurz. Ich muss dir was zeigen."

Er trabte davon und ließ mich im Flur stehen. Tief atmete ich durch, warf einen Blick in den Spiegel an der Garderobe und strich mir die Haare glatt.

„Du kannst kommen!", rief Dale.

Mit klopfenden Herzen bewegte ich mich ins Wohnzimmer. Dale hatte die Weihnachtsbeleuchtung eingeschaltet und nun konnte ich die gesamte Deko sehen, von der ich gestern nur die Hälfte mitbekommen hatte. 

Aus der Stereoanlage dudelte leise ein altes Weihnachtslied. Der Baum wirkte leuchtend noch imposanter und das Licht der Lichterketten über der Fensterfront war erstaunlich bescheiden und wirkte angenehm heimlich. Dale stand darunter und lächelte schüchtern.

„Wie schön!", sagte ich und erwiderte sein Lächeln, während ich auf ihn zuging.

„Nicht wahr", sagte er nickend und deutete dann nach draußen. „Und das Beste ist: Es schneit!"

Tatsächlich. Ich ließ meinen Blick auf die Terrasse wandern und trat näher an das Glas. Das wenige Weiß von vorhin hatte sich stark vermehrt. In dicken Flocken schwebte der Schnee durch die Gegend und hatte schon eine leichte Schicht gebildet. Lächelnd sah ich zu Dale hoch.

„Weißt du noch damals in der dritten Klasse, als wir die Weihnachtsgeschichte aufgeführt haben?", fragte Dale und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Du warst der Stern von Bethlehem."

„Ich erinnere mich daran, ein schreckliches Kostüm aus gelben Tüchern getragen zu haben", erwiderte ich grinsend.

Dale nickte. „Ich fand es schön. Ich habe nie einen schöneren Stern gesehen."

Ich schluckte.

„Das war das Weihnachten, als ich mit Mom den Mistelzweig aufgehängt habe. Und seitdem..." Dale zögerte und sein Blick ging betreten zu Boden. „Ich..." Er atmete geräuschvoll ein und aus und sah mir dann wieder in die Augen.

„Tillie", sagte er dann, „seit ich mich in der dritten Klasse das erste Mal in dich verliebt habe, habe ich gehofft, eines Tages mit dir unter einem Mistelzweig zu stehen."

Mein Mund öffnete sich vor Erstaunen. Ich konnte nicht glauben, dass Dale das gerade wirklich gesagt hatte. Nervös zuckten seine Mundwinkel und er deutete mit seinem Blick nach oben. Ich hob den Kopf und bemerkte erst jetzt, dass wir direkt unter dem Mistelzweig standen. Mein Mund verzog sich zu einem Lächeln, als ich Dale wieder ansah.

Erleichterung machte sich auf seinem Gesicht breit und er trat einen Schritt näher, bevor er mein Gesicht in seine Hände nahm und seine Lippen sanft auf meine legte. Ich weiß nicht, ob es am weihnachtlichen Ambiente lag oder daran, was er gerade gesagt hatte, aber dieser Kuss war anders als die vorherigen. Es lag keine Eile darin und auch keine Lust. Es war... liebevoll.

Dale strich sacht über meine Wangen, während unsere Lippen sich langsam erkundeten. Meine Hände wanderten an seinen Nacken und von da aus in seine Haare und ich fühlte, wie sein Mund sich zu einem Lächeln verzog. Eine Hand legte sich an meinen unteren Rücken und er zog mich an sich, während mich sein Duft umschwirrte und meine Knie weich werden ließ.

Als sich unsere Lippen nach einer Ewigkeit voneinander lösten, blieben unsere Körper engumschlungen. In Dales Blick lag eine Zärtlichkeit, während er meine Wange streichelte und mich sanft im Takt der Musik wiegte, die mein Herz schneller schlagen und mich wünschen ließ, dass dieser Moment nie vorbei gehen würde.

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