Kapitel 40

3.2K 90 4
                                    

„Tiana, ich habe dich gefragt, wer das war. Antworte mir doch." sagt Alexander. Man kann deutlich seine Verzweiflung hören. „Keiner war das. Ich habe mich vorhin nur blöd gestoßen." Diese Lüge ist sowas von unglaubwürdig. Seufzend dreht sich Alex um und geht ein paar Schritte zu Ben, um mit ihm etwas zu bereden. Hoffentlich muss ich nicht hierbleiben, dass will ich nun wirklich nicht. Meistens ist doch eh immer jemand zu Hause, dann muss ich nicht hier im Krankenhaus bleiben. Es wird schon nichts zu Hause passieren, da bin ich mir sicher.

„Ok, hast du Kopfschmerzen?" fragt Alex, als er wieder zu mir kommt. Zögerlich schüttle ich meinen Kopf. Wenn ich jetzt ehrlich sein würde, würde ich bestimmt nicht mehr hier rauskommen. „Tia, lüg mich nicht an. Ist dir denn schlecht?" Wenn er alles besser weiß, dann muss ich auch nicht mehr antworten. Ich bleibe stumm und sehe ihn auch nicht mehr an. „Nun gut, wenn du mir nicht antwortest, dann machen wir noch schnell ein Schädel-CT und danach bekommst du ein schickes Zimmer." fährt Alex fort. „Nein! Ich will nach Hause. Bitte, es ist doch eh immer jemand zu Hause. Ich will nicht hier bleiben, bitte." flehe ich ihn an. Nachdenklich blickt mich mein Bruder an. Er redet mit einer Schwester, die mich dann zu diesem komischen CT, oder wie auch immer das heißt, bringt.

Zum Glück ist alles ziemlich schnell verlaufen und mit ein bisschen Überredungskunst kann ich Alex wirklich davon überzeugen, nach Hause zu gehen. Ben und ich befinden uns gerade im Auto auf dem Weg zu unserem Haus. „Warum hast du kein Insulin genommen? Du weißt doch, dass es wichtig ist." sagt plötzlich Ben und mustert mich kurz von der Seite, bevor er wieder auf die Straße blickt. „Ehm ... ich hab's vergessen. Die Schule war so stressig." sage ich leise. Meine Stimme zittert leicht, was natürlich gar nicht auffällig ist. Glücklicherweise sagt Ben dazu nichts mehr.

Zu Hause angekommen, will ich direkt auf mein Zimmer, um mich endlich wieder etwas entspannen zu können. „Tia, du bleibst hier unten. Leg dich auf die Couch. Ich will dich im Auge behalten. Nicht dass es dir wieder schlechter geht und du oben liegst und keiner davon etwas mitbekommt." meint Benjamin. Trotzig schmeiße ich mich auf die Couch und schalte den TV ein. Nach kurzer Zeit bin ich allerdings auch schon eingeschlafen.

Plötzlich schrecke ich hoch. Ich schaue in Ben's besorgtes Gesicht. Was ist passiert? Langsam schaue ich mich um, damit ich mich wieder orientieren kann, wo ich bin. Ich liege noch immer im Wohnzimmer auf der Couch. „Tia, ist alles ok? Was war denn los?" fragt Ben fürsorglich. Was los war? Ja, das wüsste ich auch gerne. Mein Puls rast nach wie vor unaufhaltsam. „Hörst du mich?" fragt wieder Ben, weil ich ihm noch keine Antwort gegeben habe. Langsam nicke ich. „Was ist passiert?" frage ich mit brüchiger Stimme. Erst jetzt merke ich, dass mein ganzes Gesicht von Tränen übersäht ist. „Du hast geschrien. Daraufhin bin ich zu dir geeilt. Du hattest anscheinend einen Alptraum. Geht's wieder?" sagt Ben. Langsam prasselt dieser furchtbare Traum auf mich nieder. Ich kann mich wieder erinnern. Warum? Warum hatte ich schon wieder diesen gleichen Alptraum, der mich schon so lange verfolgt? In letzter Zeit konnte ich endlich wieder ohne Zwischenfälle schlafen und jetzt sind sie wieder da. Hier bei meinen Bruder war alles gut. Bis auf ein einziges Mal hatte ich keine Alpträume mehr. „Ich hole dir mal ein Glas Wasser. Deine Lippen sind ganz trocken. Du musst etwas trinken." meint Ben und ist auch schon aufgestanden und in der Küche verschwunden. In meinen Gedanken spielt sich wieder diese Szene von damals ab. Als sich Mama ... Und ich habe sie gefunden. Tot im Bad. Überall war dieses Blut. Ihr Blut. Aber das war erst die Spitze des Eisberges. Danach hat mein Vater angefangen mich zu schlagen. Immer und immer wieder aufs Neue war mein Körper blau und lila. Warum musste sich meine Mama nur das Leben nehmen? Es wäre heute noch alles ganz normal, wenn sie noch hier wäre.

„Hier. Trink mal was." Ben übergibt mir das Wasserglas und ich trinke es gleich komplett leer. Ich war echt durstig. „Ist wieder alles ok?" fragt er immer noch mit dem gleichen besorgten Gesicht. „Ja, geht schon." meine ich. „Wollen wir vielleicht gemeinsam einen Film schauen?" fragt Benjamin nach einer Weile. Ich nicke. Der Film lenkt mich zum Glück von meinen Gedanken ab.

Ich konnte so gut in den letzten Wochen meine Vergangenheit verdrängen, doch jetzt scheint sie mich wieder einzuholen. 

Twisted Life   (Big Brother Story)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt