31 | Illusion

83 5 14
                                    

Violet

Ich konnte meinen Augen nicht trauen und hoffte zur Abwechslung mal, dass ich gerade vor Schmerzmitteln halluzinierte, doch als ich zu Sol hinüber sah, sah diese mich genauso überrascht an.
„Die zwei sollten sich ein Zimmer nehmen, wenn sie nicht gerade am abkratzen wären", kommentierte sie sarkastisch und richtete sich auf.
Richtig. Sol wusste ja nichts von Thomas und mir.

Ich im Gegensatz war keineswegs amüsiert. Immer noch völlig in Trance sah ich die beiden in sicherer Entfernung, wie sie sich da auf dem Boden des Daches in den Armen lagen und sich innig küssten, da gab es keinen Zweifel.
Dieses Bild würde ich sicherlich niemals aus dem Kopf bekommen.
Ich musste aber meine eigene Gefühle hinten an stellen. Es war gerade wichtiger Thomas überhaupt hier auf das Flugschiff zu bekommen, doch ich wusste, dass ich selbst nicht viel ausrichten konnte.
So sehr ich es auch wollte, ich schaffte es einfach nicht mich aufzurichten.
Mein Körper arbeitete gegen mich und obwohl es sich so anfühlte, als würde ich irgendwie hochkommen, dabei bewegte ich mich maximal einen Zentimeter.

Zum Glück hatte Sol die anderen gerufen, sodass sie jetzt in Richtung der heruntergelassenen Klappe stürmten und aufgebracht „Thomas!", schrieen.
Meine vorherige Eifersucht war beinahe wie weggeblasen. Stattdessen war ich völlig mit Angst und Sorge durchtränkt und betete innerlich, dass sie es schaffen würden, doch meine Augen drohten immer mehr und mehr sich zu schließen. Das Schmerzmittel war einfach nicht stark genug, wobei ich mir eigentlich sicher war, dass es das rein von der Konstruktion her doch eines der stärksten Schmerzmittel war, das es in unserer Welt noch so gab.
Also sollte ich es wohl anders beschreiben: meine Wunde war einfach zu groß.

Mein Kopf war im Kampf mit meinem Körper. Ich wollte helfen. Ich musste helfen. Ich war gerade nicht wichtig, es musste Thomas gut gehen.
„Thomas!", rief ich hilfesuchend, was am Ende bloß als zartes Flüstern hervor kam.

Doch es sollte das letzte sein, was ich sagte, bevor endlich alles schwarz vor meinen Augen wurde.
Die Schmerzen verschwanden, der Geruch nach Feuer war schlagartig verflogen und endlich hörte der Lärm und das Geschrei auf.
Frieden. Gab es ihn wirklich?

Unendlicher, ewig währender Frieden. Eine Welt, in der es kein WCKD, kein Virus und keine Cranks gab.
Aber auch keinen Newt, keinen Thomas, keine Freunde und keine Lluvia.
Ich konnte nicht tot sein. Das konnte nicht wahr sein!

Ich bin mir sehr sicher, dass die folgende Sequenz ein Hirngespenst meinerseits war, welches schwer von der Überdosis an Schmerzmitteln beeinflusst wurde.
Doch, als ich meine Augen öffnete war da nichts. Absolut nicht, reine Dunkelheit, bloß Stimmen.
Stimmen, die wirr durcheinander redeten und kein einziges Wort sagten, das Sinn ergab.
Es dauerte sicherlich einige Minuten, bis ich endlich ein einzelnes Wort entnehmen konnte. So lange hatte es gedauert, bis mein Bewusstsein wieder einsetzte.

„Violet!", war dieses einzelne Wort.
Verunsichert blickte ich mich um. Die Stimmen kamen mir ungemein bekannt vor, doch ich konnte sie nicht zuordnen.
„Hallo?", rief ich laut in der Hoffnung, dass die zugehörigen Personen sich auch mal zeigen würden.
Auf einmal tauchte direkt vor mir eine Lichtquelle auf, welche leider nicht hell genug war, dass ich alles um mich herum sehen konnte, doch ich konnte den Boden erkennen.
Gras.

Und wie aus dem Nichts erschienen vor mir die Personen, zu denen die Stimmen gehörten und ich konnte nicht glauben was ich da sah.
Mein Herz sank tiefer, als unter die Erde und meine Sicht verschwamm durch die Tränen, die mir in die Augen stiegen.
„Jeff..? Zart..? Winston.. Chuck.. was tut ihr denn hier?", flüsterte ich mit gebrochener Stimme und glaubte nicht, dass das gerade real war.
Doch sie waren es. Egal, wie unmöglich das war, ich sah meine Freunde vor meinen Augen. Genauso wie ich sie in Erinnerung hatte.
Sie lächelten mich fröhlich an, auch genauso wie damals.

„Ihr seid keinen Tag gealtert", stellte ich schwer lachend fest und wischte mir über die Augen, um die Tränen los zu werden.
Winston war es, der als erster einen Schritt auf mich zu machte und sanft seine Hand auf meine Schulter legte.
Ich spürte sie. Ich hatte keine Ahnung, wie das möglich sein sollte, doch ich spürte den Druck auf meiner Schulter, was der ultimative Auslöser dafür war, in Tränen auszubrechen.
Ich zerbrach innerlich. Erneut.
Es war, als würde endlich all die Last von meinen Schultern fallen und ich konnte endlich wieder atmen.

Nun taten auch die anderen drei einen Schritt nach vorne und schloßen mich in ihre Arme, sodass ich endlich loslassen konnte.
„Violet, du musst zurück. Du gehörst hier nicht her.", rief Chuck eindringlich, nachdem wir uns gelöst hatten, doch ich schüttelte den Kopf ohne viel darüber nachzudenken.
Ich wollte diesen Schmerz für immer los sein und hier gab es ihn gar nicht erst, hier war alles so einfach.
Ich vergaß vollkommen was ich aufgeben würde.

„Ich wurde von einem großen Glassplitter getroffen. Ich denke mal, dass die Verletzung zu groß war.", flüsterte ich seufzend und blickte an mir herunter, woraufhin ich stutzig wurde.
Der Verband war weg, die Wunde war weg.

„Ihr gehört hier auch nicht her. Ihr hättet niemals hierher kommen sollen. Es tut mir so leid, dass", doch Jeff schnitt mir das Wort ab.
„Machst du Scherze? Violet, du musst dich nicht entschuldigen. Ihr habt es geschafft, ihr seid frei und wenn es nötig war, dass wir jetzt hier sind, dann bereuen wir nichts, ok?"
Wieder konnte ich nur den Kopf schütteln, wobei mir noch mehr Tränen über die Wangen rannten.
„Ich hätte alles besser machen müssen.", schluchzte ich laut und von allen Kräften verlassen, doch nun waren es die anderen, die fast synchron mit dem Kopf schüttelten.

„Vio, du musst zurück.", betonte nun Winston noch einmal eindringlich und ich wusste auch, dass er recht hatte. Wenn ich es noch konnte, dann musste ich unbedingt zurück zu meiner Familie. Doch es fühlte sich hier gerade einfach zu schön an. Ich wusste doch genau, in was für einer Welt ich wieder aufwachen würde und war dabei nicht mal sicher, ob Thomas überhaupt noch lebte.
„Wieso kann ich nicht beides haben..", langsam hatte ich mich wieder etwas beruhigt und meine Tränen unter Kontrolle, „Wieso könnt ihr nicht mitkommen? Wieso musstet ihr so früh gehen? Das habt ihr nicht verdient."

„Natürlich nicht, Vio. Niemand von uns hat das, aber du hast es auch nicht verdient mit einer Schuld auf deinen Schultern zu leben, die nicht deine ist. Du bist nicht Schuld an dem was passiert ist.", flüsterte Zart und sah mir dabei tief in die Augen, als könnte er meine Gedanken lesen.
Ich musste sofort wieder losheulen und kam mir dabei total albern vor. Die vier waren so stark und edelmütig und ich war am zerbrechen. Ich war bereits zerbrochen.
Ich verfiel in einen richtigen Heulkrampf und konnte bloß abgehackte Worte aus mir heraus zwingen.
„Ich kann das nicht, ich kann nicht", wimmerte ich und klammerte mich an meine Freunde.
„Ich will euch nicht wieder gehen lassen! Ich kann euch nicht noch einmal verlieren.."

Ich versuchte mit aller Kraft diese Illusion vor mir aufrecht zu halten, doch sie verblasste langsam.
Ich sah nur noch Jeff, der vor mir stand und mich sanft anlächelte.
„Lebe, Vio.
Leb für uns und vor allem, leb für dich.", flüsterte er, während auch seine Stimme langsam immer mehr verschwand. Doch ich konnte ihn nicht loslassen.
Ich wollte ihn mitnehmen, auch wenn das unmöglich war.
Sein Bild entglitt mir und seine Silhouette verschwand in der Dunkelheit, sodass ich nur panisch nach ihm rufen konnte.

„Jeff!", brüllte ich laut und ein stechender Schmerz durchfuhr meinen Oberkörper. Reflexartig griff ich nach meinen Rippen und ertastete eine warme Flüssigkeit.
Blut.

Der Schmerz wurde immer stärker, sodass ich die Augen zusammenkniff und mich total verkrampfte.
Kreischend versuchte ich irgendwie ein wenig Druck abzulassen, doch nichts half, bis ich ruckartig die Augen aufschlug.

Ich war wach.

Violet 3 - The Death Cure Where stories live. Discover now