46 / Vergebung

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Newt

Violet sprach so schnell, dass ich Schwierigkeiten hatte ihr zu folgen, doch dieses eine Wort hatte ich ganz sicher raus gehört und es verblüffte mich so sehr, dass ich kurz dachte, ich hätte mich doch irgendwie verhört.

„Mit deinen Gefühlen?", platzte es unfreiwillig aus mir heraus.
Ich war von dieser Aussage so geschockt, dass ich darüber vollkommen vergaß ihr die Vermutung, mit der sie vollkommen - und ich sage euch WIRKLICH vollkommen auf dem Holzweg war, auszureden.
Violet hielt selbst in ihrem Gedanken inne und schien jetzt erst zu realisieren, was sie überhaupt alles gesagt, oder eher preisgegeben hatte. Zu Impulsivität hatte sie ja schon immer geneigt.

„Was für Gefühle meinst du?", fragte ich fast schon hoffnungsvoll.
Ich Neppdepp.
Sie wusste nämlich ganz genau, wie sie diese Hoffnungen sehr schnell zu Nichte machen konnte.
„Das Gefühl verarscht zu werden, Newt. Erst küsst du mich gegen meinen Willen und dann schleichst du dich anschließend zu meiner Schwester und verbringst die Nacht mit ihr? Ist das dein Ernst?"
Dass sie das mit dem Kuss so einfach raushaute, machte es für mich nicht gerade einfacher nicht im Boden zu versinken vor Scham.
Aber schließlich hatte ich den Fehler begangen und musste jetzt mit den Konsequenzen leben und umgehen können.
In ihrem Blick lag so viel Wut, die versuchte ihre Enttäuschung zu verbergen, doch ich konnte es ihr genau ansehen.

„Violet, du verstehst das nicht. Ich war nicht bei Sol.. das war..
Gally."

An ihrer Mimik konnte ich genauestens ablesen, was sie dachte.
Zuerst glaubte sie mir nicht. Ich sagte jedoch die Wahrheit und das schien sie mir auch langsam ansehen zu können.
Ich hatte es selbst kaum glauben können, doch was viel unangenehmer war, war der Fakt, dass ich dachte, dass sie eben das auch gesehen hatte.
Ich hatte sie immer hin vor mir in die Hütte schauen sehen und hatte dann von weiter weg gesehen, wie Gally sich so heimlich wie möglich aus dem Staub gemacht hatte.
Deswegen hatte ich sie doch überhaupt erst gefragt, ob sie okay wäre.

Okay sah sie nicht aus, ganz im Gegenteil.
Den Boden anstarrend ließ sie sich auf einen umgekippten, dicken Holzstamm nieder und schüttelte immer noch völlig ungläubig mit dem Kopf.
„Sol und Gally?! Das soll doch wohl ein schlechter Scherz sein. Warum denn ausgerechnet der?!"
Die Schwarzhaarige sah derart angeekelt auf ihre Schuhe, dass es fast ein wenig lustig aussah und mich zum Schmunzeln brachte.
Sehr unpassend im Angesicht der Tatsachen.
Ich kam mir komisch dabei vor, so vor ihr zu stehen, weshalb ich mich einfach neben sie setzte.
Ich wusste nicht, wem sie alles von der Sache mit Gally erzählt hatte und ich wollte für sie da sein in dieser Hinsicht.

„Sie hat keine Ahnung, was damals passiert ist, oder?"
Ich versuchte wirklich mich so vorsichtig wie möglich an das Thema heranzutasten, weil ich nicht wusste, in wiefern sie auf die Konfrontation mit diesem traumatischen Ereignis reagieren würde.
Und sie schien es sehr schwer aufzunehmen.
Ihre Hände wurden augenblicklich unruhiger und ihr ganzer Körper schien sich zusammen zu ziehen und klein zu machen.
Es tat weh sie so zu sehen.

„Ich hab es ihr nie erzählt. Warum auch? Gally war tot und ich wusste nicht, dass sie irgendwas miteinander zu tun hatten.", flüsterte sie hilflos und schüttelte nach wie vor ungläubig den Kopf.
„Auf der Lichtung waren sie ... ich weiß nicht, was da gelaufen ist, aber sie hatten da schon eine enge Verbindung. Sie wollten sogar zusammen sterben, vergiss das nicht.", erinnerte ich sie und mich selbst und dachte zurück an die Zeit damals.
Nur für einen Augenblick.

„Aber damals war sie Madison, sie war ganz anders."
Verzweifelt vergrub Vi das Gesicht in den Händen und atmete tief durch.
Ich wollte sie am Liebsten in den Arm nehmen, sie irgendwie aufmuntern oder ihr zumindest etwas Halt bieten, aber egal was ich jetzt tun würde, es würde wahrscheinlich alles nur schlimmer machen und deshalb tat ich einfach nichts.

„Sie erinnert sich aber trotzdem an die Zeit mit ihm und alles, was sie erlebt und durchgestanden haben.
So eine Verbindung verliert man nicht einfach, nur weil man einen anderen Namen und andere Erinnerungen hat." Ruhig sah ich sie am, während ich bemerkte, dass man diese Worte nicht nur auf Sol anwenden konnte..
Das war nicht mal meine Absicht gewesen.
Das war es nie, es passierte nur manchmal einfach, wenn man... so war wie Violet und ich es waren.

„Ich weiß es nicht, Newt."
Glücklicherweise schien sie den ungewollten Wink nicht verstanden haben, denn der hätte sie noch mehr belastet und das wollte ich einfach nicht mehr.
Was sie brauchte war einen Freund. Einen richtigen Freund, der unvoreingenommen für sie da war und das wollte ich für sie sein.
Immer hin schien sie sich etwas zu öffnen.
„Sollte sie jemals die Wahrheit herausfinden, wird sie Gally das niemals verzeihen. Sie wird ihm die Augen auskratzen!", rief die Dunkelhaarige schon fast besorgt und sah mich anschließend aus leeren, traurigen Augen an.
Es war irre, wie sie selbst bei solch einer Situation immer noch zuerst an die anderen dachte. 

„Was ist denn mit dir, Violet? Wie ist es mit deiner Vergebung?"
Es ging mir nich darum, wie es zwischen Sol und Gally weitergehen würde, wie Sol Gally sehen würde.
Ich wollte wissen, was in Violet abging, was sie fühlte.
Einige Sekunden sah sie mich einfach nur an und sagte nichts.
Ich wusste dabei nicht, ob sie einfach überlegte, oder ob sie die Antwort bereits die ganze Zeit wusste und sie bloß nicht sagen wollte.
Letzteres kam mir aber eher wie Vio vor.

„Das wird wohl von mir erwartet, oder? Immer hin ist es lange her und ohne ihn wären wir jetzt nicht hier, wäre ich wohl nicht mehr am Leben.
Erwartest du das von mir?"

Jetzt dachte ich nach.
Und auch ich wusste die eigentliche Antwort sofort. Nur wusste ich nicht, wie ich sie übermitteln sollte.
Langsam sah ich hinunter auf den Sand zwischen meinen Füßen und überkreuzte die Arme vor der Brust.
„Ich erwarte gar nichts. Und du solltest nichts darauf geben, was angeblich von dir erwartet wird.
Wie es in der aussieht ist etwas, was nur dir gehört.", antwortete ich nach einer Weile entschlossen, unsicher darüber, ob sie die Nachricht meiner Antwort erhalten hatte.
Doch Vio war schlau, verdammt schlau.
Schlau und zu nett, immer noch. Weil ich genau das wusste, wusste ich auch, wie schwer es ihr gefallen sein musste, den nächsten Satz zu formulieren.

„Ich konnte ihm nicht vergeben."

Violet 3 - The Death Cure Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt