39 | Am Ende des Tages

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Newt

Besonders gut hatte sich das gerade nicht angefühlt, aber ich bereute es auch nicht. Ich hatte wirklich lange, sehr lange über Pfanne's Worte nachgedacht und hatte seine Worte wirklich auf mich wirken lassen.
Selbst wenn meine Worte vielleicht nicht hundert Prozent der Wahrheit entsprochen hatte - das wusste ich nämlich nicht, wollte ich mich nun wirklich auf mich selbst konzentrieren.
Wenn man es sehr drastisch ausdrücken wollte, dann konnte man ja schon sagen, dass ich „von den Toten auferstanden war".
Und Lluvia. Ich hatte sie bloß einmal gesehen und ich liebte sie. Egal wie verrückt das auch klingen mag, ich liebte sie.

Ich musste sie einfach kennenlernen und ich hatte keine Zeit dabei an andere Sachen zu denken.
Drei Jahre ihres Lebens hatte ich bereits verpasst, viel zu viel.
Zu lange hatte ich das Leben bloß als einen aufgezwungenen Zustand gesehen und darüber zu oft vergessen, dass es vielmehr eine Gelegenheit war.

Doch gab es eine Sache, die mich schrecklich störte und auch sehr tief traf.
Ich war allein.
Nicht, dass das etwas Neues für mich war, immerhin hatte ich die letzten drei Jahre allein verbracht.
Doch jetzt, wo ich umzingelt war von so vielen Menschen die ich einst kannte und denen ich mal wichtig gewesen war, da tat es schon weh zu realisieren, dass ich im Prinzip zu niemandem gehen konnte.
Es war, als gäbe es auf der Welt niemanden mehr, der sich um meine Existenz scherte.
Meine „Freunde" hatten gelernt ohne mich zu leben.

Ruhig blickte ich aufs Meer und beobachtete die Wellen, wie sie gegen den Strand schlugen. Ich lauschte dem Rauschen und stellte mir vor, wie alles wäre, wäre es anders gelaufen.
Zwischen Violet und mir gab es noch so viel Unausgesprochenes, doch es war so viel Zeit vergangen.
Wozu alte Wunden aufreißen?
Und Thomas. Ich fühlte mich ihm gegenüber irgendwie schrecklich hin und hergerissen. Ich war einerseits schrecklich enttäuscht von ihm, andererseits konnte ich es - verrückter Weise, irgendwie verstehen. Trotzdem konnte ich es nicht verhindern mich zu fragen, ob er schon vorher in Violet... verliebt gewesen war.
Hatte er bloß darauf gewartet mich loszuwerden? Um freie Bahn bei ihr zu haben?

Mir war mittlerweile klar, dass nichts meine Fragen beantworten würde, außer ein Gespräch mit ihm.
Für diesen Tag waren es aber wirklich genug Gespräche gewesen und ich war völlig fertig mit den Nerven. Ich konnte sicherlich nicht einmal mehr selbst sprechen. Dementsprechend genervt war ich dann, als ich schon wieder irgendwelche Schritte hinter mir wahrnehmen konnte.

Um noch höflich zu bleiben atmete ich einmal tief durch ehe ich mich langsam umdrehte und dabei bereits: „Nimm's mir bitte nicht böse, aber ich bin nicht in der Stimmung zu reden" vor mich hin seufzte.

Als ich Violet's Gesicht dann allerdings erkannte, stoppte ich in meinem Ansatz und sah sie mit großen Augen an.
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie nochmal auf mich zu gehen würde.
Zumal ich ja nicht wusste, ob sie genau das gerade tat. Sie hätte ja auch einfach so rausgekommen sein.

„Entschuldige, dann später oder-"

„Ist schon ok. Was gibt's denn?"
Komisch. Es war fast, als spräche mein Mund ganz ohne dass ich irgendeinen Einfluss darauf hatte.
Anders als vorhin mied sie meinen Blick dieses Mal nicht, sondern sah mich direkt an.
Ihre Augen waren so voller Schmerz, dass es selbst mir einen leichten Stich verpasste.
Sie musste so viel mit sich tragen, ohne dass sie jemandem davon erzählte.
So eine schwere Last.

„Es tut mir leid.", flüsterte sie so leise, dass ich mich für einen Moment fragen musste, ob ich mich nicht verhört hatte.
„Was?", fragte ich also sicherheitshalber einmal nach.

Meine Augen suchten fast automatisch den Kontakt zu ihren, sodass sie schlussendlich aufeinander trafen und ich binnen einer Sekunde spürte, wie sich mein Herzschlag deutlich erhöhte.
Verdammt.

„Dass ich nicht.. dass ich dich nicht gesucht habe.
Ich hätte darum kämpfen müssen, dich mitzunehmen."

Warum hast du es nicht?

So egoistisch zu sein, diesen Gedanken zu äußern war ich nicht. Ich fühlte mich sogar schlecht, ihn überhaupt gehabt zu haben, aber Gedanken konnte man genauso wie Gefühle nun mal nicht kontrollieren.
Ich wollte gerade etwas darauf antworten, doch sie redete bereits weiter.
„Es gibt nichts, womit ich das entschuldigen könnte.
Und doch ist da so viel, was ich dir sagen will... sollte.
Ich weiß nur nicht, wo ich anfangen soll, deshalb lasse ich es erstmal, bevor nur Mist raus kommt.
Eine Sache hätte ich dir aber von Anfang an sagen können:
Du hast... Mir gefehlt."

Es war mir, als fiel eine schwere Last von mir und ich spürte sofort, wie mein Blick sanfter wurde und meine Knie auf einmal weich wurden.
Ich konnte ihr genau ansehen, wie viel Überwindung es sie gekostet hatte, diese Worte auszusprechen.
Drei Jahre waren vergangen und sie hatte so viel durchstehen müssen. Natürlich veränderte man sich.
Aber niemand konnte sich so sehr verändern, dass man die Person vollständig nicht mehr wieder erkannte.
Und ich würde Violet immer wieder erkennen.

Ich wusste nicht, wie weit ich gehen durfte, also trat ich recht langsam einen Schritt auf sie zu und musste mir fast ein Schmunzeln verkneifen.
Ein wenig konnte ich mich zurück an ihren ersten Tag auf der Lichtung hinein versetzen.
Diese Sache mit dem Stock, mit welchem sie mich fast verprügelt hätte. Da war ich nämlich genauso vorsichtig auf sie zu gegangen.

Meine Gedanken waren zwar gerade überall außer bei der Sache, aber ich wusste es in meinem Herzen noch immer ganz klar: ich liebte sie.
Mir war nicht klar wie und auf welche Art, doch da war etwas. Natürlich war es das.
Aber sie liebte jetzt jemand anderes und das war okay.
Leicht lächelte ich über diese bittersüße Tatsache, bevor ich sie in meine Arme zog und nun endlich fest umarmen konnte.
Es war okay.

Ob es wehtat? Und wie.
Es fühlte sich an, als wäre ich der einsamste Mensch der Welt.
Als liefe ich eine endlose Straße entlang und wüsste dabei bereits, dass ich das Ziel niemand erreichen würde.
Mir war zum Heulen zumute, doch ich würde das niemals vor ihr oder irgendwem anderen machen.

Stattdessen drückte ich Violet bloß so fest an mich, als würde ich mich von ihr verabschieden.
Und mental war das wohl auch so.
Die räumliche Trennung war eine Sache gewesen, doch sie jetzt hier jeden Tag zu sehen, mit jemand anderem?
Es war schon verrückt irgendwie.. alles was wir uns ausgedacht hatten, alle unsere Pläne..
Das hatte sie jetzt, nur ohne mich.
Ich war nicht mehr Teil davon.

Dieser Gedanke gab mir den Rest, sodass ich mit irgendeiner Ausrede schnell den Strand verließ und irgendwo zurück ins Lager ging, um mich anschließend bei den Schlafplätzen mehr oder weniger zu verstecken.
Ich war so schnell gegangen, dass ich niemandem auch nur ins Gesicht sehen konnte.
Mein Kopf drehte sich und in meiner Brust war dieser stechende Schmerz, der immer größer wurde.
Mit einer Hand drückte ich auf den Bereich, den linken Teil meiner Brust, von woher er gekommen war, während ich mich mit der anderen an einem Pfosten abstürzte und die Augen zusammen kniff.

Da war es aber bereits zu spät und die Tränen strömten nur so über meine Wangen und tropften fast in Zeitlupe auf den Boden.

Fuck tat das weh!

Irgendwann, als meine Beine endlich nachgegeben hatten, glitt ich auf die Knie und vergrub das Gesicht in den Händen.
Ich schämte mich richtig dafür, so viel zu weinen, aber es musste endlich alles raus.
Ich hatte nicht gedacht, dass man spüren können würde, wie einem das Herz zerbrach, aber es war so.

Es war mir egal, wie egoistisch ich war und wie viele Vorwürfe sie sich womöglich machen würde.
Ich war verletzt.
Dabei wollten wir uns nie wieder wehtun.
Wir hatten Pläne.. wir hatten Versprechungen, all das war am Ende nichts wert gewesen!

Was hast du mit mir gemacht?!
Sieh mich an!
Ich bin am Boden wegen dir! Weil du mich gebrochen hast.
Warum musstest du das tun..? Warum musstest du mir so weh tun, was habe ich getan um das zu verdienen?!

Jetzt wusste ich es wenigstens.
Nur Liebe konnte so weh tun.

Violet 3 - The Death Cure Where stories live. Discover now