49 | Act fool, act fool

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Newt

Mir war sehr wohl bewusst, dass Violet Gally noch an diesem Tag konfrontieren würde. Sie war immer hin schon immer einer recht impulsiven Natur gewesen.
Ich konnte es ihr nicht verübeln und ich verstand, in was für einem Dilemma sie sich befand.
Sicherlich wollte sie das Beste für ihre Schwester und deren potenzielles Glück nicht zerstören, doch sie traute Gally nicht und ich tat das auch nicht.
Ich hätte sie gerne unterstützt, doch leider hatte ich zeitgleich ein eigenes Problem vor mir liegen.
Ich wusste, dass ich früher oder später mit Thomas reden musste. Ich wollte ihn nicht hassen. Ich konnte ihn nicht hassen.
Wen hatte ich denn dann noch?
Ich wusste nicht, wie ich je auf ihn zugehen können würde, geschweige denn ein Gespräch beginnen könnte. Ich hatte so viele Fragen und so viel Wut in mir.
Es fühlte sich fast an wie eine dieser Phasen, die dann eintrat, wenn ich mein Beruhigungsmittel lange zeit nicht mehr bekommen hatte, damals bei WCKD.
Es schien aber so, als würde ich mir über all diese Sachen gar keine Gedanken machen müssen, da ich, sobald ich den Essbereich betrat, von meinem ehemaligen besten Freund in Empfang genommen wurde.
Wir hatten seither noch nicht wieder ein weiteres Wort miteinander gewechselt, doch jetzt stand er vor mir und sah mich aus großen Augen entschuldigend an.
Irgendwie war es ganz erleichternd zu sehen, dass auch ihm anscheinend keine Worte einfielen, denn alles was er tat, war in Richtung des Strandes zu nicken und mir damit zu bedeuten, ihm dorthin zu folgen.
Ihr dürft nicht vergessen, dass wir jahrelang engste Freunde gewesen waren und unsere Körpersprache und Mimik auswendig konnten.

Die Hände in den Hosentaschen meiner dunkelblauen Hose versteckt, folgte ich ein wenig unbeholfen dem Braunhaarigen zum rauschenden Meer, während ich mir sehr krampfhaft irgendwelche Sätze im Kopf zurecht legte.
Thomas setzte sich auf einen großen, flachen Stein, auf dem ich schlussendlich auch platz nahm und einfach nur den flachen Wellen zu sah, wie sie auf den Sand aufschlugen und sich darin verliefen.
Eine unangenehme Stille machte sich zwischen und breit und ich fragte mich, ob sich diese jetzt ewig lang ziehen würde.
Erwartete er etwa, dass ich zu erst sprach?

„Ich kann mir nicht ansatzweise die Dinge ausmalen, die sie dir da drin angetan haben."
Thomas' Stimme war nicht mehr als ein Hauchen, ein Gedanke und trotzdem konnte ich ihn ganz klar verstehen.
Auch wollte ich sehr ruhig und vernünftig darauf antworten, doch ich konnte nicht verhindern, dass sich ein leises Lachen zwitschern meinen Zähnen hervor stieß.
„Wollen wir uns jetzt gegenseitig bemitleiden?", stieß ich kopfschüttelnd hervor.
Ich konnte nicht über diese Zeit reden, ich konnte mir nicht mal erlauben, über diese Zeit nachzudenken, und vor allem darüber, was mit mir dann passieren würde, sollte ich es doch tun.

Außerdem wusste ich, dass es Thomas kein bisschen interessierte. Er brauchte nur eine Ausrede, um ein Gespräch zu beginnen.
Was erwartete ich eigentlich von ihm?
Eine Entschuldigung?
„Ich kann mir nicht vorstellen, wie du dich fühlst, auch jetzt.
Ich.. ich, verdammter Klonk, das kann doch nicht wahr sein."
Beinahe tat er mir etwas leid, so sehr wie we sich abmühte die Worte zu finden, also nahm ich es ihm schlussendlich ab, um ihn und mich zu erlösen.

„Wie ist es passiert...? Du und Violet.", flüsterte ich, ohne ihn dabei anzusehen.
Die Worte brennten wie Säure auf meiner Zunge und in meinem Herzen.
Ich wollte mir die Dinge, die sie getan haben nicht ausmalen.
Niemals hatte ich das gedacht.
Und auch wenn ich ihm keines Blickes würdigte, spürte ich seine durchdringenden Blicke auf mir.. und spürte dabei, wie es langsam in meinem inneren zu kochen begann... vor Wut.
Ich hatte bereits Angst, was als nächstes passieren würde, doch noch hielt ich mich ganz gut zurück.
Es war dieses Virus-Gen, was mich manchmal so schwanken ließ.

„Wenn ich dir das genau erklären könnte, würde ich es, Newt.
Es ist einfach.. mit der Zeit.
Wir wollten das nicht, verdammt nochmal, ich habe mich mit allen Mitteln versucht dagegen zu wehren.
Dich zu verlieren, hat sie so zerbrochen, du kannst es dir nicht vorstellen. So schlimm, dass ich dachte, wir verlieren sie auch noch.
Sie sprach nicht, sie aß nicht, sie kam nie aus ihrem Zimmer raus, doch ich war da.
Bei jeder Mahlzeit, bei jedem Albtraum.
Und sie war für mich da.
Ich weiß, ich habe nie darüber gesprochen, aber Teresa und ich..."

„Ich weiß.", warf ich kurz ein, um es ihm leichter zu machen, ehe ich wieder genauestens zuhörte.
Jetzt trafen sich unsere Blicke und in seinem lag so viel... Schmerz.
Ich hatte dieses Gespräch gebraucht, um zu verstehen und das tat ich jetzt.
Ich verstand es..

„Wir waren einfach... Freunde, Newt.
Und dann kam Llu und auf einmal war da etwas.
Wenn ich sie ansah, da.. da konnte ich etwas sehen, was ich zuvor nie gesehen habe.", flüsterte er fortführend und sah dabei wieder auf das Meer hinaus.
Das Rauschen beruhigte mich.

„Was denn?", erwiderte ich also relativ gelassen und trotzdem angespannt.

„Hoffnung.
Hoffnung und eine Zukunft."
Seine Ehrlichkeit tat weh, obwohl ich dankbar für sie war.

„Am Anfang war es nur das, nicht mehr.
Aber nach einiger Zeit, da fühlte ich mich wieder lebendig, wenn ich bei ihr war.
Sie anzusehen, mit ihr Zeit zu verbringen heilte mich.
Newt, ich... ich weiß nicht wie ich's dir erklären soll.
Ich hätte dich niemals hintergangen, hätte niemals... aber ich liebe sie.
Und sie ist mein ganzes Leben.
Es tut mir so unendlich leid, dass ich dir das antue und ich verstehe, wenn du mir tief im Inneren niemals verzeihen wirst.
Bitte sei nicht sauer auf sie, sie hat diesen Anker gebraucht, ich habe diesen Anker gebraucht."
Mit diesen Worten beendete Thomas und eine bahnbrechende Stille legte sich erneut über uns.
Nur war sie dieses Mal nicht unangenehm.
Sie war einfach da und wir hatten sie beide akzeptiert.

Mein Kopf war leer, meine Seele schmerzte.
Ich konnte ihn nicht hassen und ich konnte sie nicht hassen.

„Es ist gut.", flüsterte ich also nach einigen Minuten und hatte die Aufmerksamkeit des Dunkelhaarigen sofort wieder bei mir.
„Das war doch das, was ich nach meinem Tod für sie gewollt hatte.
Jemanden finden, der sie glücklich macht und einfach weiter leben.
Das hatte ich gewollt..."
Ich konnte es nicht glauben, doch es schlich sich tatsächlich ein kleines Lächeln auf meine Lippen.
Es schmerzte, aber es war echt.

Ja, ich hatte mir meine Wiedervereinigung mit meiner Familie anders vorgestellt, doch es war jetzt so und langsam schien ich es zu akzeptieren.
Auch Thomas begann zu lächeln.

„Du bist ein guter Kerl, Thomas.
Und ich bin dir dankbar, dass du für sie da warst."
Ein wenig unsicher reichte ich ihm die Hand, in die er sofort freudig einschlug, genauso wie früher.
Meine Stimmung hob sich langsam wieder, immer hin war es gut zu wissen, dass man doch nicht so ganz mutterseelenallein auf der Welt war.

Langsam standen wir auf und während ich nun endlich zum Essen wollte, wollte Thomas in die andere Richtung, also gingen wir wieder getrennte Wege.

„Ach so, eine Sache noch, Newt!"
Aufmerksam drehte ich mich um und schaute rüber zu meinem Freund, der nun einige Meter entfernt war.
Nicht zu weit, ich konnte ihn noch perfekt hören.

„Ich hoffe du verstehst die Frage, aber ich muss es einfach für meinen Seelenfrieden wissen.
Du willst doch nichts mehr von Violet, oder?"

Violet 3 - The Death Cure Where stories live. Discover now