37 | Liebe auf den ersten Blick

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Newt

„Wir hätten es früher wissen können."
Brenda und ich hatten eine ganze Weile schweigend nebeneinander gesessen.
Wir befanden uns gerade mit den anderen beim Essen, zu mal die meistem bereits fertig waren und mittlerweile den Platz verlassen hatten.
Sie und ich, wir beide hatten kaum etwas gegessen.

„Was meinst du?", hakte ich aufmerksam nach und drehte mich höflich zu ihr, um sie während des Gespräches ansehen zu können.
Brenda und ich hatten zuvor nie wirklich irgendwelche Berührungspunkte gehabt. Sie war da gewesen und ich war da gewesen, wir hatten stets dasselbe Ziel gehabt. Und dennoch erschien sie mir mehr als eine Fremde.
„Das Heilmittel", sie drehte sich ebenfalls zu mir, „Wir hätten es wissen können. Es hat mich gerettet und wir hätten darauf kommen können. Es tut mir leid, dass wir dich erst so spät da raus holen konnten."

Ich konnte mir kaum erklären, wie sie auf diesen Schluss gekommen sein konnte, aber ich hatte in keiner Art irgendwie Wut darüber verspürt, dass ich jetzt „erst" hier war. Zumindest nicht den anderen gegenüber.
Kopfschüttelnd sah ich sie an und bemerkte dabei, dass sich tatsächlich ein leichtes Schmunzeln auf meine Lippen verirrt hatte.
„Hauptsache wir leben noch, oder nicht? Egal wie früh oder spät wir es herausgefunden haben, wir haben es am Ende getan. Ich bin mehr als dankbar, gerade an dich. Du hast in dieser Nacht so vielen jungen Menschen das Leben gerettet. Du bist viel mutiger als ich.
Ich habe mich drei Jahre lang in diesem Tower versteckt.", gestand ich mir selbst schwer seufzend ein.

Brenda schien ein wenig von dieser Last, die sie offensichtlich verfolgt hatte abzulassen und lächelte nun auch ein wenig.
„Du scheinst gut drauf zu sein.", stellte sie, ein neues Thema anscheinend, fest und musterte mich fast misstrauisch.
Es fühlte sich tatsächlich so an, als würde es mir langsam besser gehen. Mental.

„Ich fühle mich langsam auch besser."

„Das liegt sicher daran, dass du noch nicht mit meiner liebsten Schwester gesprochen hast."
Mit diesen Worten gesellte sich die sehr taktvolle Sol zu uns und nahm uns gegenüber auf einem Stuhl Platz.

Ich spürte meine Laune sofort wieder sinken.
Es war komisch, wenn ich an Violet dachte. Da war nichts.. positives mehr und das war verdammt traurig.
„Du hast sie noch gar nicht besucht, oder?", fuhr sie fort, ohne dabei auf eine Antwort von mir zu warten.

„Ich dachte Violet will nicht besucht werden.", hab ich bloß leise von mir und kratzte nachdenklich ein wenig an dem Holztisch um.
Das war nicht unbedingt der einzige Grund.
Ich wusste, dass eine Unterhaltung höchstwahrscheinlich in einem riesigen Streit resultieren würde. Und selbst wenn nicht, dann wäre sie emotional sicherlich dennoch vollkommen überfordert.

„Ja, die auch.
Aber ich spreche eher von Lluvia.
Es sei denn, du willst nichts mit deiner Tochter zutun-"

„Natürlich will ich das.
Ich will sie nur nicht verwirren, immer hin kennt sie mich nicht."
Sol und ich beide wussten, dass das nicht der Hauptgrund war. Ich war nach all der Zeit nicht besser im Lügen geworden.
Ich wusste es bloß selbst nicht, wieso ich meine... Tochter mied.
Aber das musste sich ändern.

„Hat sie eigentlich mal nach mir gefragt?
Violet meine ich.", lenkte ich schnell vom Thema ab und sah Sol dabei fast schon naiv hoffnungsvoll an, während sie diesen Gesichtsausdruck nicht erwidert. Ob sie sowas überhaupt konnte, wusste ich nicht.

Stattdessen sah sie fast entschuldigend aus, was mir direkt die Antwort lieferte.
Violet war einfach durch mit mir und das musste ich akzeptieren.
Wir waren keine Kinder mehr. Ich würde ihr nicht mehr wie ein blinder Welpe nachrennen und um sie betteln und ich wusste, dass es für mich an der Zeit war, auf eigenen Füßen zu stehen.

Ich nickte den beiden Damen zu und atmete einmal tief durch, ehe ich mich auf den Weg zur kleinen Schlafhütte machte.
Mein Herz klopfte wie verrückt und so laut, dass ich es richtig hören konnte.
Alles in mir spannte sich an, jeder Muskel, jede Ader.
Wie sie wohl auf mich reagieren würde? Als Vater würde sie mich sowieso nicht erkennen.

Pfanne hatte mir zwar gesagt, dass Violet wohl immer klar gestellt hatte, dass Thomas nicht ihr Vater war, aber nicht, dass sie auch gesagt hatte, dass dieser Vater in Wahrheit ein gewisser „Newt" gewesen war.

Wobei er und ich sicherlich nicht mehr viel gemeinsam hatten.
Wie ich selbst fühlte ich mich schon lang nicht mehr, wobei ich nicht einmal wusste, wer genau das war.
Verdammter Klonk, in was hatte ich mich da geritten?
Es gab eine Zeit, wo ich genau wusste, wo ich stand und jetzt gerade schwebte ich einfach irgendwo herum.

Es nervte mich unglaublich, wie viel Schiss ich doch vor diesem Treffen hatte,
Auch, als ich bereits ziemlich hilflos vor dem Eingang der Hütte stand und meine Füße kein bisschen dazu bringen konnte, sich vorwärts zu bewegen.

Sei nicht so ein Weichei, sagte ich mir selbst immer wieder und schaffte es doch irgendwie mich in diese düstere Hütte zu zwängen, die aufgrund ihrer dichten Wände doch sehr an ein Zelt erinnerte.

Ein Kinderbett stand beinahe am Ende des Raumes und ich sah sie.
Natürlich war sie zu weit weg und es war nun auch zu dunkel da drinnen, als das ich ihr Gesicht sehen konnte, aber sie war da und schlief ganz friedlich.

Eigentlich wollte ich das als perfekte Ausrede nutzen, "erst später wieder zu kommen", doch mir wurde schnell klar, dass ich verdammter Neppdepp mich gerade vor MEINEM Kind fürchtete.
Sie hatte nie jemandem etwas angetan. Sie war gut,  zumindest glaubte ich das.
Von Violet konnte gar nichts Böses kommen.

Eigentlich von selbst bewegten sich meine Füße langsam und ganz behutsam, um sie nicht zu wecken, auf das kleine Bettgestell zu, vor dem ich stehen blieb und nun endlich ihr Gesicht sehen konnte.

Ein wunderschönes Gesicht.

Dieses Gefühl wird niemals übertroffen werden können, dachte ich mir bereits zu Tränen gerührt.
Liebe auf den ersten Blick.
Eine andere Art von Liebe. Keine Liebe, die man erzwingen, erfinden oder wohl jemals ablegen kann. Die so tief und verwurzelt war, dass man meinen könnte, sie wäre in der Biologie des Menschen verankert,

Sie sah so friedlich aus.
Ihr Haut war zart und glatt, ihr hellbraunes Haar ein wenig zerzaust und sie hatte sich an ein kleines Kuscheltier geklemmt.

Am liebsten hätte ich sie hochgehoben und sie nie wieder losgelassen.
Vater zu werden hatte ich mir definitiv anders vorgestellt und doch war sie einfach so... perfekt.
Vorsichtig strich ich ihr eine Strähne aus der Stirn und konnte nicht verhindern dabei wie ein Neppdepp zu Grinsen,

Sie sah ihrer Mutter unglaublich ähnlich.
Wahrhaft wunderschön.

Ich wollte diesen Moment für immer so festhalten. Einfach diese friedliche Ruhe, diesen perfekten Moment, der bald gestört werden sollte, als ich leise Schritte hinter mir wahrnehmen konnte und an der Tatsache, dass die Person die da gekommen war nichts sagte, festmachen konnte, wer da wohl hinter mir stehen würde.

Und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte und sie sicherlich auch nicht.
Ich wollte nicht gemein sein. Was brachte uns das auch? Wir hätten früher oder später sowieso reden müssen.

„Sie sieht aus wie du."
Flüsterte ich über meine Schulter nach hinten weg und konnte meine Augen dabei nicht von unserer Tochter abwenden.

Violet 3 - The Death Cure Where stories live. Discover now