❀ S I X ❀

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Ein Kitzeln in der Nase ließ mich wach werden. „Boah fuck..."
Ich rieb mir durchs Gesicht, was den Schmerz in meinen Augen nicht besser machte. Ganz im Gegenteil sogar. Das einzige was einem Kater entgegen wirken könnte, wäre einfach weiter zu schlafen. Aber das konnte ich nicht. Und das wurde mir spätestens dann klar, als ich sah, dass ich nicht zuhause war. Nicht nur das, ich war auch nicht alleine.

„Wie um alles in der Welt...?" Fragte ich mich halblaut, als ich den Typ neben mir entdeckte. Der Anblick kam mir bekannt vor, ziemlich bekannt sogar. Doch Erinnerungen von gestern, Fehlanzeige. Lächerliche Fetzen von Momenten spielten sich vor meinem inneren Auge ab, als ich ihn so da liegen sah. Er schlief seelenruhig, was war bloß passiert? Ich wusste noch, dass wir auf dieses Dach geklettert sind, von wo aus wir den Mond beobachtet haben. Auch der Kuss war noch da, doch danach wurde es dunkel. Wie waren wir überhaupt hier hergekommen? Tausende fragen, alle ohne Antworten.
Na toll, das hast du ja mal wieder ganz toll gemacht, Clara!
Ich hasste meine innere Stimme, mehr als alles andere. Sie war immer da, insbesondere dann, wenn ich sie am allerwenigsten gebrauchen konnte. Genau wie jetzt. Ich wusste, dass das hier scheiße war. Eigentlich wollte ich ihn nie wieder sehen, weil ein One-Night-Stand nicht zu unrecht One-Night-Stand heißt. Aber so wie's aussieht, hat das ja nicht so gut funktioniert...

Ich schob diese ganzen Gedanken beiseite und schälte mich aus den Decken. Ich musste hier verschwinden ehe er wach wird, ich wollte nicht riskieren meine Nummer austauschen zu müssen oder irgend so ein scheiss. Dass hier war einmalig, okay, vielleicht zweimalig, aber mehr auch nicht. Schon alleine die Tatsache, dass ich mir Gedanken darüber gemacht habe, wie sein Leben so aussieht, ist erschreckend genug. Ich möchte nicht wissen was er macht, wo er arbeitet oder wie er heißt, nein, ich durfte das nicht wissen. Er war schließlich nicht mehr als Sex, und das ganz offensichtlich schon zweimal.

Mein Blick lag auf den geöffneten Kondompackungen neben dem Bett, immerhin haben wir daran noch gedacht...
Kurz tat ich mir selber leid, dass ich mich nur an Bruchteile von letzter Nacht erinnern kann. Es musste wirklich schön gewesen sein... Dann riss ich mich von diesen Gedanken weg und fing an mein Zeug vom Boden zusammen zu sammeln. Neben meiner Hose und meinem Pulli, fand ich auch mein Handy, welches mir nur noch einen roten Ladebalken zeigte, als ich es anmachte. Na toll, dann laufe ich wohl oder übel nachhause...

Der junge Mann schlief noch immer tief und fest, als ich fertig angezogen war. Aber ich konnte nicht gehen, nicht einfach so. Also suchte ich mir Stift und Papier, letzteres fand ich in meiner Hosentasche, und schrieb ihm eine kurze Nachricht.

Du brauchst dich nicht schlecht fühlen, dass du schon wieder nach mir wach wurdest, ich schaffe es auch alleine nachhause. :)

Zu guter letzt drückte ich noch einen Kuss neben den Smiley. Durch den Restlippenstift auf meinem Mund konnte man tatsächlich erkennen, was es darstellen sollte. Den Zettel legte ich ihm dann neben das Bett auf die kleine Kommode, wo er ihn sicher nachher finden würde. Und irgendwie hoffte ich sogar ein bisschen, dass er lächelt wenn er den Zettel sieht...

Dann wollte ich aber wirklich gehen. Er könnte jede Sekunde aufwachen und dann war's das mit dem Verschwinden. Aber sein schlafender Anblick wollte mich nicht loslassen. Schon wieder kamen so viele Fragen über ihn in mir auf, die ich eigentlich gar nicht wissen wollte. Was bedeuteten die ganzen Tattoos, hatten sie überhaupt eine Bedeutung? Warum hat er sie sich stechen lassen? Hat er Geschwister, die vielleicht eins dieser Tattoos teilen? Himmel, ich musste damit aufhören!

Bevor ich Dinge tun konnte, die ich später bereuen würde, schob ich all diese Gedanken und Fragen beiseite und verbannte sie in einer dunklen Ecke meines Gehirns. Denn das hier lief definitiv in die falsche Richtung, in die ganz falsche!
Also schaltete ich mein Herz, welches sich um alles in der Welt wünschte hier zu bleiben, stumm und stattdessen meinen Kopf, der mich davon abhielt Fehler zu begehen, lauter. Denn ich hatte mir geschworen, nicht den selben Fehler ein zweites Mal zu machen. Mein Herz war nicht dazu fähig, die richtigen Entscheidungen zu treffen, das habe ich schon viel zu früh gemerkt. Und jetzt musste ich damit leben, mit diesen höllischen Schmerzen, die so schlimm sind, dass ich das Gefühl habe, sie würden niemals besser werden. Und dass es da jetzt jemanden gibt, der mit plötzlich das Gefühl gibt, dass es doch anders sein kann und somit das Gleichgewicht zum Schwanken bringt, passte mir irgendwie so gar nicht in den Kram...

Stille umhüllte mich, als ich die Wohnung betrat. Ich legte meine Schlüssel auf der Kommode ab und lief in die Küche. Just in diesem Moment kam Margarita auf mein Fensterbrett geklettert und starrte mich mit ihren großen Katzenaugen an. Bei diesem Anblick konnte ich nicht anders, als zu lächeln. Wie konnte man überhaupt so süß sein wie sie, war das möglich?

„Na du süße..."
Der kleine Tiger hopste freudig auf meine Theke, als ich das Fenster öffnete damit sie reinkommen konnte. Ich ließ meine Hand über ihren zierlichen Körper wandern, der sich darunter genießerisch hindurchschlängelte.
„Möchtest du etwa was zu essen haben?"
Ich stieß ein schwaches Lachen aus, die Frage war natürlich völlig überflüssig. Aber die Katze meiner Nachbarn begann trotzdem zu schnurren, als wüsste sie, was ich gesagt habe... Dann setzte sie sich an die Kante der weißen Thekenplatte und wartete, bis ich ihr etwas aus dem Schrank holte. Und weil ich sie natürlich nicht einfach so da sitzen lassen konnte, tat ich das, was ich immer tat und gab ihr ein paar kleine Leckereien. Freudig mampfte sie mir die Pellets aus der Hand, und als sie fertig war wischte ich mir die Handflächen an meinen Oberschenkeln ab.
Es dauerte nur noch kurz, bis Margarita wieder aufstand und von der Theke runtersprang. Ich beobachtete, wie sie durch mein Wohnzimmer streifte, verlor mich für einen Augenblick darin ihr nachzuschauen, bis ich mich selber von ihr losriss und mich dem wesentlichen widmete.

Nachdem ich mich umgezogen hatte, machte ich mich auf den Weg zum Training mit Pascal und Nils. Am liebsten hätte ich mich jetzt hingelegt und meinen Kater richtig ausgeschlafen, aber das ging leider nicht. Wenn man an die Spitze möchte muss man auch zurückstecken können, so ist das eben...

Meine Lungen brannten, als ich die Eishalle erreichte. Ich glaube, so schnell war ich noch nie hier gewesen...
„Ach da ist sie ja!" Rief mir Nils entgegen, sein Grinsen war nach der Sonne das strahlendste etwas, was ich heute gesehen habe. Und das, obwohl es November ist.
„Lange Nacht gehabt, nh..."
Der Lockenkopf zwinkerte mir zu, bevor er mich kurz in die Arme schloss.
„Oh ja..." Ich stieß ein schwaches Lachen aus, lang ist nicht das einzige Wort, was zu dieser Nacht passen würde...

Pascal kam kurz nach mir, wir unterhielten uns noch ein bisschen über das, was wir heute üben wollten und legten dann los.
Wir gingen unsere Choreo durch, immer wieder und wieder. Und immer, wenn irgendwas nicht klappte, nochmal von vorne. Einmal, zweimal, dreimal, ganz oft.

Das Training war anstrengend. Nicht nur, weil ich absolut müde und kaputt von gestern war, nein, ein weiterer Grund war wahrscheinlich die Tatsache, dass mir die ganze Zeit nur ein einziger Gedanke durch den Kopf ging und ich mich absolut nicht konzentrieren konnte: Was machte er gerade wohl...?
Mir war schon klar, dass es mir eigentlich egal sein sollte, was er gerade machte oder an was er denkt. Es ging mich nichts an und es tat überhaupt nichts zur Sache, aber ich fragte es mich trotzdem, und ich hasste mich selber dafür. Ich war nicht hier um mir Gedanken über irgendwelche Typen zu machen, von denen ich nicht einmal den Namen wusste, ich war hier, um meinen beschissenen Traum wahr werden zu lassen. Und um die schrecklichen Dinge, die ich getan habe, hinter mir zu lassen und endlich glücklich zu sein.

Glücklich war ich, hier auf dem Eis, mit meinen Freunden und mit ihm, aber sobald ich mir den bitteren Beigeschmack dieses Glückes bewusst werde, kommt dieses komische Gefühl in meinem Magen zurück. So schwer und unangenehm, ich wusste genau warum. Es waren Schuldgefühle, zurecht waren sie da. Und ich konnte nichts machen, außer versuchen sie zu ignorieren und mit einem Lächeln zu überspielen.

Ich drehte die letzte Pirouette aus und mit dem Ende der Musik kamen auch wir zum stehen.
„Yes Leute, das war Klasse!"
Pascal applaudierte und ich freute mich wie ein kleines Kind, dass alles so gut geklappt hat.
„Das habt ihr super gemacht, ich weiß doch, dass ihr's könnt!"

Nils und ich fuhren zum Rand, wo wir beide von unserem Trainer abgeklatscht wurden. „Wahnsinnige Leistung, damit hättet ihr das Ding in der Tasche..."
Es gab mir neuen Mut und viel Kraft so etwas zu hören, das macht es einfacher selbst daran zu glauben, dass es machbar ist...

Nach dem Training ging ich duschen und ließ mich danach ohne Umwege auf die Couch fallen. Ich war so unendlich müde und erschöpft, Schlaf war das einzige, was ich jetzt wollte. Ein ganz kleines Bisschen wenigstens...

Promised Love - the stranger in my bed | LH FFWhere stories live. Discover now