❀ F O R T Y N I N E ❀

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Florenz. Ein Ort des Zaubers und der Magie. Die Wiege der Renaissance, die Stadt der Kunst. Man nennt es nicht umsonst das italienische Athen. Hier befanden sich künstlerische Schmuckstücke Michelangelos, die berühmte Galleria degli Uffizi. Alles was mein Herz begehrte war hier, direkt vor meiner Nase.
Meine Gedankengänge wurden unterbrochen, als es plötzlich an der Tür klingelte.
Da war er ja endlich. Ich löste meine Augen von dem wunderschönen Ausblick und trat von der Fensterfront zurück.

„Was für einen Umweg bist du denn gefahren?!" Sagte ich noch während ich die Tür des Lofts öffnete. „Du wolltest schon vor vierzig Minuten hier-"
„Wir haben ihn!" Der eins achtzig große Mann strahlte bis über beide Ohren, während mir die Verwirrung ins Gesicht geschrieben war.
„Wir haben wen?" Ich warf Gio, meinem Manager, einen fragenden Blick zu.
„Den perfekten Käufer für deine Bilder! Ich habe eben einen Anruf bekommen, deshalb bin ich zu spät." Er lief an mir vorbei. Ich blieb noch einen kurzen Moment an der Tür stehen, bevor ich ihm ins Wohnzimmer folgte. Ein riesiger, offener Raum, der direkt an den Eingang anschließt. Die bodentiefen Fenster schmückten die ganze Front und präsentierten mir beim Frühstück jeden Tag den perfekten Blick über Florenz.

„Für was interessiert sich dieser jemand denn? Bestimmt das Bild mit der rot/weißen Rose, oder?" Ich stellte mich neben ihn und ließ meinen Blick ebenfalls über die Hausdächer der renommiertesten Stadtgegend schweifen. Als ich vor vierzehn Monaten hier hergezogen bin, nachdem ich mein altes Leben in NewYork zurückgelassen habe, war die Kunst mein Anker im Sturm. Ich entschied mich dazu die Dinge aus meiner Vergangenheit noch ein letztes Mal aufleben zu lassen und in Kunstwerke zu verwandeln. Die blutige Rose von Adonis, die Scherben meines Herzens und all die restlichen Trümmerteile meines Lebens. Es war ein Weg damit umzugehen, damit abzuschließen und neu anzufangen. Vielleicht war es dumm und womöglich eine überrumpelte Entscheidung. Denn manchmal vermisse ich das Eiskunstlaufen, immerhin war das immer mein Traum gewesen, die Beste der Besten zu sein und für Kinder ein Idol zu werden. Das wollte ich, aber es gehörte eben auch zu meiner Vergangenheit, die ich hiermit endgültig losließ.

„Vergiss die Rosen und jedes Angebot. Lösch die Nummern der Interessenten, er will alle. Sein Angebot lautet: 'Egal wie viel jemand anderes bietet, ich biete das doppelte!'"
„Aber wie..." Ich war etwas überrumpelt von dieser Wendung. Es war eigentlich nicht geplant die Sachen in einem Bundle zu verkaufen.

„Ach, und bevor ich es vergesse, die Eiskunstläuferin..." Ich unterbrach ihn sofort.
„Nein! Sie steht nicht zum Verkauf." Sie war mir das liebste von allen. Wenn ich das Bild ansah, betrachtete ich mich. Das Mädchen mit dem Ziel. Mit meinem Ziel. Es hatte mich Monate gekostet, unzählige Nächte, die ich daran gesessen bin dieses Bild zu malen. Jedes Detail sollte stimmen. Von der blutigen Spur auf dem Eis, die die Geschehnisse ihrer Vergangenheit darstellen sollten, bis hin zu dem Blütenblätter Regen in dem sie stand. Dieses Bild beinhaltete mein ganzes Leben, es stand nicht zum Verkauf, das ist außer Frage.

„Bitte, Clara."
Ich schüttelte den Kopf, warum kapierte er es nicht? Dann lief ich zum Esstisch. Ein paar Broschüren lagen dort verteilt, von denen ich mir nicht eine einzige angesehen hatte. Gio rief mir etwas hinterher. „Aber er bietet viel Geld!"

Nachdenklich drehte ich den Ring an meinem Mittelfinger. Das Silber und der Diamant in der Mitte glitzerten unter der Einstrahlung der teuren Deckenbeleuchtung. Ich wusste selber nicht, warum ich ihn überhaupt noch trug. Denn er erinnerte mich jedes Mal an ihn, an Lewis. Er war das wahrscheinlich teuerste Weihnachtsgeschenk, was ich je von irgendjemandem bekommen habe. „Damit du niemals vergisst, zu wem du gehörst..."

„Es ist ihm egal wie viel, er will es haben!" Gio's Stimme holte mich zurück in die Realität. Aber meine Antwort war eindeutig. „Nein. Ich verkaufe es nicht." Ich ließ meinen Finger los und machte kehrt.
In zwei Stunden begann der Maskenball, auf den mich der Italiener mitschleppen wollte, und ich hatte noch nicht einmal geduscht...

„Du solltest dich auch fertig machen, wenn wir nachher pünktlich sein wollen." Mit diesen Worten ließ ich ihn stehen. Gio wusste nicht, wie viel mir dieses Bild bedeutete, was es mir bedeutete, und dass es mir mehr wert war, als alles Geld auf dieser Welt. Und ich nahm es ihm nicht übel, immerhin hatte er keine Ahnung, wie viel Wahrheit in diesen Formen wirklich steckt...

Noch ein letzter Blick in die Selfiekamera meines Handys, bevor die Autotüre geöffnet wurde und ich ausstieg. Ich hakte mich bei Gio ein und wir liefen zusammen zu der stark bewachten Tür, die das äußere geschehen von Innen trennte. Nur eingeladene Gäste bekamen Zutritt, dazu gehörte Gio und ich als sein plus-one. Allerdings erschloss sich mir der Sinn des ganzen hier noch nicht so wirklich. Es war keine Veranstaltung unter Leuten die mit Kunst zu tun hatten, zumindest nicht ausschließlich, weswegen ich mir definitiv fehl am Platz vorkam. Ich verstand schon, dass ich hier als jüngster Schützling eines extrem berühmten Kunstagenten war, und dafür war ich Gio auch unglaublich dankbar. Ohne ihn, hätte ich es wahrscheinlich viel schwieriger gehabt oder vielleicht gar nicht geschafft, aber was sollte ich unter diesen ganzen Leuten?

Ein sehr gut gebauter, glatzköpfiger Türsteher öffnete uns die schwere Stahltür. Sofort kam mir ein Schwall Gelächter und die laute Musik entgegen.
„Danke, Russ!" Gio zwinkerte dem Typen zu, bevor er mich mit sich ins Innere des Clubs zog.

Beim umsehen erkannte ich, dass die Menschen die Faschingssache wohl alle sehr ernstgenommen haben. Keiner lief hier ohne ein extravagantes Outfit und Maske rum. Gut, vielleicht lag es auch einfach nur daran, dass es zum Dresscode gehörte...

„Ich muss ein paar Leute begrüßen. Macht es dir was aus, kurz alleine zu sein? Ich komme auf jeden Fall auf dich zurück." Ehe ich Zeit hatte etwas zu erwidern, stand ich alleine da. Um mich herum tanzende Leute, laute Musik und der Geruch von teurem Alkohol. Das war jetzt also mein neues Leben... Das zu realisieren fiel mir schwer, vor allem, wenn ich mich umsah und die ganzen Menschen beobachtete. Jeder hatte irgendwen, Freunde, Familie, ganz egal. Alle waren glücklich, und ich sollte es eigentlich auch sein. Der ganze Erfolg, wenn auch nicht im Eiskunstlauf, aber ich hatte das immer gewollt. Anerkennung und ein Lebenswerk, auf was ich stolz zurückblicken kann. Vor allem dem wollte ich aber einfach nur Liebe, jemanden, zu dem ich zurückkommen kann, Arme, die mich halten. Jemand, der mit mir diese Erfolge feiert, der sich mit mir freut und mir sagt wie stolz er ist. Ich wollte doch einfach nicht alleine sein...

Die Einsamkeit packte mich, doch wusste ich, dass heute nicht der Tag war, um sich alleine zu fühlen. Also entschied ich mich dieses Gefühl loszuwerden. Alkohol ist dafür wahrscheinlich die beste und schlechteste Lösung, das Problem beheben tut es nämlich nicht. Aber wenigstens für diesen Abend unterdrücken...

An der Bar bestellte ich mir einen Mojito, es war noch immer mein Lieblingscocktail. Das hatte sich seit damals nicht geändert. Doch wissen tat das nur einer.
„Bitteschön. Lassen Sie's sich schmecken." Mit einem freundlichen Lächeln schob mir der maskierte Barkeeper das Getränk über den Tresen. Ich bedankte mich und nahm den ersten Schluck. Ein vertrautes Gefühl flutete mich, als der Alkohol meinen Rachen hinablief. Manchmal ist es doch gar nicht so schlimm, alleine zu sein...

Alleine bedeutet ja nicht gleich einsam. Einsam ist nur der, der sich entschieden hat einsam zu sein. Außerdem kann man auch einsam sein, obwohl man Menschen um sich rum hat. Alleine und einsam ist nicht das selbe, das weiß ich jetzt. Als ich damals nach NewYork gezogen bin war ich einsam, hatte niemanden, zu dem ich gehen konnte, niemand, der mich verstanden hat. Dann kam Er, mit ihm hatte ich diese Person, nach der ich mich immer so sehr sehnte. Mit ihm hatte ich ein neues Zuhause, wo ich mich wohl gefühlt habe und fallen lassen konnte. Und doch hatte ich mich getäuscht. Mein Kopf hatte es immer irgendwie gewusst, mir gesagt, ich sollte niemanden so tief in mein Herz lassen. Mein Herz war nur noch nicht bereit gewesen das zu verstehen. Und dann war es zu spät, vom einen auf den anderen Tag gab es dieses Zuhause nicht mehr. Der Sturm hat mir alles genommen, das Schicksal wollte nicht, dass ich glücklich bin...

Ich bekam nur nebensächlich mit, wie jemand neben mir platz nahm. Meine Gedanken hielten mich zu fest, zu dicht war dieser Nebel um mich herum. In meinem Kopf schossen tausende Gedanken auf einmal an mir vorbei, schneller als das Licht über die Gesichter der Menschen, die hinter mir ihrem Tanzen vollste Hingabe leisteten. Doch dann, ganz plötzlich und unerwartet, brach die Realität in ihrer vollen Intensität auf mich ein und ich spürte wie mich die Kräfte der Schwerkraft zurück auf den Boden zerrten.

„Du siehst alleine aus..."

Promised Love - the stranger in my bed | LH FFWhere stories live. Discover now