❀ T W E N T Y S I X ❀

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Es war längst dunkel, als ich meinen Blick über die Hausdächer von NewYork wandern ließ. Überall die Lichter der Stadt, darüber der dunkle Himmel. Von hier oben hatte man eine wunderschöne Aussicht, doch so wirklich dem nachfühlen konnte ich nicht. Nicht gerade weil es eisig kalt war und ich hier in Jeans und Sweatshirt stand, nein, es waren mehr meine nüchternen Gedanken, die den klaren Nachthimmel zu betrüben schienen. Ich konnte nicht aufhören an Heather zu denken. Vielleicht hätte ich ihr helfen sollen?

Ich fragte mich was sie gerade wohl machte und ob es ein Fehler war, ihr nicht zu helfen. Wo ist sie hin, nachdem sie mir gesagt hat, dass es ihr leid tut und ich auf mich aufpassen soll? An was dachte sie gerade wohl? Irgendwas in mir wünschte sich, sie würde gerade bei mir stehen und wir könnten zusammen die wenigen Sterne am Himmel zählen. Wie früher. Also schaute ich nach oben, aber sie war nicht bei mir. Meine Augen suchten nach den hellen Punkten. Ich erkannte nur ein paar wenige zwischen den dicken Schneeflocken, die mittlerweile auf mich herunter rieselten. Aber die die ich sah, waren so hell, dass sie es geschafft hatten, trotz den vielen Lichtern von hier unten zu strahlen. So schön und ruhig. Und einer strahlte ganz besonders hell.
In diesem Moment fühlte ich etwas merkwürdiges. Ich konnte das Gefühl nicht beschreiben. Es war ein leichtes Kribbeln auf meiner Haut, ein wenig Freiheit in meinem Herz und ein bisschen Sehnsucht nach früher. Wenn ich jetzt zur Seite sah stand sie bestimmt da und lächelte...

Ich zuckte zusammen, als ich plötzlich etwas auf meinen Schultern spürte. Es war eine Jacke. Als ich nach links schaute sah ich David, der mich liebevoll anlächelte.
„Es ist kalt hier draußen..." Er trug selber eine dicke Winterjacke, aber nicht seine weiße, die hatte er mir über die Schultern gelegt. „Dankeschön." Ich hatte gar nicht gemerkt, dass mein ganzer Körper zitterte und längst nach Wärme verlangte, die mir die viel zu große Jacke von ihm zum Glück spenden konnte.

David sah mich etwas belustigt an und kommentierte dies dann nur noch mit einem leisen „süß", bevor er mir die Kapuze über den Kopf zog und wir beide kichern mussten.

Für eine Weile standen wir einfach da, beobachteten stumm wie die einzelnen Schneeflocken vom Himmel fielen, hinunter in die Tiefe, wo sie schlussendlich verschwanden. Es war beruhigend, zu wissen, dass ich nicht alleine war. Doch das beschützte mich nicht vor all den Fragen in meinem Kopf. Immer wieder dachte ich an Heather, an das, was sie gesagt hatte und daran, wen sie wohl mit er meinte, auch wenn ich eigentlich wusste, dass das völlig lächerlich war. Ich weiß nicht was mit ihr passiert ist, aber sie war nicht bei klarem Verstand. Und ich habe auch keine Ahnung ob es Drogen waren, Alkohol oder irgendwas anderes, aber im Endeffekt ist es eigentlich auch egal. So schrecklich es sich auch anhört, sie gehört zu meiner Vergangenheit, und ich möchte damit abschließen. Ich möchte mit allem abschließen, was mich an früher erinnert, an das Leben vor dem hier.
Ich habe neu angefangen, ich habe neue Menschen kennengelernt und verfolge nun meinen Traum. Alles was mir von damals noch überblieb war meine Tante, mehr brauchte ich auch gar nicht.
Heather war immer meine beste Freundin, aber die Zeiten haben sich geändert und vielleicht ist es nun bei mir endlich ganz loszulassen. Für immer...

Nach einer ganzen Zeit, ich hatte keine Ahnung wie lange wir schon schweigend dastanden, fasste David seine Stimme wieder.
„Clara", fing er an und ich versuchte mich so gut es ging aus meinen wirren Gedanken zu lösen. „Wegen vorhin... Du musst mit mir über nichts sprechen, wenn du das nicht möchtest, aber ich will, dass du weißt, dass du es kannst, okay? Ich bin immer für dich da, vergiss das nicht, ja." Dabei lächelte er ein bisschen und es erwärmte mir das Herz. Solche Worte waren alles für mich, sie bedeuteten mir die Welt und schenkten mir neue Kraft. Zu wissen, nicht alleine zu sein ist das wichtigste, vor allem, wenn hinter einem nicht mehr als Schutt und Scherben liegen.

„Ich weiß, danke. Das bedeutet mir unglaublich viel, sowas hat glaube ich noch nie jemand zu mir gesagt..." Meine Stimme war etwas leise, aber David hatte mich trotzdem gehört, denn er legte seinen Arm um meine Schulter und zog mich etwas näher zu sich. Plötzlich war mir wieder richtig warm und ich merkte gar nicht mehr, dass die eigentlichen Temperaturen irgendwo im Bereich von null Grad lagen.

„Niemand sollte alleine sein, vor allem nicht in der Weihnachtszeit..."
Ach stimmt, Weihnachten gab's ja auch noch... Und vielleicht war es dieses Jahr das Erste seit langem, in dem es irgendwie ein erträgliches Fest war. Mit jemandem an meiner Seite, der mir wichtig ist und der mir das Gefühl gibt nicht alleine zu sein...
Irgendwie hoffte ich es, aber tief im inneren wusste ich bereits, dass es hoffnungslos war. Wir schlafen miteinander, das war zumindest der Plan. Wenn man es genau nimmt, dann sind wir uns eigentlich schon viel zu nah. Aber das ist mir egal, ich würde es jedes Mal genauso wieder tun. Er ist mir wichtig, nicht nur als Mensch, sondern auch als Freund. Denn mit ihm kann auch ich endlich der Mensch sein, der ich sein möchte...

„Ich fliege morgen wieder..." Sagte David schließlich, woraufhin ich meinen Kopf von seiner Schulter hob und ihn ansah.
„Wohin?"
„Nach London, zu meinem Bruder. Aber ich bin nicht lange weg, ich hab hier nämlich ein bisschen was zu tun. Wie immer." Ein leichtes Lächeln hatte sich auf seine Lippen geschlichen, aber ich wollte nicht, dass er geht.

„Ich möchte dich auch nicht alleine lassen, aber..." Er brach mitten im Satz ab, doch ich war nicht blind genug, um nicht zu sehen, dass er noch etwas sagen wollte.
„...Aber?" ich schaute ihm wieder ins Gesicht, er vermied den Augenkontakt, was komisch für ihn war.
„Du weißt, dass du mich alleine lassen kannst, oder? Ich komme klar, das bin ich schon immer... Außerdem hast du ja gesagt, dass du wiederkommst, oder nicht?" Ich versuchte ihn mit einem Lächeln aufzuheitern, aber ich sah, dass es etwas gab, was ihn Beschäftigte. Ich wusste nur nicht was.
„Wie meinst du das?"
Plötzlich sah er mich wieder an.
„Was?"
Seine Augen versanken in meinen. „Dass du schon immer alleine klargekommen bist. Kein Mensch kommt alleine klar."
„Ich, äh, ich weiß nicht..." Stammelte ich. Diese Aussage hatte mich komplett aus dem Konzept gebracht. Schließlich wusste ich doch, dass ich es alleine schaffte. All diese Jahre hatte ich niemanden, trotzdem bin ich jetzt hier... Ist das nicht Beweis genug?

„Und wie meinst du das? Warum denkst du, dass niemand alleine klar kommt?" Fragte ich schließlich, um die Aufmerksamkeit von mir weg zu lenken. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um über meine Vergangenheit zu sprechen und der Frage nachzugehen warum ich alleine war.

„Keine Ahnung..." Er schaute wieder in die Ferne. „Ich denke eben, dass jeder irgendjemanden braucht. Die Welt kann so schrecklich sein. Es können so viele grausame Dinge passieren, keiner hat es verdient alleine zu sein, das geht nicht. Du kannst das nicht alles alleine überstehen, jeder braucht jemanden an seiner Seite, der das alles mit einem teilt. Schmerz und Freude, Trauer und Glück, alles eben. Manche Sachen kann man eben nicht ganz alleine schaffen... Und wenn du nicht aufpasst und gut genug auf deine Mitmenschen achtest, sind sie morgen vielleicht weg..." Dann schaute er wieder zu mir. Die Lichter der Skyline spiegelten sich in seinen dunklen, glasigen Augen. In diesem Moment kamen sie mir so traurig vor, so gebrochen und unendlich freudlos. Der Schmerz in ihnen flimmerte mir wortwörtlich entgegen, trotzdem versuchte er sich nichts von all dem anmerken zu lassen, aber ich merkte das natürlich trotzdem. Ein Mensch könnte vieles verstecken, aber ganz sicher nicht alles. Und das wusste ich jetzt auch. Irgendwann zerbricht die Mauer um einen herum und die wahren Emotionen kommen zum Vorschein. Es ist nur die Frage wann, aber ich glaube, das weiß keiner so genau...

„Eigentlich hast du recht..." Antwortete ich irgendwann. „Aber manchmal hat man keine Wahl, außer alleine zu sein. Wie du schon sagtest, das Leben kann eben ziemlich schrecklich sein..." Ich rang mir ein halbherziges Lächeln ab, um den Schmerz in meiner Brust zu überspielen, aber ich glaube, dass David trotzdem hinter diese Maske schauen konnte und wusste, dass da mehr war.

„Aber jetzt bist du nicht mehr alleine. Vergangenheit ist Vergangenheit, das weißt du, oder?"
Als ich nickte drückte er mich wieder etwas näher an sich. Ich lehnte meinen Kopf gegen seine Brust, von der ich dachte, die Wärme selbst durch die dicke Jacke spüren zu können. 
Ich war nicht mehr alleine. Wenn ich könnte, dann würde ich diesen Moment einfrieren, sicher gehen, dass er nie wieder endet. Aber tief im inneren wusste ich bereits, dass das hier nicht für immer ist...

Promised Love - the stranger in my bed | LH FFNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ