❀ F O R T Y F O U R ❀

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Die Zeit stand still. Ich weiß nicht wie lange, aber es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Ein unendlich langer Moment, in dem keiner etwas sagte und ich nur spürte, wie mich meine Gedanken von innen heraus auffraßen. Die Fragen, die sie mir stellten, die Vorwürfe, die sie mir machten. Ich konnte das alles nicht mehr. Ich konnte sie nicht mehr hören. Die Stimmen in meinem Kopf, die mit jeder Sekunde lauter wurden und mich immer wieder daran erinnerten, dass das hier kein Traum war. Am liebsten hätte ich meinen Kopf gegen die Wand geschlagen, nur damit sie endlich aufhören. Aber ich konnte nicht, ich war gefangen in diesem Moment und es gab kein entfliehen. Ich konnte nicht einfach wegrennen. Diesmal nicht...

Schlussendlich war David der, der das Schweigen als erster brach und mich noch einmal fragte was hier passiert ist. Sein Blick fiel auf meine blutigen Finger, es musste aussehen, als hätte ich ihn umgebracht. Aber das habe ich nicht.

„Bitte hilf mir..." Mit Tränen in den Augen sah ich ihn an. Margarita war längst von meinem Schoß gesprungen und war in die Dunkelheit nach draußen verschwunden. Ich weiß nicht, wann ich das letzte mal nach Hilfe gefragt habe, aber es war sicher schon Jahre her. Und genauso fühlte es sich auch an, als ich die Worte ausgesprochen habe. Falsch und schwach. Ich habe nie Hilfe gebraucht, ich wollte nie Hilfe brauchen. Aber jetzt sah ich es sogar selber. „Kein Mensch kommt alleine klar..." Davids Worte. Er hatte immer recht gehabt, ich war nur viel zu naiv, um das wirklich zu verstehen...

„Natürlich, wir schaffen das, okay?!" David stieg über Adonis und kniete sich zu mir. Ich spürte seine Berührungen kaum, als er mich in den Arm nahm und meinen Kopf gegen seine Brust drückte, sodass mir der weitere Anblick erspart blieb.
„Wir kriegen das hin, ich bin hier..." Ich nickte, in der Hoffnung, ich würde es dann vielleicht selber glauben. Aber das tat ich nicht, ganz tief im inneren wusste ich, dass es jetzt keinen Weg mehr gab, der mich nach oben führte. Die Frage war bloß, ob David mit mir nach unten steigen würde...

„Wir müssen die Polizei rufen, Clara."
Bei diesen Worten überrollte mich eine eiskalte Lawine von Panik und Angst. Wir konnten die Polizei nicht rufen. Sie durften nicht hier herkommen.
„Nein!" Ich drückte mich von seinem Körper weg, der mich nur ungerne loslassen wollte. Ich musste schrecklich ausgesehen haben, das sah ich in seinem Blick.
„Doch, das müssen wir, Clara. Wir müssen die Polizei rufen, was willst du denn sonst machen?" Ich schüttelte den Kopf, kniff einen Moment lang meine Augen zusammen, was meinen Verstand aber auch nicht zurück brachte.

„Ich kann nicht..." Krächzte ich halblaut. „Ich kann wirklich nicht..." Mit glasigen Augen sah ich ihn an. Einen Augenblick lang herrschte Stille, die die Angst und Panik in mir nur steigen ließ. Wie sollte ich mich erklären? Was sollte ich sagen? Wo sollte ich überhaupt anfangen...? Wahrscheinlich am Anfang, dazu war ich jedoch nicht mehr im Stande.
Am Ende war es nicht mehr, als dieser weinerliche Satz, der über meine Lippen trat und das Schweigen zwischen uns wie Glas brechen ließ: „Ich habe etwas sehr schlimmes getan." Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen, zog meine Beine wieder näher zu mir heran und versank in meinen eigenen Tränen. Die Schluchzer, die nun meine Kehle hinaufkletterten, klangen nur noch erstickt. Da mischte kein Schmerz in ihnen, nur Leere, tiefe Leere.

Was hast du getan, Clara?" David zwang mich ihn anzusehen. Als sich unsere Blicke begegneten wusste ich, dass ich es ihm sagen musste. Die Wahrheit. Über mich, über mein Leben, über Adonis' Tod.
„Es ist meine Schuld ... alles ... es tut mir so leid, ich wollte dich nicht anlügen." Ich kniff die Augen zusammen, meine Tränen rannten trotzdem über Davids Finger, die sich um meine Wangen legten, als würden sie alles Schlechte von mir abwehren. Leider konnte er das diesmal nicht. Ich war das Schlechte, vor dem er sich bewahren sollte...

„Was ist deine Schuld? Warum lügen? Clara, du musst mit mir reden ... bitte." Flehte er und hatte recht. „Ich werde dir helfen, bei allem. Ich bin bei dir, verstehst du? Was auch immer passiert ist, es ist sicher nicht so schlimm wie..." Er unterbrach sich und überlegte. „...Andere Menschen haben schlimmere Dinge getan, ich bin mir sicher. Also rede mit mir."
Ich schüttelte den Kopf. „Nein!" Ja, andere Menschen haben schlimmeres getan, aber er wird nicht für immer bleiben. Damit hat er mich angelogen.
„Ich habe ihm nicht geholfen, als er mich brauchte und ihn verbluten lassen. Das ist schrecklich!"
„Es ist nicht deine Schuld, er hat sich selber dazu entschieden sich das Leben zu nehmen, okay? Dafür kannst du-"
„Nicht mein Bruder!" Unterbrach ich David. „Ich meine meinen Vater... Er ist die Treppen runtergefallen und dann war da überall Blut und ich dachte er wäre tot, aber das war er nicht und weil ich so Angst hatte bin ich abgehauen und habe Heather davon erzählt und, und..." Ich schnappte nach Luft, suchte den Augenkontakt zu David.
„Es ist okay, Clara. Beruhig dich erstmal, atme, wir haben Zeit."
Wir haben Zeit... Neben uns liegt eine verdammte Leiche, die zufällig auch noch mein verrückter, drogenabhängiger Bruder ist... Würde ich wissen, dass unsere gemeinsame Zeit für immer wäre, dann wäre es vielleicht etwas anderes. Aber nein, auch wir haben uns nicht für immer. Das Leben ist nicht dazu bestimmt, für immer zu sein.

Nachdem ich wirklich ein paar mal durchgeatmet habe, oder es zumindest versuchte, hörte der Wasserfall unter meinen Augen tatsächlich auf zu fließen und ich wurde die beklemmende Enge in meiner Brust los. Stattdessen versuchte ich einfach nur auf David zu hören, dessen Stimme immer die selben Dinge wiederholte.
Ich bleibe bei dir.
Du bist nicht alleine.
Es ist nicht deine Schuld."
Er wusste, dass ich es nur so verstehe. Und er würde die Sachen auch tausend mal sagen, weil ihm klar ist, wie sehr ich es brauche. Und vielleicht glaubte ich es dann irgendwann, was er sagte, was ich so sehr versuchte selber zu denken. Dass es nicht meine Schuld ist...

„Lies das." Ich gab David das Papier mit meinen roten Fingerabdrücken. Ich wollte, dass er ihn las. Dann könnte er vielleicht ein bisschen besser verstehen, was das hier alles zu bedeuten hat.
Er warf mir einen kurzen, unsicheren Blick zu, ehe er seine Augen auf das Papier richtete und begann zu lesen. Ich beobachtete, wie er die Zeilen entlang flog, von links nach rechts, immer wieder. Währenddessen Stille. Totenstille. Aber seine Blicke sprachen viel, mehr als es Worte je könnten. Das dunkle Braun in seinen Augen, welches glasiger wurde, je länger er Adonis' Worte in sich aufsaugte. Er hatte es schwer die Tränen zurückzuhalten, das sah ich ihm sofort an, aber ich sagte nichts. Ich schwieg, solange, bis er den Brief wieder zusammenfaltete und einmal tief durchatmete. Er ließ seinen Kopf auf seine Brust sinken, fuhr sich einmal durchs Gesicht und sah dann wieder zu mir.

„Du warst ein Kind, Clara." Sagte er leise, bevor er die Fassung verlieren konnte. „Es ist nicht deine Schuld, hast du das verstanden?" Er strich mir mit dem Daumen ein paar Tränen von der Wange, während ein gezwungenes Lächeln über seine Lippen huschte. Ganz schnell und kurz, länger konnte auch er es nicht halten. Im Anbetracht der Situation völlig verständlich.
„Niemand wird von diesem Brief erfahren, okay? Aber wir müssen die Polizei rufen, anders geht es nicht..."

Ich wusste, dass er recht hatte, mit allem. Also nickte ich und hängte noch ein brüchiges „okay" dran. Ich vertraute David. Ich vertraute ihm mehr, als es mir lieb war, mit jeder einzelnen Zelle meines Körpers...

Promised Love - the stranger in my bed | LH FFWhere stories live. Discover now