❀ E I G H T E E N ❀

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Nachdem David weg war hatte ich noch etwas Zeit, bevor ich zum Training musste. Ich nutzte diese und ließ die letzten Stunden noch einmal revue passieren. Irgendwie konnte ich immer noch nicht so richtig glauben, dass es das jetzt war. Die Sache mit dem Erbe, es ließ mich nicht los, dass es wirklich so ist, als hätte mein Bruder nie existiert. All unsere Träume, all unsere Versprechen und Pläne, nichts davon wird je wahr werden. Und irgendwas in mir hoffte immer noch, dass er eines Tages zurückkommt und wir nochmal von vorne anfangen können. Dass wir die Vergangenheit hinter uns lassen und gemeinsam nach vorne blicken. Aber das war unrealistisch und ich wusste das selbst, auch wenn die Einsicht weh tat, aber es war eben die Wahrheit. Bitter, unangenehm, so wie sie es immer ist...

Während dem Training konnte ich diese erdrückenden Gedanken zum Glück von mir fern halten. Ich war viel zu konzentriert, um mir über irgendwas anderes einen Kopf zu machen, als darüber, was passieren muss, damit wir die Pirouetten noch synchroner beginnen, die Hebungen noch präziser gestalten und die Läufe noch schöner ausbauen können. Und ich würde es nicht wagen mich darüber zu beschweren. Die einzige, die sich wie immer über irgendwas aufregte, war Kira. Die Naturblondine redete den ganzen Weg zu mir nachhause über einen Barkeeper, der ihr gestern aus Versehen einen drink übergekippten hat, was dann aber auch egal war, weil ihr ein Typ heldenhaft dabei geholfen hat ihr Kleid loszuwerden. Was danach passiert ist schilderte sie mir natürlich auch ganz genau. Ich hätte lieber weggehört...

„Du kannst es dir gar nicht vorstellen!" Sie starrte verträumt an meine Decke, während sie sich seufzend auf meine Couch plumpsen ließ. „So ein Gentleman... Und dieser Sex, oh mein Gott!"
Ich ließ mich neben ihr aufs Sofa sinken. Das Kopfkino, was ich bei ihren Erzählungen bekam, brachte mich zu der Frage, ob sie überhaupt fähig dazu ist, mal was mit nem Typen zu haben, der sie nicht mit der Gentleman-Masche um den Finger wickelt und am Ende doch ein riesiges Arschloch ist. Denn das war er bestimmt, ich kannte ihn zwar nicht, aber so ist es eben in den allermeisten Fällen.

„Ach ja, er ist wirklich toll..." Schwärmte sie und streckte sich dabei nach meinem Notizbuch, welches auf dem Couchtisch lag. Wie immer, wenn es irgendwo herumlag, blätterte sie durch die Zeichnungen, die sie aber alle unkommentiert ließ. Bis auf eine.
„Wer ist das?"
Sie drehte es zu mir, ihr Finger lag auf dem Portrait von David. Mir wurde augenblicklich heiß, Röte schoss in meine Wangen. Das hatte ich ja ganz vergessen...

„Äh, keine Ahnung... Niemand bestimmtes, hab ich einfach aus meinem Kopf gemalt..." Stammelte ich verlegen, was sie mir aber zum Glück nicht angemerkt zu haben schien.
„Komisch..." Murmelte sie und warf noch einmal einen Blick auf das Bild.
„Ich könnte schwören, dass ich den kenne. Dieses Gesicht kommt mir ehrlich bekannt vor."
In einer etwas übertriebenen Art drehte sie das Büchlein hin und her, betrachtete das Bild falsch herum und legte ihren Kopf schief. Sie darf das mit uns, was auch immer es war, auf keinen Fall herausfinden!

„Vielleicht sieht er jemandem ähnlich..."
Es war schon möglich, dass sie ihn schon einmal irgendwo gesehen hat. Die Welt ist offensichtlich doch ziemlich klein...
„Hast recht ... Na ja, wie auch immer, hab ich dir schon erzählt, wie gut der Sex mit dem Typ aus der Bar ist?" Sie klappte das Buch zu und schmiss es neben sich auf die Couch. Wieder rollte ich mit den Augen. Sie ist wirklich Kira, durch und durch...

„Er hatte im übrigen dieselbe Augenfarbe wie du, wollte ich nur mal kurz anmerken."
Ohne noch etwas anzufügen sprang sie auf und lief in die Küche. Perplex blieb ich zurück, was wollte sie damit sagen?
„Ist das gut oder schlecht?"
Ich wusste nicht, ob ich die Antwort wissen wollte. „Keine Ahnung..."
Ich hörte, wie sie den Kühlschrank öffnete. Natürlich, wie immer, auf der Suche nach essen... „Ich mein ja nur. Musste während dem Sex die ganze Zeit an dich denken!"
„Kira!" Stieß ich angeekelt aus und stand selber auf. „Sag doch sowas nicht. Ich will bitte nicht in deine komischen Bettgeschichten mit reingezogen werden..."
Die Blonde sah mich belustigt an und biss dann extra provokant in das Käsebrot, welches sie sich wohl nebenbei geschmiert hatte. Manchmal weiß ich wirklich nicht, warum ich gerade mit ihr befreundet bin. Vielleicht hätte ich mir doch jemand anderes als beste Freundin suchen sollen... Wenn sie sowas sagt, denke ich das manchmal wirklich.

„Nein, aber jetzt mal ernsthaft. Du wärst auch dahingeschmolzen. Ich glaube, er wäre sogar dein Typ gewesen. Groß, grüne Augen, dunkle Locken... Auf sowas steht doch eh jede, oder nicht?"
Kira grinste mich an, als Antwort rollte ich mit den Augen und schüttelte kaum merklich meinen Kopf. Klar, total mein Typ...
„Und was hast du mit deinem neuen Romeo vor? Möchtest du ihn kennenlernen, oder machst du's so wie immer, vögelst ein paar Mal und schießt ihn dann ab? So ganz Kira-like..."
Nun war ich die, die grinste. Ich fand die Vorstellung davon, wie sie sich durch die Weltgeschichte vögelt, jedem von den Typen irgendwie Hoffnung macht, nur um sie am Ende für den nächsten abzuschießen, extrem lustig. Ich meine, ich kannte sie ja nicht anders und ich war wahrscheinlich die Letzte, die etwas dazu sagen dürfte, wenn man bedenkt, was in meinem Liebesleben so abgeht, aber irgendwie mochte ich es, sie damit aufzuziehen.

„Hm, das ist natürlich eine gute Frage. Aber ich bin dir ganz ehrlich, er ist schon süß und vielleicht wird ja mehr draußen, wer weiß..."
Sie lächelte verträumt und erzählte mir dann noch ein bisschen was von ihm, doch so wirklich aufmerksam zuhören konnte ich nicht mehr. Mein Kopf ging immer wieder zurück zu David, Kira hatte mir mit ihrem Typ einen Anstoß zum denken gegeben. Fragen über das, was das zwischen uns war tauchten vor meinem inneren Auge auf. Was war das, wie konnte man das nennen? Gab es überhaupt einen Begriff dafür? Klar, wahrscheinlich würde man uns Freunde mit gewissen Vorzügen nennen, aber irgendwie passte das nicht. Es fühlte sich falsch an, zu sagen, dass wir Freunde sind. Wir waren mehr als Freunde, weniger als Partner. Irgendwas dazwischen, und ich hatte eine Ahnung was.

Ich vertraute ihm mehr, als irgendjemand anderem, und das, obwohl ich gerade einmal seinen - und die Namen seiner zwei Hunde kannte. Ich weiß, das war naiv und wahrscheinlich würde ich es irgendwann bereuen, aber ich konnte es nicht abstellen. Er gibt mir das Gefühl, dass ich ihm vertrauen kann, dass es okay ist... Irgendwie.
Und er wusste mehr über mich, als irgendjemand anderes von meinen Freunden, er kannte mich besser als Kira oder Nils oder Pascal. Er ist da, wenn ich nachts aufwache, weil mich meine Dämonen heimsuchen. Er ist da, wenn ich nicht alleine sein möchte. Er ist da, wenn ich ihn brauche...
Ich habe ihm Dinge erzählt, die sonst kein anderer über mich weiß und auch niemals erfahren wird. Er kennt mich besser, als alle anderen und wusste doch weniger über mich, als er es je für möglich halten würde...

Die Einsicht tat weh. Sie verursachte einen brennenden Schmerz in meiner Kehle, weil ich ganz genau wusste, dass das die einzige Möglichkeit war, ihn nicht von mir wegzustoßen. Denn wenn er wüsste, wer ich bin, würde er mich abgrundtief hassen. Alle würden mich hassen, Kira, Nils, Pascal, Sam... Einfach alle. Auch meine Tante. Und das wollte ich nicht, ich wollte die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen und die Zukunft offen halten, für all das Neue, was noch kommt.
Trotzdem die eigentliche Frage, welche ich irgendwie versuche mir zu beantworten: Was machte das aus uns? Freunde? Vielleicht, und wenn nicht, dann war es eben etwas andres...

Promised Love - the stranger in my bed | LH FFWhere stories live. Discover now