K A P I T E L 45

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"Du hast ihm mit Sicherheit einen riesigen Schrecken eingejagt.", tadelte Rosalie schmunzelnd. "Komm schon, er kann nicht wirklich gedacht haben, dass er sich unauffällig an unser Haus schleichen kann, oder?", grinste Emmett. "Was hast du da?", neugierig beugte sich Jasper nach vorn und versuchte einen Blick auf das Buch in Emmets Händen zu erhaschen.  Mit weniger begeisterter Miene ließ dieser das Exemplar auf den Tisch im Wohnzimmer fallen. Für einen kurzen Moment verstummten alle als sie erkannten um was für eine Art Geschichtsbuch es sich handelte LaPush Mythen und Sagen der Quileute. "Sie hat es gelesen als ich reingekommen bin.", fügte er murrend hinzu. "Ich hab es schon gesehen als ich ihr Zimmer eingeräumt habe.", meldete sich Alice zu Wort. Es war ihr lediglich aufgefallen, weil es zum einen offen auf ihrem Schreibtisch lag und es nicht aussah als wäre es ein einfacher Roman. "Sie war beim Lagerfeuer richtig? Dort wird sie bestimmt die Legenden gehört haben und wollte mehr darüber wissen. Neugierde, mehr nicht.", ließ Jasper das Thema so schnell wie sie es aufgenommen hatten wieder fallen. "Seth ist ihr wichtig, da ist es nicht abwegig, dass sie etwas über seine Kultur erfahren will.", nickte Rosalie ihrem Zwilling zu.

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"Sie macht es wieder." Alices Worte waren an niemanden spezielle gerichtet und doch wusste jeder im Raum wovon sie sprach. "Sie zieht sich zurück, genau wie das letzte Mal.", Rosalie nickte bestätigend. Schüttete den kalt gewordenen Tee weg welcher eigentlich für Mila bestimmt war in die Spüle, diese war jedoch eingeschlafen bevor sie nicht mal einen Schluck genommen hatte. Esme riebt ihrer Tochter ermutigend über den Arm, sorgte sich genauso um die Brünette. "Sie braucht Zeit.", meldete sich Carlisle Stimme zu Wort. Die Frage ob sie diese überhaupt hatte schoss Emmett durch den Kopf, verblieb jedoch stumm. Mila war eine junge Frau und er wollte das sie ihre Jugend genoss. Doch sie hatte mehr Wochen und Monate damit verbracht wieder zu Kräften zu kommen und sich zurück zu ziehen, als ihr Leben zu genießen. Emmett hatte alle Zeit der Welt, Rosalie genauso, jeder einzelne der Cullens, doch nicht Mila. Sie war ein Mensch und es war ein Wunder, dass sie beide Angriffe überstanden hatte.

Er verstand, dass sie Ruhe brauchte. Hoffte trotzdem Tag für Tag, dass sie endlich wieder breiter lächeln und lauter lachen würde. Ihre Körper konnte man nicht zu einer schneller Genesung zwingen, doch er machte sich mehr Sorgen um ihr Gemüht. Sie wirkte anders als das erste Mal. Wirkte reservierter, nachdenklicher und mehr in sich und ihre Gedanke gekehrt. Sie saß nicht mehr so oft auf dem Sofa vor der Fensterfront welche in den Wald zeigte. Das Sofa welcher Emmett sofort wieder an die gleiche Stelle platziert hatte. Sie verblieb die meiste Zeit in ihrem Zimmer, saß dort vor dem Fenster. Die Tür blieb widerwillig verschlossen, da Emmett nicht damit einverstanden war diese zu öffnen wenn Mila davor saß. Sie erschien zum Essen, bedankte sich jedes Mal bei Esme für die Köstlichkeiten welche sie zauberte. Nahm dankend jeglichen Tee und Snacks an die ihr besonders Rosalie und Jasper brachten. Emmett wartete auf ihre Fragen, die möglichen Streitigkeiten welche daraus resultieren würden, da er Mila keine Antworten geben konnte. Doch bis zum jetzigen Zeitpunkt war nichts davon eingetreten.

Mila hingegen sah sobald sie ihre Augen schloss immer mehr Bruchteile der Nacht welche sie solange außer Gefecht gesetzt hatte. Zuerst waren es minimale Dinge die sie nicht miteinander in Verbindung bringen konnte. Wie kleine Puzzleteile rieselte sie auf das Mädchen ein, bis sie sich an immer mehr Details erinnern konnte. Das plötzliche Aufwachen, den Druck welcher eine Hand auf ihren Mund ausübte. Wie ihre Haut widerlich geprickelt hatte durch jeglichen Körperkontakt. Nichts konnte sie davor retten. Sobald sie ihre Augen schloss kamen Erinnerungen zurück, manche stärker als andere, manche bedeutender als andere. Es war nicht so wie das erste Mal, dass sie Tagsüber sicher vor allem zu sein schien und das Ganze sie nur nachts einholte. Auch wenn die Erinnerungen nachts deutlicher schlimmer waren wenn sie in der Dunkelheit wach wurde. Egal wie viele Details von der besagten Nacht zusammen kamen, eine Sache blieb aus. Egal wie sehr sich Mila in ihren Träumen werte und bewegte, sie konnte nie ins Gesicht der Person sehen. Es war wie ein schwarzes, verschwommenes Loch.
Eine Angewohnheit hatte sich bei der jungen Frau festgesetzt, unfreiwillig. Sie räusperte sich immer und immer wieder. Hatte das Gefühl irgendetwas würde ihr im Hals stecken, was jedoch nicht verschwinden wollte. Fast schon als wolle sie am liebsten Schreien, einfach alles heraus, doch dann war ihre Kehle wie zugeschnürt. Sie schob es auf ihren Körper, auf die möglichen Verletzungen welche sie davon getragen hatte. Nicht mal nach diesen hatte sie Carlisle gefragt, ließ sich einige Verbände wechseln und nahm einige Tabletten welche ihr helfen sollte. Aber bei jeder Prozedur verblieb sie still und mied es das ganze zu beobachten. Der Verband an ihrem Hals fiel ihr immer wieder ins Auge, doch irgendwann sah sie auch darüber hinweg.

Mila konnte es sich selbst nicht erklären, die Dunkelheit war ihr unangenehm, ließ sie regelrecht paranoid werden und jede kleinste Lichtquelle wertschätzen. Der Wald hingegeben brachte ihr Geborgenheit, der Grund wieso Emmett sie immer wieder an den Fenstern ihres Zimmers auffand, Augen starr auf die Natur vor ihr gerichtet. Besonders in der Nacht sah sie nach draußen, die Bäume nur vom Mondlicht erhellt. 
Es erinnerte sich an einen Lichtblick in all dem Chaos, Seth. Er war neben ihrer Familie das einzig positive was in ihrem Kopf herum tanzte. Beide hatten so viel zu sagen und doch waren die Nachrichten nie länger als ein paar Worte. Egal wie lang oder kurz die Nachrichten waren ließen sie ihr Herz jedes Mal etwas schneller schlagen. Seth fragte sie nicht wann sie sich wieder sehen würde, Mila schnitt das Thema genauso wenig an. Ihre Unterhaltung war leicht und gleichzeitig tiefgründig. Leicht im Sinne, dass beide den Vorfall weshalb sie sich nicht sehen konnten ignorierten. Auch wenn er nach ihrem Wohlbefinden fragte, so führten sie dies nie weiter aus. Tiefgründig weil sie davon sprachen wie sehr sie einander vermissten. Wie Seth versuchte sie so fühlen zu lassen als wäre sie nicht abgeschottet am anderen Ende der Stadt. Erzählte ihr von vielem was zur Zeit in LaPush passierte. Wie er immer da war wenn sie ihn brauchte, wie schnell er auf ihren Nachrichten antworte, egal wie unsinnig oder simple sie in ihren Augen waren. Bei dem Gedanken an den jungen Quileute fiel ihr Blick auf das kleine Sofa, dort hatte sie ihr Handy achtlos abgelegt. Sie reckte sich, nicht daran interessiert aufzustehen und bewegte sich umständlich um es endlich mit der Hand zu erwischen.

Es lag einige Minuten in ihren Finger, diese tippten unruhig gegen die Hülle des Handys. Sein Namen strahlte ihr entgegen, bis sie begann zu tippen. Der Wald erinnert mich an dich, ohne weiter darüber nachzudenken sendete sie die Nachricht. Vielleicht hätte sie die Gewohnheit brechen sollen und mehr dazu schreiben sollen. Der Faktor, dass der Wald sie beruhigte und sie dadurch auch an ihn dachte. Wie positiv die Nachricht sein sollte und zu ihrem Horror viel zu monton klang- Der Strand in LaPush erinnert mich an dich, genauso wie das Meer,  leuchtete auf ihrem Display auf. Seth hatte sie verstanden, natürlich hatte er es. Wenn jemand Milas manchmal schwierige Ausdrucksweise verstand war es Seth. Er war kein große Poet und stolperte öfter als es ihm lieb war über seine Worte. Doch wenn es um Mila ging hätte er ganze Seiten schreiben können, was ihn an sie erinnerte und wieso. Das der Strand ihn immer an ihr erstes Lagerfeuer zusammen erinnern würde. Wie er sich daran zurück erinnerte das Meer beobachtet zu haben mit ihr an seiner Seite. Doch genau diese Erinnerung holte ihn zurück in die Gegenwart. Es war der gleiche Moment in dem er unvorsichtig gewesen war und das kalte Wesen ihre Fährte aufgenommen hatte. Und es erinnerte ihn daran wieder nach ihr zu sehen, er wollte diese negative Erinnerung abschütteln und sich auf das hier und jetzt konzentrieren. Als Mila immer länger brauchte um zu antworten, bis sie schließlich davon sprach zu schlafen, setzte Seth an wie so oft aus dem Reservat auf das Gebiet der Cullens zu verschwinden. Hoffte auf eine ruhige Nacht, die ihn näher daran bringen würde Mila bald wieder zu sehen.

Doch es war die erste Nacht in der sie plötzlich das Gesichts ihres Angreifers sah als sie ihre Augen schloss. Die erste von unzähligen Nächten in denen ihre Schreie durch das Haus der Cullens schallten und nicht nur diese alarmierte.

Bis(s) sie die Wahrheit kennt | Seth ClearwaterWhere stories live. Discover now