KAPITEL 15

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Nach nur noch weiteren 10 Minuten kam ich mit dem Taxi an meinem Ziel an. Schnell bezahlte ich den Fahrer, bedankte mich für das sichere Ankommen an mein Ziel und öffnete die Autotür. Nun stand ich vor den traumhaften kleinen Häuschen, in welches sich meine Mutter und die Liebe meines Lebens - Mariella befand. Ein kurzes Lächeln huschte über meine Lippen wenn ich daran dachte, wie sehr sie sich freuen wird, wenn sie mich wiedersehen wird. Noch einmal schüttelte ich die Erinnerungen der vergangenen Woche ab, all das Schlechte, und atmete noch einmal tief durch bevor ich das kleine weiße, hölzerne Tor öffnete, um direkt im Vorgarten des Hauses zu stehen. Meine Mutter war schon immer verliebt in die Blumen, die sie bei sich pflanzte. Zusammen mit meinem Vater pflegte sie den Garten und behandelte diese so, als würden sie sofort zerbrechen wenn man sie anfassen würde. Sie verehrte ihre Blumen, die Schönheit welche sie ausstrahlen und somit ihr Haus noch schöner wirken lies. Denn etwas anderes hatte sie bereits nicht mehr. Mein Vater verstarb bereits vor einigen Jahren, welches unseren Alltag völlig aus der Bahn warf. Ich vergötterte diesen Mann meine ganzen jungen Lebensjahre, doch kurz bevor ich 17 war, erhielten wir die Nachricht von seinem Tod. Er hatte sich den falschen Gegner ausgesucht, der Alkohol riss ihn letztendlich in den Tod. Jahrelang versuchte ich ihm eine gute Tochter zu sein, schrieb gute Noten, war kreativ in Schrift und Ton. Ich lernte für ihn das Klavier zu spielen, wollte ihm jeden Abend, nachdem er von der Arbeit kam, etwas vorspielen, doch es war nie genug. Ich war nicht das Kind, welches er sich gewünscht hatte. Viel lieber wollte er einen Sohn, welchen er beibringen kann, wie man das Haus weiter ausbaut, oder wie man aus Holz verschiedene Dinge bauen kann. „Deine guten Noten sagen nichts über deine Intelligenz und Reife aus. Noten sind lediglich Zahlen, nichts weiter." War ein Satz welcher sich in meinem Kopf und in meiner Seele einbrannte. Zu dieser Zeit war ich bereits 13 Jahre alt und wollte ihm stolz mein frisches Zeugnis zeigen. Doch es war ihm egal. Viel lieber kam er von der Arbeit nachhause, verzog sich in sein Arbeitszimmer oder unterhielt sich mit meiner Mutter, welche er von ganzem Herzen liebte. Doch ich, sein eigenes Fleisch und Blut, war unsichtbar für ihn. Doch ich habe nie aufgegeben die Anerkennung von ihm zu erlangen, ihm gut genug zu sein. Ich liebte und liebe ihn noch heute, auch wenn er der Auslöser für meine Vergangenheit war. Denn nachdem er gestorben war, hatte ich niemanden mehr, den ich beweisen musste, dass ich gut genug bin. „Egal was du tust, ich werde dich von Herzen lieben und immer stolz auf dich sein mein kleiner Engel." Sagte meine Mutter kurz nach der Beerdigung meines Vaters. Von da an war es mir ganz egal welche Noten ich schrieb, ob ich Klavier spielen konnte oder Bücher schreiben konnte. Mir war es egal was die Leute von mir dachten. Von dem Tag an, als wir uns zum letzten Mal von meinem Vater verabschiedeten, war ich nicht mehr die kleine süße Evelyn. Die, mit den ordentlich zusammengebundenen Haaren, mit den schönen glatten Kleidern. Ich war nicht mehr die ordentliche, zurückhaltende und zurückgezogene kleine Maus, war nicht mehr um 19 Uhr Zuhause. Mir wurde von einem Mal alles egal und ich änderte mich völlig. Jetzt war ich die Evelyn, über die alle nur den Kopf schütteln konnten, ich wurde auf den Straßen nicht mehr erkannt oder sollte nicht mehr erkannt werden. Sogar meine Mutter wusste nicht einmal, wer ich bin. Was mit mir passiert ist, warum ich plötzlich ein anderer Mensch bin. Ich rebellierte gegen alles, doch das war mir nie genug. Endlich konnte ich die Freiheit spüren und war nicht mehr in einer Schlucht gefangen. War nicht mehr 'nicht gut genug' sondern vollkommen frei von Verpflichtungen. Mittlerweile war es mir sogar zu dieser Zeit egal, wie sehr meine Mutter um meinen Vater weinte, und unter meinen Veränderungen litt. Ja, mir war es egal wie sehr die Frau, die mich über alles liebte litt. Noch immer war ich die einzige Erinnerung an meinem Vater, die sie hatte - und ich zerstörte auch die letzte Erinnerung, was mir heute unsagbar leid tat, auch wenn ich wieder die alte Evelyn geworden bin.

Schnell stolzierte ich zur Eingangstür, nur um die weiteren Gedanken und Erinnerungen meines alten Lebens zu verdrängen. Als ich an der Tür klopfte, musste ich nicht einmal zwei Minuten warten und schon öffnete sich ein kleiner Spalt. Ich sah nach unten und entdeckte die leuchtenden Kulleraugen meiner wahren großen Liebe. „Mami!" schrie die Kleine freudig, riss die Tür weit auf und fiel mir um den Hals, als ich mich nach unten beugte. „Hallo mein Engel." Sagte ich sanft und schloss sie in eine warme Umarmung. Ich sog ihren Duft auf, welchen ich schmerzhaft vermisst hatte. All die Probleme, die ich in den letzten Tagen dazubekam, oder auch lösen konnte, fielen von mir herab und ich ließ unkontrolliert meinen Gefühlen den freien Lauf. „Mami warum weinst du denn?" fragte mich Mariella und sah mich mit ihren treuen Augen unschuldig an. Ich musste lächeln und wischte kurz über mein Gesicht und somit meine Tränen weg. „Mami freut sich nur so sehr dich wiederzusehen, ich habe dich so vermisst." Antwortete ich und lächelte sie verliebt an. „Wir müssen reden Evelyn." Platzte es aus dem Mund meiner Mutter heraus, die direkt vor Mariella und mir stand. Vor Schreck, da ich ihre Anwesenheit nicht ganz mitbekommen hatte, zuckte ich kurz zusammen und nickte ängstlich, ehe wir endlich die Tür schlossen und uns auf den Weg in die Küche machten. Mariella hingegen, blieb im Wohnzimmer und spielte weiter mit ihren kleinen Puppen. Als wir bereits in der Küche standen und meine Mutter den Tee kochte sah ich mich um, es hatte sich gar nichts verändert. Alles blieb so, wie ich es in Erinnerung hatte. Selbst die kleinen Macken und Bruchstellen des Hauses wurden nie saniert. Ich wusste warum meine Mutter es nie tat. Zwar änderte sie sich selbst, in ihrem Stil, ihrem Auftreten, ja vielleicht sogar ein wenig in ihrem Charakter. Aber das Haus blieb gleich, von innen zumindest. Hier konnte sie sein wer sie wirklich war, nämlich die noch immer trauernde Witwe. „Du warst lange nicht mehr hier." Murmelte sie nachdenklich und sah mich an. „Ich bin fast jedes zweite Wochenende hier Mutter." - „Ja, aber nicht mehr hier. Hier drinnen. In unserem Haus. Da wo du aufgewachsen bist. Wie lange hast du deine Zimmer nicht mehr betreten Evelyn? Seitdem du ausgezogen bist. Und noch immer wütet in deinen Körper ein unmenschlicher Sturm und keiner kann ihn bändigen, weil du es nicht zulässt. Sieh es endlich ein dass du kaputt bist, dass du dich nicht reparieren lassen willst." Konfrontierte sie mich und ich sah sie entsetzt an. „Mutter.. wie kommst du darauf?" - „Ich habe es gesehen Evelyn. Ich sehe es noch immer. Sieh dir Mariella an, wie fröhlich sie ist, wie lebensfroh und so verdammt schlau für ihr zartes Alter. Sie nimmt die Charakterzüge ihres Vaters an, höchstwahrscheinlich. Denn du warst schon immer zerstört, als Kind und auch noch jetzt, von außen vielleicht nicht, aber von innen. Du bist wie dieses Haus mein Kind. Von außen erweckst du die Schönheit selbst und von Innen bist du ein einziger Trümmerhaufen. Und irgendwer, doch ich weiß nicht wer, hat dich die letzte Woche verändert. Ich sehe es in deinen Augen. Du wirkst schwach und zerbrechlich und man kann es zum ersten Mal deutlich spüren, und auch sehen." Sagte sie und streichelte meinen Oberarm. Ich kämpfte stark gegen die Tränen an und gewann nach 5 Minuten auch den Kampf. Es tat weh zu wissen, dass sie mit allem was sie sagte Recht hatte. „Wie ist diese Person, die dir nahe kommen darf, ohne dein Blut mit dir zu teilen? Denn die einzigen die du normalerweise an dich ranlässt, sind Mariella und Ich - Deine Familie." Bestimmend legte sie ihren zur Seite und wartete auf eine Antwort. Ich nahm meinen Mut zusammen und atmete tief durch. „Es ist eine Frau Mutter. Ich weiß, du willst davon nichts hören, du willst nie wieder davon was hören das weiß ich auch. Aber es ist passiert und ich habe inständig gehofft, dass es eben nicht passiert. Doch sie hatte mich von Anfang an in ihren Bann gezogen, sie verstand mich auch ohne Worte und sie ist wahnsinnig schlau. Mutter hast du jemals einen Menschen kennengelernt wo du fasziniert von seiner Intelligenz und seiner Präsenz ist?!" - „Jeden Tag wenn ich in deine Augen sehe mein Schatz. Jeden Tag bin ich davon fasziniert wie ähnlich du deinen Vater siehst, und wie fremd du uns beiden vom Charakter bist. Und trotzdem werde ich immer stolz auf dich sein. Du hast Recht, ich will davon nie wieder etwas hören, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass du für eine Frau bestimmt bist, aber sie bricht dein Eis, also; Was ist mit dieser Frau? Wann darf ich Sie kennenlernen." Fragte sie mich lächelnd und ermutigend doch mein Lächeln brach sofort und wurde zu einem gequälten Schmunzeln. „Fort. Ich habe sie verloren bevor ich sie Mein nennen konnte. Sie... Sie fühlt nicht das gleiche wie ich." - „Vielleicht solltest du erst einmal wieder Abstand bekommen. Was ist mit Micah, versteht ihr euch?" - „Ja. Er ist nett." Sagte ich und wir beendeten das Gespräch als wir uns zu Mariella in das Wohnzimmer gesellten, doch plötzlich stupste mich meine Mutter in die Seite und ich sah zu ihr auf. „Könntest du aus meinem Schlafzimmer oben bitte Mariellas Tasche holen? Sie steht noch dort." Fragte sie mich ohne eine Antwort abzuwarten. Ich quälte mich aus dem Sessel und ging einen Schritt nach dem anderen nach oben. Es fühlte sich komisch und schwer zugleich an, als ich in den kleinen Flur in der obersten Etage stand. Es gab genau 3 Zimmer auf dieser Etage. Links von der Treppe lag das Schlafzimmer meiner Eltern, rechts von der Treppe befand sich ein kleines Atelier welches meiner Mutter gehörte. Und genau geradeaus, das Zimmer mit der dunklen Eichenholztür, das war mein Zimmer. Ich dachte kurz zurück, wie viel Exzesse in diesem Raum stattfanden, wie viel Frauen ich dort verführte oder wie viel Geld ich dort versteckte. Ich wagte es, ich nahm all meinen Mut zusammen und ging direkt zu der dunklen Tür. Langsam schloss ich die Augen, atmete tief durch und drückte die Türklinke hinunter. Noch immer war der Duft von Angst und Alkohol in der Luft. Wieder erinnerte ich mich an diese eine Nacht, als er mich bis hier verfolgte, als mein Albtraum hier begann. Noch immer war das Laken meines schwarzen Metallbetts rot durchtränkt und mir wurde klar, dass nach dieser Nacht niemand dieses Zimmer betreten hatte. Meine Nägel krallten sich in meine Kopfhaut und ich presste stark meine Zähne aufeinander bevor ich leise wimmerte. „Verdammt Evelyn du abscheuliches Wrack. Was hast du damals nur getan?!" sagte ich zu mir selbst und verschloss diesen Raum sowie mein Herz.

Let me be your poem [girlxgirl]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt