KAPITEL 40

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"Wenn man ein grauenvolles Geheimnis hat,
schätzt man die Ehrlichkeit umso mehr." ~ Evelyn Pierce


Langsam ging ich in das Badezimmer und stellte mich unter die Dusche. Das warme, fast unerträglich heiße Wasser gab meinen kühlen Körper ein bisschen Kraft und Mut für den heutigen Tag. Und auch wenn ich nicht sonderlich viel Lust hatte, dass Jordan heute kommt, tat ich so als wenn ich sie vermissen würde. Denn obwohl sich Catherine seit der Abreise nicht mehr meldete, gab ich die Hoffnung an eine gemeinsame Zukunft nicht auf, zu oft hatten wir es bis jetzt uns selbst kaputt gemacht, ich wünschte mir sehnlichst, dass es kein nächstes Mal geben wird. Kurz nachdem ich mich aus der Dusche begab und mich halbwegs alltagstauglich anzog klopfte es zaghaft an meiner Haustür. "Evelyn, bist du da?" hörte ich die sanfte, aber dennoch nervige Stimme von Jordan schallen. Ich öffnete die Tür jedoch erst nachdem ich einen tiefen Seufzer von mir gab. "Hallo Jordan, komm herein." sagte ich kühl jedoch Jordan hatte andere Pläne. Sie riss mich in ihren Armen und presste stark ihre Lippen auf meine. "Ich habe dich so vermisst." Brummte die Blondine zwischen den Küssen. Nach einigen Minuten, die mir wie die Unendlichkeit vorkamen, lies sie von mir ab und trat in das Haus ein. "Du hast dich so lange nicht mehr gemeldet, was ist los Evelyn?" quietschte die Blondine. "Ich hatte viel zu tun. Die Reise war anstrengend, ich musste viel arbeiten." brummte ich nur zurück. Jordan verdrehte die Augen und verschränkte ihre Arme. Sie verstand nie, wie man für wenig Geld so viel arbeitet. Verständlich, denn sie wickelt jeden Mann um den Finger damit er auch sein letztes Hemd für sie geben würde. Und wenn das nicht klappt, dann geht sie eben wieder strippen. Ich wandte mich zu Jordan und zwang mir ein Lächeln auf die Lippen. "Was haben wir heute vor?" fragte ich während ich nebenbei die frisch gewaschene Wäsche aus dem Trockner nahm und zusammenlegte. Jordan tippelte verunsichert von einem Fuß auf den anderen, als würde sie dringend auf die Toilette müssen. "Ich hatte gedacht, dass wir zum Stadtfest gehen mit Mariella." Nachdem die die Worte aussprach zog ich skeptisch meine Augenbraue hoch. "Seit wann ist dir Familie so wichtig?" fragte ich höhnisch ohne zu merken wie sehr ich Jordan meine abschätzende Haltung zeige. Doch nachdem wir immer wieder diskutiert hatten, gab ich einfach auf und stimmte mit einem stummen Nicken ihrem Plan zu. "Ich mache Mariella und mich nur fertig. Warte bitte hier auf uns." Ich fühlte mich sichtlich unwohl, als ich mit Jordan und Mariella das Stadtfest besuchte. Während Mariella fröhlich mit dem Kinderkarussell ihre 8. Fahrt fuhr, standen Jordan und ich davor und sahen ihr zu. Doch ich konnte Jordans Worten nicht folgen, als sie anfing wie ein Wasserfall zu reden. Ich sah zu dem Blondschopf schräg vor mir, die Arm in Arm mit dem grauhaarigen Mann vor der Theke stand und ein Getränk zu sich nahm - wahrscheinlich Kaffee. Ihre Augen starrten zu mir rüber, doch ich konnte in Catherines wunderschönem Gesicht keine Regung entdecken, kein Lächeln, kein trauriges Gesicht, keine Wut. Ich fragte mich, was in ihrem so klugen Kopf gerade vorgeht. Denn in mir herrschte ein unsagbar großes Chaos. Catherine drehte sich weg von mir, denn die kalten Augen George's durchbohrten mich in dem Moment mit unsagbarer Wut. Keine Sekunde später vibrierte mein Smartphone und ich angelte es in Windeseile aus meiner Jackentasche, in der Hoffnung Catherine schreibt mir. "Tick Tack, Tick.. Die Zeit ist abgelaufen." - Unbekannt. Wieder einmal. Doch dieses Mal gefror mein Blut in den Adern und ich hatte ein schreckliches Gefühl, in mir brodelten meine Organe, als würden sie gleich platzen. Keine Minute später erhielt ich wieder einmal einen Anruf meiner Mutter - doch ich lehnte ab, zu sehr hatten ihre Worte mich verletzt. Dann der zweite Anruf, der dritte und dann keiner mehr. Ich schüttelte den Kopf und beschloss am Abend meiner Mutter einen Besuch abzustatten, um ihr endlich zu sagen, dass sie sich aus meinem Leben raushalten soll. Denn wem ich liebe und in wem ich mich verliebe, ging meiner Mutter nichts an.

Ich schaute noch einmal zu Catherine, ehe ich mich von beiden abwand und nach Mariella lief, die schon sehr blass aussah durch die vielen Fahrten im Karussell. Schelmisch grinsend kam Mariella auf mich zu und nahm meine Hand, Jordan hingegen sah sie nur skeptisch an und schlang sich um meinen Arm. Doch als das kleine Wunder den Blondschopf erblickte geriet die Situation außer Kontrolle. „MAMI CATHI" rief sie über den ganzen Platz. Immer wieder rief Mariella die Worte und ich sah wie George Catherine darauf ansprach, doch Catherine tat so, als würde sie Mariella nicht kennen, und kehrte der kleinen den Rücken zu. Es machte mich rasend vor Wut, doch irgendwie verstand ich diese absurde Situation. Schnell schnappte ich mir Mariellas kleines Händchen und zog sie ein wenig zur Seite. Doch die kleine weinte und lies sich nicht beruhigen. „MAMI CATHI HAT MICH NICHT MEHR LIEB!" schrie sie immer wieder bis ich sie auf den Arm nahm und ihr leise zuflüsterte, dass ihre Mami Cathi ihr gerade nicht hallo sagen kann. Ich spürte bereits die bohrenden Blicke Jordans in meinen Rücken und drehte mich zu ihr. „Mami Cathi also? Anscheinend bin ich nicht die einzige in deinem Leben, welche Hure hast du dir denn geangelt? Und warum sagt sie zu unserem Kind Mami?!" fauchte sie mich mitten auf den Platz an. Ich hielt Mariella so gut es ging die Ohren zu, damit sie all das nicht verstehen müsste. Die tausend Menschen auf dem Stadtfest standen um uns herum und sahen uns alle skeptisch und abwertend an. Ich lief rot an und rannte mit Mariella auf dem Arm aus dieser Menschenmasse, zurück nachhause wo uns niemand etwas antun würde.

Ich rannte und rannte, ich rannte davon und doch auch nicht. Meine Füße trugen Mariella und mich nicht nachhause, sondern in das Haus meiner Eltern. Noch immer war ich wütend und enttäuscht, verletzt und auch ein klein wenig zerbrechlich. Ich atmete einmal tief durch, als ich vor der Tür stand und wunderte mich, warum diese offen war. „Mutter, Mariella und ich sind da. Wir müssen reden!" rief ich streng durch den Flur, während ich Mariella ihre Jacke und meine auszog. Neben mir erblickte ich auf den kleinen braunen Beistelltisch neben dem Telefon einen Brief, auf den mein Name stand. Langsam öffnete ich ihn und setzte mich auf die alte grüne Couch im Wohnzimmer. Mariella suchte das Haus nach meiner Mutter ab sie rief zaghaft mit ihrer wunderschönen Stimme immer wieder nach ihrer Oma, ging die ganzen Räume ab, bis zu ihrem Schlafzimmer.

Meine Liebste Tochter,

wenn ich sagen würde, dass ich nie wollte, dass es so kommt, dann wäre das gelogen. Ein Menschenleben ist sterblich, wie so auch meins. Für immer kann niemand leben, auch wenn es sich manchmal so anfühlt, wenn wir glücklich sind. Mariella und du waren mein unbändiger Stolz. Für euch hätte ich alles getan, ich hoffe das weißt du.

Ich wusste bereits sehr lange, dass ich krank bin doch ich wollte nicht, dass du dir noch mehr Sorgen machen musst, als du sie jetzt schon hast. Evelyn, du warst schon immer ein Kind mit starkem Charakter, auch wenn du das reine Chaos in deinen Augen ausstrahlst. Ich weiß, wie sehr du dein Kind liebst, wie sehr du deinen Vater und mich geliebt hast, auch wenn du bei uns so distanziert warst. Dein Leben war nie einfach, es ist im Moment nicht einfach und vielleicht wird es das in nächster Zeit auch nicht. Aber denk daran, dass egal was passiert, dein Vater und ich immer stolz auf dich und unser Enkelkind sein werden. Und egal was passiert, wir werden beide über euch wachen, und wenn ihr Angst habt werden wir da sein um euch zu beschützen, euch Trost und Mut zu geben. Wir werden euch immer lieben, denn unsere Liebe zu euch, kann niemals sterben, auch wenn unsere Körper dies tun. Meine liebe Evelyn, trauere nicht um mich, das wäre vergebens. Denk an all die guten Zeiten, die du, dein Vater und ich zusammen erlebt haben, auch wenn es nur für eine begrenzte Zeit war. Als ich dir mein Traum erzählt hatte, da wusste ich bereits, dass ich in nächster Zeit sterben werde.

Du weißt, dass du nicht an all dem Schuld bist mein Kind. Es war ein Unfall, es war eine schreckliche Zeit. Die Zeit hat nicht nur dich geprägt, sondern uns alle. Aus dieser Zeit entstand jedoch ein wunderschönes Wesen, ein kleines Mädchen. Dein kleines Mädchen! Und sie hat die Augen, diese wunderschönen glänzendes Augen die voller Liebe und Leben strahlen, die du einst einmal hattest. Und ich hoffe, dass deine Augen wieder so strahlen. Denn du bist kein Stern am Horizont, du bist mein ganzer Sternenhimmel.

In Liebe, deine Mutter

Mein Atem stockte, verwirrt las ich mir Zeile für Zeile durch und verstand erst diesen Brief, als Mariella ihre Worte sprach. „Mami, Oma will nicht spielen. Sie liegt im Bett und ist ganz blau und kalt."

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Let me be your poem [girlxgirl]Where stories live. Discover now