KAPITEL 29

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Das Leben, oder besser gesagt das eigene Schicksal, hat immer einen anderen Plan als man selbst. Die Welt, das Land, der Staat, die Menschen - alle haben das perfekte menschliche Ideal im Kopf, doch sind sie es selbst überhaupt? Müssen wir uns wirklich an jede Richtlinie, Norm und jedes Gesetz halten? Was ist, wenn jeder das tun dürfte, was er will, vorausgesetzt er fügt niemanden anderen Schaden zu. Was ist, wenn wir die Regeln und Gesetze, die selbst nicht in irgendein verstaubten alten Buch aufgeschrieben wurden, einfach unbeachtet lassen und so sind wie wir sind? Wenn wir uns so kleiden, wie wir das wollen, und nicht wie die Massen es verlangen? Was ist, wenn wir gegen den Strom, den allzu bekannten Mainstream, schwimmen, sind wir dann sofort ein Außenseiter? Warum werden wir dafür gehasst, nur, weil wir in den Augen der anderen Menschen unterschiedlich sind? Warum sind wir nicht mutig, warum sind wir nicht naiv, warum sind wir nicht (un)vernünftig? Nur, weil uns vorgegeben wird so zu sein, wie die anderen es sind? Nur, weil die Menschen, die in Wahrheit nur hirnlose Roboter sind, alles dafür tun, um genau gleich auszusehen, gleich zu handeln und gleich zu sein? Dann geht man auf die grauen Straßen, sieht überall hässliche Betonklötze und Menschen die gleicher nicht sein könnten. Sie tragen die gleiche Frisur, die gleiche Kleidung, die gleiche Marke. Und doch sind sie hässlich. Sie haben einen hässlichen Charakter, einen regelrecht grauenvollen Umgangston und eine so unfassbar schlechte Grammatik, selbst beim reden. Es wird nicht mehr auf die Höflichkeitsform geachtet, denn wenn einer dies tut, ist er anders. Er ist ein Spießer, Langweiler, Nerd, oder sogar vollkommen verrückt. Es gibt nur noch 2 Gruppen auf dieser Erde - die Gleichen, die sich an jedes geschriebene und ungeschriebene Gesetz halten. Und dann gibt es noch uns, die, die gegen jedes ungeschriebene Gesetz verstoßen, um die Freiheit zu spüren. Denn wir wollen kein Vogel im Käfig sein. Nein, wir wollen ein kleines bisschen (un-)vernünftig sein, und das für immer.

Wiedererwartend sah ich das weiße Pulver genauestens an, ich starrte es regelrecht an ohne mich auch nur einen Millimeter weiterzubewegen. Es fühlte sich so unwahr an, was sich alles erst vor wenigen Minuten abspielte. Es war so unreal, dass ich Catherine verlor und Jordan gewann und dennoch fühlte es sich furchtbar schrecklich an. Vor noch wenigen Wochen wünschte ich mir Jordan zurück, ich wünschte mir, dass unsere Beziehung, unsere Bindung und unsere Liebe wieder aufflammen würde, wie vor einigen Jahren noch. Doch jetzt, heute, war es für mich wie ein schlimmer Albtraum, aus den ich nicht erwachen würde. Ich wollte sie nicht, nicht so sehr wie ich Catherine wollte, wie ich Catherine liebte. Jemand sagte einmal, man sollte sich nicht ein zweites Mal in einen Menschen verlieben, denn man würde sich nur in die vergangenen Erinnerungen verlieben. War das nun auch so bei Jordan und mir? Ich fürchte, dass ich die Antwort bereits kannte, ohne weiter darüber nachzudenken. Doch ich ging dies ein, ich tauschte meine großartige Zukunft mit Catherine gegen meine so schlimme Vergangenheit mit Jordan ein. Es fühlte sich unendlich falsch an, doch eine wirkliche Wahl blieb mir nicht, ich hatte Catherine angelogen, sah ihr in den Augen und sagte es würde bereits eine andere Frau in meinem Leben geben. Doch war das wirklich so gelogen? Was ist, wenn ganz tief in mir versteckt die Sehnsucht und die Liebe zu Jordan schlummerte, ohne dass ich selbst nur einen leisesten Hauch von Ahnung hatte?

Nur langsam ging ich auf die nackte Jordan zu, beugte mich hinunter zu ihrem Bauch, wo das weiße Pulver bereits verstreut ist und pustete alles weg. Jordan sah mich erst überrascht und dann lächelnd an als ich sie zu mir hochzog und ihr eine dünne Decke vom Sofa über ihre zarte Haut legte. „Ich bin nicht mehr die, die ich vor einigen Jahren zu sein schien, vielleicht auch noch vor einigen Momenten. Ich bin nicht mehr Theresa, ich bin Evelyn. Theresa war nur ein Monster in mir, welches ab und zu zum Vorschein kommt. Theresa war die junge und naive Stripperin, die sich unter dem Einfluss von Kokain, Alkohol und Marihuana das Leben schönredete. Theresa, die so schmerzlichst an die junge naive Jordan klammerte, dass sie sie verlor, gibt es nicht mehr. Ich bin wieder ich, vor dem Tod meines Vaters, vor meiner 'Karriere' als Stripperin, vor meinen völligen Abschuss, vor dir und vor allem vor David. Ich bin erwachsen geworden, zumindest glaube ich das, ich habe eine wundervolle kleine Tochter, ich bin Autorin, ich habe ein Haus, ich habe eine Absicherung, meine Tochter hat eine Absicherung da sie mich hat. Und ich will und werde nie wieder die Theresa sein, die du dir vielleicht erhoffst liebe Jordan. Denn das Leben bietet mehr als die schreckliche Vergangenheit, die ich wie eine tonnenschwere Last auf mir, Tag für Tag, liegt. Und ich liebe das Leben, seitdem ich für mich selbst entscheide und nicht jemand anderes für mich. Und auch du Jordan würdest das Leben lieben können, wenn du endlich verstehst, dass es so viel mehr auf der Welt gibt, als eine alte verklebte Stripteasestange in dem alten verrauchten und unfassbar ekelhaften Club, als das Gift, was du dir täglich durch die Nase ziehst. Es gibt so viel Schöneres auf der Welt als einen One-Night-Stand, denn es gibt Liebe und die Erkenntnis und der Wille, mit einem Menschen nicht nur eine Nacht, sondern sein ganzes Leben zu verbringen. Ich lebe nach Regeln, denn wenn jemand bei mir sein will, dann soll derjenige bei mir sein. Wenn jemand nicht bei mir sein will, aber bei mir ist, dann soll er gehen. Also entscheide du Jordan, ob du bei mir sein willst, oder ob du gehen willst." - „Ich will bei dir bleiben, denn.." - „Denn was Jordan?" - „Denn ich liebe dich, und ich habe dich all die ganzen Jahre geliebt. Doch ich hatte Angst, angst es dir zu sagen denn ich war und bin nur eine von Millionen auf dieser gottverdammten Welt. Und ich habe dich vergöttert, denn du konntest so großartig mit Wörtern umgehen, was du, so denke ich, noch heute kannst. Ich habe dich immer bewundert Evelyn, für all das was du in deinem Leben durchmachen musstest, ohne dein Lächeln zu verlieren. Du warst und bist so stark, hast ein Kind großgezogen und ich denke, dass sie zu einem wundervollen kleinen Mädchen herangewachsen ist. Und sie mich an, ich bin noch immer die, die du damals kennengelernt hast. Welcher Mensch will denn eine Hure lieben? Niemand will das, nicht einmal du. Und du hattest und hast so viel mehr verdient und doch stehst du nun vor mir, kurz nachdem wir wahnsinnig guten Sex hatten und starrst mich erschrocken an, weil ich dir das anbot, was du schon damals nach all dem ganzen Leid abgelehnt hast. Und du lehnst es wieder ab, was ich bemerkenswert finde und mich zu dich hochsehen lässt. Denn du Liebste, du bist so erwachsen geworden, so reif und so stark. Du bist intelligent und weißt was zu tun ist, oder in dem Fall was nicht zu tun ist. Und du kannst dir nicht vorstellen wie oft ich mir gewünscht habe, so wie du zu sein. Auch wenn ich damals die unnahbare spielte, heute bist du es. Die unnahbare Schönheit, die mich noch heute völlig in den Bann zieht, in die ich mich diese Nacht verliebt habe, wie vor so einigen Jahren auch. Auch wenn du dich verändert hast, meine Gefühle haben sich nicht verändert, meine Gedanken kreisen stets um dich. Und ich will und werde dich nicht aufgeben, egal wie oft du mir einen Korb gibst, egal wie oft du mir sagst ich soll gehen, ich werde immer und immer wieder zu dir zurückkommen, denn letztlich bleibt die Liebe, die vor einigen Jahren noch so loderte und heute nur noch glüht. Doch sie glüht und das Glühen gibt mir die Hoffnung und die Kraft, die ich vor wenigen Stunden glaubte, beinahe an Nervosität und Angst zu verlieren. Also Liebste, glaub mir, wenn ich dir sage, dass auch ich mich verändert habe. Glaub mir, wenn ich dir sage, dass ich tief im inneren nicht mehr so herzlos bin, wie noch vor wenigen Jahren. Glaub mir, wenn ich dir sage, dass nur deine Wärme mich schützen kann, vor den eisigen Nächten dieser Jahreszeit. Glaub mir, wenn ich dir sage, dass mein Herz nur bei dir höherschlägt. Und glaub mir, wenn ich dir sage, dass ich dich liebe, denn diese Worte sagte ich nie zuvor. Du hast mein Herz erwärmt, meine Knochen geheilt, mir mein Leben in meinem Körper geschenkt, und egal wie, ich will es ermöglichen, ich will es schaffen, dass auch du so von mir denkst. Ich will die schlechte Vergangenheit die zwischen und auf uns ruht, vergessen lassen, denn sie wird nicht umsonst als vergangen angesehen. Das, was zwischen uns damals passiert ist, sollten wir vergraben, wir sollten die Gedanken löschen und uns auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Denn wie schön wäre es, wenn wir zueinanderfinden und deine Tochter auch meine werden würde? Wie schön wäre es, wenn es wieder ein 'Wir' geben würde? Es wäre ein Traum, ein Traum den ich um jeden Preis zur Realität werden lassen würde. Ich habe noch nie jemanden in mein Herz gelassen und dann kamst du. Ich liebe dich Evelyn, ich liebe dich noch immer." Sagte sie ernst und doch voller Liebe und Hoffnung. Ich musste mehrere Male schlucken, um den großen Klos in meinem Hals verschwinden zu lassen, doch es gelang mir nicht und so nickte ich, mit Tränen der Rührung in den Augen, ihr nur kurz. „Ich werde versuchen deinen Worten zu glauben, nur bitte halte dich an meinen Regeln, sonst musst du gehen." Krächzte ich doch sie nickte lächelnd und legte sanft ihre Lippen auf meine, was ich nur zögerlich erwiderte bevor ich nach oben ging um uns beiden frische Kleidung zu holen. „Evelyn?" rief die junge Blondine mir sanft nach. „Ja Jordan?" fragte ich und drehte mich zu ihr um. „Wie hast du das alles geschafft nachdem das mit David passiert ist, ich meine wie hast du es allein geschafft aus diesem Drecksloch zu entkommen und dir ein kleines Paradies zu erschaffen mit deiner kleinen Tochter?" fragte sie während sie noch immer nackt, eingekuschelt in der Decke auf dem Sofa sitzt und sich eines der Bilder von Mariella und mir anschaut. Ich lächelte kurz und sah sie dann an. „Weißt du Jordan, anstatt das der Wind weht, zieht plötzlich ein Sturm auf, und auch dann sollte der Mensch versuchen nie aufzugeben." Sagte ich während ich nach oben ging und lies eine verwirrte Jordan auf dem Sofa sitzen.

Let me be your poem [girlxgirl]Where stories live. Discover now