2. Der Anblick

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Angespannt und hektisch lief die Wikingerin durch den Wald. Überall standen Bäume, die diesen Ort noch dünkler schienen ließen. Die junge Frau stolperte über Wurzeln oder Löcher im Boden, doch sie rannte weiter. Ihr Gesicht war tränenbeschmiert und nass. Ihre roten Augen waren schon ganz angeschwollen. Die Axt fest im Griff der rechten Hand stolperte die junge Dame weiter. Immer weiter und tiefer in den Wald hinein. Die innerlichen Schmerzen konnte sie nicht verdauen. Sie waren zu stark. Ihr Herz verkrampfte sich und die junge Erwachsene ließ ihren Gefühlen freien Lauf. Sie schluchzte und schwang ihre Axt hoch in die Luft. Mit viel Schwung donnerte die Wikingerin die Waffe in einen fünf Meter entfernten Baum hinein. In Höchstgeschwindigkeit lief die Frau zu dem zerschrottenen Lebewesen und zog ihre Axt hinaus. Mit viel Kraft wollte sie die Axt gleich in den daneben liegenden Stamm werfen. Doch plötzlich rutschte sie mitten im Angriff aus und kippte nach vorne auf den Boden. Die Axt englitt ihren Händen und schnitt während dem Fall eine tiefe Wunde in ihre Wange. Die Frau fiel vollständig auf den Boden und die Axt preschte genau vor ihr in den Grund ein. Es kamen noch viel mehr Tränen und tropften auf den Boden. Sie blieb völlig entkräftet liegen und kämpfte innerlich. Diese Schmerzen waren so intensiv. Sie trafen genau mitten in die engste Zelle in ihrem Herzen und verursachten ein Gefühlschaos. Im Moment war die Wikingerin einfach nur schwach geworden. Der empfindlichste Punkt in ihr wurde getroffen. Ihre harte Schale wurde gebrochen. Die weiche Seite in ihr wurde eingeschalten und konnte nichtmehr aufhören zu arbeiten. Die Tränen flossen in Strömen hinunter und konnten kaum weniger werden. Langsam nahm die junge Dame sich zusammen und stand wackelig auf. Erst jetzt bemerkte sie die starken äußerlichen Schmerzen der Wunde auf der Wange. Vor lauter Herzschmerzen hätte sie die tiefe Wunde fast vergessen. Wimmernd griff sie nach ihrer Axt im Boden und zog sie hinaus. Die Frau ging ein paar Meter in eine unbestimmte Richtung. Dann hob sie ihre Axt wieder und haute sie mitten in einen Baum hinein. Die schmerzende Trauer kam zurück und damit auch ihre letzte Kraft. Diese Art von Problemen konnte man nicht loswerden. Diese würden sie ihr Leben lang quälen und foltern. Schweren Herzens ging sie zu der Waffe im Baum und zog daran. Doch langsam schien ihre Kraft wieder zu schwinden. Die Wikingern rüttelte daran und versuchte sie hektisch raus zu bekommen, doch die Waffe steckte zu fest in den Rinden drinnen. Die junge Frau fing an verzweifelt zu schreien und zu schluchzen. Plötzlich stürmte die Axt regelrecht heraus und flog mitten auf sie zu. Ohne den Flug richtig zu verfolgen, hatte die Frau schon einen tiefen Schlitz in ihrem Oberschenkel. Die Axt, die das Körperteil scharf gestriffen hatte, flog neben dem Bein in den Boden. Die Wikinger schrie auf und fiel zu Boden. Wimmernd und schluchzend hielt sie sich die Stelle. Wie konnte das nur passieren? Wie konnte es nur so weit kommen? Dieser riesige Kummer würde die junge Dame noch Jahre verfolgen und niemals loslassen. Kriechend verzog sich die Frau zu einem großen Stein, der neben ihr auf dem Grund lag. Die Axt steckte noch immer im Boden, doch das kümmerte sie im Moment nicht. Die zwei Verletzungen mischten sich mit der riesigen Innerlichen und streuten somit noch mehr Salz in die Wunde. Die junge Dame haute sich hoffnungslos auf den Boden und lehnte an dem Stein an. Ihre Knie wurden zu ihr gezogen und mit ihren Armen umkreist. Weinend legte Astrid ihren Kopf rein und schluchzte laut. Warum hatte man ihnen das angetan? Das hatten sie nicht verdient. Wer hatte das nur getan?
Wer hatte ihre Eltern ermordet?!
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Der Schock war Hicks ins Gesicht geschrieben. Er konnte sich aus seiner Starre fast nichtmehr befreien. Grobian ging weiter zum Oberhaupt und legte eine Hand auf seine Schulter. So blickte er ebenfalls auf die zwei Hoffersons, die tot und blutend vor ihnen am Boden lagen.
Sie befanden sich nebeneinander und ihre Blutlacken hatten sich zu einer einzigen, riesigen gemischt. Der Ansatz, aus dem viel Blut floss, war jeweils an den Herzen. Es schien so als ob sie erstochen worden waren. Von einem Schwert oder etwas in der Art. Aber nirgends war eine Tatwaffe zu sehen. Und auch sonstige mögliche Beweise gab es nicht.
Hicks holte vor lauter Anspannung tiefe Atemzüge und fragte mit zittriger Stimme: ,,Wie ist das passiert? Wann habt ihr es heraus gefunden?" Grobian musste darauf schlucken und antwortete unsicher: ,,Wir haben es erst jetzt bemerkt. Die Wunden sind ziemlich frisch. Es müsste erst letzte Nacht oder am Morgen passiert sein, doch niemand hat etwas bemerkt. Und da wir die Hoffersons heute den ganzen Tag nicht gesehen haben, sind wir vorbei gekommen. Tja und dann sahen wir das hier." Es kam einfach kein Wort aus dem Erwachsenen heraus.
Doch dann erinnerte er sich an ein gewisses Detail. An ein gewisses Etwas. Oder eher gesagt an jemanden. Sofort wurde Hicks' Panik noch größer und seine halbwegs ruhige Stimme drohte zu eskalieren: ,,Wo ist Astrid?!", Die Panik und der Schock machten sich überall bei dem Wikinger breit. Die Sicherungen brannten fast ganz durch. Grobian konnte aus Angst vor Hicks' Reaktion nur stottern: ,,W-Wir haben sie ... n-nicht gesehen." Langsam kam Hicks wieder zur Besinnung und richtete sich richtig auf.
Astrids Eltern wurden grausam ermordet. Und was wäre, wenn Astrid ebenfalls etwas zugestoßen ist? Was wäre, wenn sie auch schon längst tot war?
Mit einer etwas brüchigen Stimme befahl das Stammesoberhaupt: ,,Weckt das Volk aus ihren Träumen und macht alles für die letzte Ehre klar. Sie wird heute noch stattfinden. Macht hier wieder sauber. Ich gehe die letzte Hofferson suchen." Damit verließ Hicks den Raum und wendete somit seinen Blick von der Grausamkeit ab. Er ging eiskalt an den Leuten vor der Türe vorbei. Den Befehl sollte Grobian ihnen erklären. Der Wikinger rief seinen Nachtschatten, der sich gleich müde von der Steinplatte in Hicks' Hütte zu seinem besten Freund aufmachte. Dieser stieg sofort auf und beide hoben ab. Durch den Flugwind wurde Ohnezahn ebenfalls wach. Die anderen schwärmten schon aus und weckten alle Wikinger auf. Hicks Panik vermischte sich mit seiner Angst.
Hoffentlich war Astrid nichts zugestoßen...

Hiccstrid ~ Schwere Zeiten ✅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt