31. Die Kraft, wahr zu werden

807 30 14
                                    

Müde erwachte Hicks aus seinem tiefen Schlaf und setzte sich auf, die eine Hand am Bett abgestützt. Doch ein Blick auf die von Dunkelheit umhüllte Holzwand und noch einer in die Richtung des Fenster, aus dem der dunkle Nachthimmel mit den vielen grellen Sternen herausstach, verrieten, dass der Wikinger nur wenige Stunden geschlafen hatte. Es war immer noch Nacht. Von draußen waren auch kein Zwitschern der Vögel oder das Brüllen von Drachen zu hören. Alle Bewohner der Insel Berk weilten noch immer in ihren Zimmern und träumten.
Erst jetzt merkte Hicks, wie ein paar Schweißperlen ihren Weg über seine Stirn nahmen. Mit einem leisen Seufzen wischte er sie mit seinem Handrücken weg und blickte verschlafen neben sich, in Hoffnung Astrid würde noch immer tief und fest neben ihm schlummern. Doch es bewies sich das Gegenteil. Nein, sie schlief nicht. Aber es gab noch ein anderes, auffälliges Detail, eine gewisse, ziemlich angsteinflößende Sache - Astrid war nicht da.
Panik durchfuhr Hicks, als er sich hektisch im Raum umsah, aber keine Astrid vorzufinden war. ,,Astrid?!“ Seine Stimme hob ebenfalls seine Gefühle und Stimmung hervor. Doch dann erklang ein leises Keuchen. Die Augen des Drachenreiters weiteten sich. Ein zweites Keuchen ertönte. Schnell schwang sich Hicks vom Bett und lief auf dem einen Fuß barfuß und auf dem anderen mit Prothese die Treppen hinunter ins Erdgeschoss, da wo die Laute herkamen. ,,Astrid?“, wiederholte der Braunhaarige seinen Ruf von vorher. Nur der plötzliche Windstoß von draußen antwortete. Aber bald schlichen sich wieder Laute wie ein Ächzen und Keuchen in seine Ohren. Ruckartig drehte er sich um und blickte in die hintere Ecke des Raumes. Normalerweise hätte man etwas erkennen können, doch in diesem Moment erschien die Dunkelheit, die sich an der Stelle breitmachte, mit den Augen undurchdringbar. ,,A-Astrid?“ Langsam näherte sich Hicks, wobei man deutlich merkte, dass die Geräusche durch jeden vollendeten Schritt lauter wurden. Und dann erwischten die Augen des Oberhaupts etwas Schreckliches. Astrid lag am Boden, die Zuckungen noch viel schlimmer als beim letzten Mal und die Schmerzen deutlich intensiver. Ihre Schreie drangen zu Hicks, welcher ein ersticktes Keuchen seinem Mund entgleiten ließ. Und von diesem Moment an war ihm klar: Sie hatte den dritten Schritt erreicht - Eine Stunde voll Schmerzen, welche einen danach in den Tod führten.

Wie auf Knopfdruck öffneten sich Hicks' Augen. Schweratmend blickte er der mit Holz gebauten Decke entgegen und erkannte diese sofort als die von seiner eigenen Hütte. Der 20-Jährige schaute zur Seite. Diese Geste bestätigte, dass er in seiner Hütte war. Dann wandte der junge Mann sich der anderen Seite zu. Sofort kam eine schlafende Astrid, deren Atemzüge sehr schwer klangen, in seinen Blickwinkel. Unfassbar ließ Hicks seinen Kopf zurück ins Kissen fallen, schloss die Augen und seufzte, während er in der Dunkelheit nach der Hand seiner Partnerin tastete. Gefunden, verschränkte er seine Finger vorsichtig mit ihren. Es war wie im Traum Nacht. Genau - Im Traum. Innerlich redete der junge Erwachsene ein, dass es wirklich ein harmloser Traum war und nichts anderes. Doch er wusste selbst, dass dieser “harmlose“ Traum eine unglaubliche Kraft besaß. Er hatte die Kraft, wahr zu werden.
__________

Wirklich viel Schlaf konnte Hicks sich in der Nacht nicht mehr gönnen. Denn es hatte nur drei Stunden gebraucht und schon war es wieder hell gewesen, die Berkianer verließen wieder ihre Hütten für einen neuen Tag und alles nahm seinen alltäglichen Morgen auf Berk an. Nachdem Hicks seiner Freundin ein Frühstück gebracht und dann sich selbst den Magen gefüllt hatte, verabschiedete er sich von Astrid mit einem Kuss auf die Wange und von seiner Mutter, die heute etwas später aufgestanden war. Das Problem: Eigentlich wollte er sich so schnell wie möglich auf den Weg zu den Beschützern des Flügels machen, doch er war so verschlafen gewesen, dass der ganze Durchgang samt Aufstehen, Frühstück machen und allem anderen um die drei Stunden dauerte. Das Frühstück konnte man dann nicht einmal als Frühstück bezeichen, sondern viel eher als Mittagessen.
Kaum war er endlich aus der Tür getreten - die frische Luft von draußen tief eingeatmet - tauchten Pütz und Mulch, zwei Berkianer, in seinem Blickfeld auf. Noch einmal rieb sich der junge Mann über die Augen, um sich an das hell strahlende Sonnenlicht zu gewöhnen, empfing die Besucher dann aber mit einem ,,Pütz? Mulch? Was gibt's?“. Mulch, der kleinere von beiden, meldete sich zuerst: ,,Wir haben eine schreckliche Sichtung gemacht. Oder eher gesagt eine Berührung.“ Über diese eigenartigen Sätze mit der typischen Logik von Berkianern rätselnd zog Hicks seine Augenbrauen zusammen. ,,Und weiter?“ Der kleine Braunhaarige setzte fort: ,,Als Pütz sich heute ans Kinn gegriffen hat ist ihm aufgefallen wie weich seine Haut ist. Und da das Gegenteil, also raue Haut, für eine große Trockenheit spricht, bedeutet die weiche, dass es bald einen gefährlichen Sturm geben wird.“ Schließlich rührte sich Pütz. Der Blonde packte ruckartig Hicks' Handgelenk und lenkte seine Hand an sein Kinn. ,,Oh ähm...“, stammelte das junge Oberhaupt verwirrt von dieser plötzlichen Aktion. ,,Weich, nicht wahr?“, seufzte Pütz. ,,Äh...Ja...Ja, natürlich...“ Verlegen presste der 20-Jährige eine Antwort hervor und befreite seine Hand wieder aus dem bereits locker gewordenen Griff. ,,Laut unserer Prognose wird der Sturm sehr heftig. Kälte. Regen. Blitze. Es wäre lebensgefährlich, wenn Leute draußen im Regen rumlaufen würden.“, erklärte Mulch. ,,Okay, das klingt nicht gut. Wie viel Zeit haben wir?“ Nun nahm das Gesicht des jungen Erwachsenen wieder eine ernste Miene an. Mit zweifelnder Stimme antwortete Mulch: ,,Vorausgesetzt zwei Stunden.“ ,,Was?! Nur so wenig?“ Die Wörter platzten förmlich aus dem Mund des geschockten Stammesoberhaupts. Seine Gegenüber nickten. ,,Okay...“ Fieberhaft fasste Hicks sich den Boden zu Blick und tüftelte an einer Strategie, alle Berkianer in nur 120 Minuten vor dem Sturm in Sicherheit zu bringen. ,,Na schön...Wir müssen das ganze Dorf warnen, alles verriegeln und sicherstellen, dass nichts durch den Sturm beschädigt werden kann, die Drachen einsammeln und in ihre Ställe oder Hütten bringen und noch sehr vieles mehr. Als erstes werden wir drei uns jetzt im Dorf verteilen und so vielen Wikingern wie möglich die Nachricht überbringen und sie selbst sollen die Nachricht dann auch nochmal verteilen. Also los, wir haben nicht viel Zeit!“ Sofort kehrten die zwei Berkianer zurück und rasten in hoher Geschwindigkeit ins Dorf zurück, bei jeder Person legten sie einen Halt ein und führten die Befehle von ihrem Oberhaupt aus. Hicks erster Blick blieb am Himmel stehen, die Erkenntnis, dass es bereits früher Nachmittag war, bereitete ihm ein mulmiges Gefühl. Noch dazu war ihm klar, dass ein riesiger Sturm auf Berk wartete. Es würde sich nie und nimmer ausgehen, noch zu den Beschützern des Flügels zu fliegen. Mit einem Seufzen führte der Drachenreiter ein paar Schritte aus, blieb aber kurz darauf stehen, um noch mal mit dem Gedanken an seine kranke Freundin seine Hütte zu betrachten. Die Augen kurz zusammengepresst wandte er seinen Blick davon ab und marschierte genau so wie die anderen durch das Dorf, um jeden Bewohner vor dem Unwetter zu warnen.

Hiccstrid ~ Schwere Zeiten ✅Where stories live. Discover now