47. Ein Schritt

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Als würden Astrids Augen aufblitzen, die Wut in ihnen deutlich erkennbar. So war es, als sie den Strand erreicht hatte und das Boot vor sich sah.
War es größer geworden? Es schien so. Astrid konnte sich nicht mehr genug an das vorherige erinnern. Aber dieses Boot war vermutlich ein anderes. Es hatte ein größeres Deck. Darauf sah Astrid neben sehr vielen hellen Laternen schon die erste Wache.
Das letzte Mal waren es zwei Wachen. Das wird sich wohl kaum geändert haben. Mit denen würde die Kriegerin locker fertig werden.
Unter Astrids Schuhen schaute immer noch Gras vom Wald hervor. Ein Schritt nach vorne und sie würde weichen Sand unter den Fußsohlen fühlen. Ein Schritt und sie würde einen Schritt weniger brauchen, um zu Kruor zu kommen. Sich ihrer Pflicht bewusst, führte Astrid diesen Schritt durch. Und es wurden immer mehr. Astrid steuerte direkt auf das Boot zu, ohne zu zögern.

,,Wohl nicht so gesprächig, was?"
Kruor musste grinsen, als sein Gegenüber ihn nur wütend anfunkelte. Genauer gesagt kniete sein Gegenüber vor ihm am Boden, die Hände hinter dem Rücken gefesselt. ,,Ich hab dir ja nicht einmal den Mund zugebunden. Ich bin so freundlich und du kommst mir nicht entgegen. Wie unhöflich." Wieder schaute der Angesprochene ihn nur mit tiefliegenden Augenbrauen und verengten Augen an. Die ganze Zeit über lächelte Kruor nur. Zwei seiner Wachen standen hinter ihm, eine Wache hinter seinem Gefangenen. Die Versammelten befanden sich unter Deck, in dem Raum, den Kruor verwüstet hatte. Der Tisch lag noch immer verschoben in der Ecke, die Stühle und Glassplitter neben den kaputten Kästen am Boden.
,,Ist es dir zu dunkel? Magst du die Dunkelheit etwa nicht? Keine Sorge, bald können wir nach draußen. Da ist es zwar auch dunkel, aber da stehen all meine Laternen." Im Raum stand nur eine einzige Laterne auf dem Tisch. ,,Irgendwann kommt sie schon noch. Ich habe ja gedacht, dass sie früher kommt. Aber so idiotisch wie dieses Mädchen ist, kapiert sie wohl wirklich nicht, dass du entführt worden bist." Mit diesem Kommentar hatte er die Wut seines Gegenübers zum Überkochen gebracht. Er zischte: ,,Du bist idiotisch, wenn du denkst, dass du jemals eine Chance gegen Astrid haben wirst!" Kruor musste kurz auflachen und ging vor Hicks in die Hocke. Für Hicks' Geschmack war sein Gesicht zu nah. ,,Dann bin ich eben idiotisch. Um dein kleines Mädchen zu besiegen, braucht es nicht viel. Nicht, wenn ich dich erstmal getötet habe." Es gab Kruor ein befriedigendes Gefühl, dass Hicks so geschockt aussah. Er stand wieder auf und redete weiter: ,,Wie traurig das doch sein wird. Du liegst blutig und verletzt am Boden. Sie kann nichts tun, als dir beim Sterben zuzusehen. Und dann ist sie zu schwach, um sich zu wehren, wenn ich meine Waffe nach ihr werfe." Kruor hörte, wie Hicks zischend Luft holte. Den Rücken an Hicks gewandt, nahm er ein Schwert, das an der Wand lehnte. Er warf es in die Höhe, ließ es eine Drehung machen und fing es wieder perfekt mit der Hand auf. Als er sich wieder zu Hicks drehte, hatte dieser wieder diesen wütenden Gesichtsausdruck. Was hatte er nur? Heute war der Tag, an dem die gesamten Hoffersons aufhören würden, zu existieren. Es würde keine Hofferson mehr geben. Es war ein Tag, an dem man sich freuen und feiern sollte.
Kruor warf nochmal sein Schwert in die Höhe. Es war lang und sah verdammt gefährlich aus. ,,Du scheinst mich ja wirklich zu hassen. Bin ich dir etwa nicht sympathisch?" ,,Wie könntest du jemals irgendeiner Person sympathisch sein? Nicht einmal deine Wachen mögen dich. Sie haben nur Angst vor dir.", zischte Hicks. Kruors Lächeln verschwand kurz. Neutral wandte er sich seinen Wachen zu: ,,Bin ich wirklich so unausstehlich?" Die Wachen behielten ihren ernsten Gesichtsausdruck und versuchten, stolz wie vorher da zu stehen. Die Eine antwortete: ,,Natürlich nicht, Kruor. Wir respektieren unseren Anführer und finden ihn keinesfalls unausstehlich." Zufrieden blickte Kruor wieder Hicks an. Dieser blickte nur mit einem leisen Murren zur Seite. Das, was als nächstes geschah, ließ Hicks erschrecken, Kruor allerdings rührte keinen Muskel.
Von draußen ober Deck ertönte ein kraftvolles: ,,Kruor, du Feigling, komm raus und kämpfe!" Nachdem die Stimme verstummt war, musste Kruor lächeln und erhaschte einen Blick von Hicks. Sein Blick sagte all seine Gefühle aus. Schock und Angst. Dann gab er der Wache, die hinter Hicks stand, ein Zeichen, worauf diese das Stammesoberhaupt grob am Arm packte und hinter Kruor herzerrte. Als dieser auf das Deck trat, das scharfe Schwert hinter seinem Rücken befestigt, sah er Astrid, die am anderen Ende des Decks stand. Kruors andere sieben Wachen umkreisten sie, ihre Waffen auf sie gerichtet.
Astrid erkannte anfangs nur Dunkelheit. Kruor machte noch ein paar Schritte, bis das Laternenlicht auf ihn geworfen wurde und Astrid ihn ausmachen konnte. Ohne zu zögern, begann Astrid mit einer dunklen Stimme zu sprechen: ,,Ich wusste schon vorher, dass du tief unten liegst, aber Hicks da mit rein zu ziehen, lässt dich noch tiefer sinken. Es ist eine Sache zwischen uns und niemand sollte sich einmischen. Und jetzt bring ihn sofort hier raus." Kruor hob amüsiert die Hände. ,,Wow, das war beinhart. Du willst wohl gleich zum Punkt kommen." ,,Kruor...", brachte Astrid warnend hervor. ,,Schon gut, schon gut. Wenn du ihn so unbedingt sehen möchtest..." Kruor gab nach seiner Aussage der einen Wache ein Signal und sie verfestigte wieder den Griff um Hicks' Arm. Aus der Dunkelheit des Decks trat die Wache mit dem Gefangenen hervor und brachte ihn dazu, vor ihm zu knien.
Kruor grinste, als er den recht panischen Gesichtsausdruck von seiner Feindin bemerkte.
Astrid war kurz davor, den ganzen Konflikt mit Kruor zu vergessen. Sie wollte einfach nur noch zu Hicks rennen, ihn befreien und ihn in Sicherheit bringen. Aber sie musste ihre Pflicht erfüllen. Sie brauchte Rache. Kruor musste sterben - In dieser Nacht.
Hicks' Panik zügelte sich allerdings überhaupt nicht. Es war ein schreckliches Gefühl, Astrid vor sich stehen zu sehen, aber ihr nicht helfen zu können. Er hatte keine Ahnung, wie alles weitergehen würde. Er hatte keine Ahnung, wie Kruor kämpfte. Er hatte aber vor allem keine Ahnung, wer in diesem Kampf gewinnen würde. Astrid gegen Kruor mit seinen zehn Wachen. Es waren so viele. Hicks wollte ihren Namen schreien, doch es kam nur ein zittriger Hauch heraus. ,,Astrid..." Nicht einmal die Wache bekam dies mit.
Astrid sammelte sich nach dem Anblick von Hicks wieder und blickte Kruor direkt in die Augen. Er stand ein paar Meter vor ihr, hinter ihm kniete Hicks. ,,Ich habe schon so lange auf diesen Moment gewartet. Ich bin mir sicher, wir beide haben auf den Tag gewartet. Darauf, dass wir uns töten. Aber ich verspreche dir Kruor: Heute wird nur einer von uns gewinnen. Und das bist ganz sicher nicht du." Kruor musste lachen. ,,Wie ermunternd deine Worte doch sind. Wirklich, Astrid, das ist überaus freundlich. Jetzt freue ich mich gleich noch viel mehr darauf, dich zu töten und mich somit zu rächen." Er griff hinter seinen Rücken an den Griff seines Schwertes. Astrid lachte ebenfalls kurz künstlich und umfasste ihre Axt, die auch hinter ihrem Rücken befestigt war. So begann Astrid mit ihrer Rede vor dem Kampf, ihre Stimme zeigte ihre unendliche Wut. ,,Kruor Foruris, oder wie auch immer du heißt, du hast meine Eltern umgebracht und meine Ehre in Frage gestellt. Ich, Astrid, die letzte Hofferson, lasse dich damit ganz sicher nicht einfach so davonkommen. Du wirst heute sterben!" Mit einem Ruck schwang Astrid ihre Axt und hielt sie vor sich. Ihrer Miene konnte man nur puren Zorn ablesen. Noch nie war Astrid sich in einer Sache so sicher. Sie würde Kruor töten!
Ihr Gegner zog sein Schwert und sprach: ,,Astrid, die letzte Hofferson, bald wird es dich nicht mehr geben und der Name ,,Hofferson" wird verloren und vergessen werden. Du kannst so selbstsicher sein wie du willst, aber ich werde mich an dir rächen. Deine Eltern haben die meinen getötet und du hast ebenfalls meine Ehre in Frage gestellt. Diesmal wirst du ein für alle Mal ins Reich der Toten geschickt!"
Eigentlich wollten beide genau dasselbe. Kruor wollte Rache an dem Tod seiner Eltern. Astrid wollte Rache an dem Tod ihrer Eltern. Und sie beide wollten ihre Ehre wieder herstellen. Kruor, weil Astrid seinem Gift entkommen war, wie niemand es hätte schaffen sollen. Astrid, weil Kruor es geschafft hatte, Hicks gefangen zu nehmen und sie dies nicht verhindert hatte.
So standen sie sich gegenüber, die Waffen in der Hand, bereit zum Kampf. Astrid erhaschte noch einen Blick von all den Waffen, die um sie standen. Sie hatte gedacht, es wären nur zwei! Woher waren die ganzen Wachen gekommen? Es standen neun um sie. Die zehnte Wache passte immer noch hinter Hicks auf, dass dieser nicht entkam. Dann umschloss Astrid ihre Axt fester und visierte wieder Kruor. Sie würde ihn töten! Sie würde ihn grausam in den Tod führen!
Hicks war nichts anderes überlassen. Er musste dem Ganzen einfach tatenlos zusehen. Zusehen, wie seine feste Freundin gewann oder verlor. Zusehen, wie sie da lebend herauskam oder starb. In letzter Zeit hatte Hicks schon so verdammt viel Angst, Schock und Panik gehabt. Jetzt wieder. Würde Astrid es wirklich schaffen, die ganzen Feinde zu besiegen?
,,Dann los! Worauf warten wir noch?", schrie Astrid. Ihr erster Schritt bedeutete auch jeweils ein Schritt bei den Wachen. Und in der nächsten Sekunde waren sie schon alle auf Astrid zugestürmt. Kruor musste nicht einmal etwas tun. Er stand einfach daneben und beobachtete den Kampf zwischen Astrid und seinen Wachen.
Der ersten Wache schaffte Astrid es, sie ihrer Waffe zu entreißen. Mit viel Kraft stieß Astrid den Mann auf einen anderen, der anfangs zurücktaumelte, aber dann wieder nach vorne preschte.
Astrid hatte keine freie Sekunde. In jeder einzelnen versuchte ein Schwert auf sie einzustechen und drohte, sie zu treffen. Nur dank ihrer harten Ausbildung zur Kriegerin schaffte Astrid es, allen Waffen auszuweichen und die Wachen zurückzuschlagen. Mit der Axt duellierte sie sich gerade mit einer der Wachen, als sie hinter sich ein Klirren hörte. Sofort stieß sie die Wache vor sich weg und drehte sich um. Im allerletzten Moment fing sie das auf sie zurasende Schwert mit ihrer Axt auf. Dieser Wache gefiel das folgende nicht gerade: Astrid traf sie am Bein und dann im Gesicht. Überstürzt taumelte sie zurück und spürte Blut ihre Wange herunterrinnen. Astrid konnte sich darauf aber nicht konzentrieren, da die nächsten zwei Wachen auf sie einschlugen. Von jeweils einer Seite stachen sie auf Astrid ein. Überfordert verteidigte Astrid sich mit ihrer einen Axt, musste sich dabei dauernd drehen, und bemerkte dann erst, dass die Wachen immer näher kamen. Im letzten Moment flüchtete Astrid nach hinten und die Wachen rannten ineinander. Das Schwert der einen Wache traf die andere sogar.
Die ganze Zeit über waren Keuchen und Schreie und das Klirren der Waffen zu hören. Typische Geräusche von Kämpfen.
Hicks' Sicht zu Astrid wurde oft durch die Wachen versperrt. Bei jedem Angriff ziehte sich alles in ihm zusammen und er dachte daran, Astrid mit diesem Schlag zu verlieren. Es hatte keinen Sinn, sich befreien zu wollen. Diese robuste Wache hinter ihm war zu stark für ihn. Und sein Schwert lag sowieso irgendwo im Wald auf Berk.
Aber im Allgemeinen war es erstaunlich, wie Astrid kämpfte. Normale Krieger hätte die Anzahl an Wachen sofort überfordert und besiegt. Aber Astrid hielt perfekt durch. Sie schwang ihre Axt um sich, ließ keine Klinge an sich rankommen. Dazu noch ihre Beinarbeit und sie entwickelte perfekte Ausweichmanöver. Ihre Angriffsmethoden waren ebenfalls sehr ausgeklügelt und sie traf die Wachen oftmals. Meistens dann, wenn sie es nicht erwarteten.
Gerade eben fiel eine Wache mit dem Kopf zum Boden nach vorne und Astrid sprang auf diese um dem nächsten Angriff auszuweichen. Mit einer Rolle landete sie am Boden, drehte sich mit einem ausgestreckten Bein, wodurch zwei Wachen nach hinten kippten.
Kruor wurde langsam doch etwas nervös. Er ließ es sich nicht anmerken, aber es war so, als würden seine Wachen langsamer und schwächer werden. Astrid raubte ihnen nach und nach die Kräfte, aber ihr selbst schien es noch immer blendend zu gehen. Natürlich wurde sie auch immer erschöpfter, aber den Wachen ging die Energie schneller aus.
Wütend schrie Kruor: ,,Na, los! Legt euch endlich rein und besiegt sie!" Astrid musste grinsen, da sie das Gefühl bekam, Kruor wurde verzweifelter. Sie traf die Wache, die auf sie zurannte, mit ihrer Axt. Die nächste ebenfalls. Die dritte Wache war schon hartnäckiger. Ihr Schwert und Astrids Axt schlugen aneinander und beide legten ihre ganze Kraft rein, um dieses kleine Duell zu gewinnen. Am Ende war es die Wache, die gewann und Astrid nach hinten stieß. Astrid musste kurz erschöpft aufatmen, stürzte aber dann wieder nach vorne. Die Wache ging bei ihrem Angriff zu Boden. Die Blondine sah kurz um sich. Anscheinend waren bereits sechs Wachen ohnmächtig und kampfunfähig.
Kruor schrie die Wache hinter Hicks an: ,,Worauf wartest du?! Geh in den Kampf!" Der angesprochene Wikinger schreckte auf und rannte dann mit seinen zwei Schwertern auf Astrid zu. Astrid war durch die zwei Waffen überrascht. Der Mann nutzte seine Chance und schlug auf sie ein. So knapp war Astrid in einem Kampf einer Waffe noch nie ausgewichen. Sie schlug der Wache das Schwert weg. Hinter ihr warteten bereits die drei anderen Wachen.
Doch am Ende schaffte Astrid es, alle zu besiegen.Jeder einzelne Anwesende war geschockt, als Astrid immer noch halbwegs fit da stand. Mitten in einem Haufen von Wachen, die am Boden lagen. Kruor war geschockt, Hicks aber auch. Niemand hätte gedacht, dass Astrid tatsächlich zehn Wachen auf einmal zu Boden schlagen konnte. ,,Das ist nicht möglich..." Das war das einzige, was Kruor hervorbrachte. Astrid grinste und sagte: ,,Also wirklich, Kruor. Du hast es hier mit einer Hofferson zu tun." Sie musste daran denken, dass ihre Eltern von Wallhalla aus vermutlich gerade alles mitbekamen.
Kruor, so wie er nun mal war, ließ die geschockte Miene sofort wieder verschwinden und sprach selbstbewusst: ,,Ich weiß, dass ich es mit einer Hofferson zu tun habe. Und genau aus diesem Grund weiß ich, dass ich gewinnen werde. Diese dämlichen Wachen habe ich schon mal locker besiegt. Deshalb sind sie ja auch jetzt meine Unterlegenen. Dass du es geschafft hast, überrascht mich zwar etwas, aber jetzt ist Schluss mit diesem Kinderkram. Jetzt wirst du gegen mich kämpfen."

Hiccstrid ~ Schwere Zeiten ✅Where stories live. Discover now