18. Die ganze Geschichte

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,,A-Astrid, was ist mit dir passiert?", stammelte Hicks fassungslos, als er seine Freundin anstarrte. Je länger der Wikinger ihr Gesicht untersuchte, desto schlimmer wurde der Anblick. Astrids Haut war nicht mehr von der Sonne gebräunt. Stattdessen sah man nur weiß. Ihre kalte und raue Haut zeigte nur eine bleiche Farbe. Ein Toter hätte diesen Farbton tragen können. Außerdem strahlten die Augen der Blondine nicht mehr dieses Selbstbewusstsein und diese Energie aus. Im Moment erkannte man darin nur die unglaubliche Erschöpfung und Anstrengung. Diese Szene erinnerte den Drachenreiter an den Fluch von Odin, welchen sie vor einiger Zeit bekämpfen mussten. Ein Glück, dass dieses Aussehen allerdings nicht so schlimm wie diese Krankheit von früher wirkte.
Astrid machte den Ansatz dazu, ihren Mund zu öffnen, doch sie schloss ihn wieder, als kein Ton herauskam. Ihr Freund musste kurz schlucken und seine Fassung wieder zurückholen. Als dies vollbracht worden war, packte der Wikinger die Blonde behutsam an den Oberarmen und schaute ihr tief in die Augen. ,,Astrid, wie ist das geschehen. Was hast du gemacht?", fragte er, wobei man seiner Stimme entnehmen konnte, wie ernst und noch immer ziemlich schockierend diese Situation für ihn erschien. Die junge Dame besiegte den großen Kloß in ihrem Hals, der ihr die Fähigkeit zu Sprechen kurz geraubt hatte. Leise murmelte sie: ,,Wie du dir vielleicht schon denken kannst, gibt es etwas, was ich dir nicht erzählt habe." Der Braunhaarige merkte sofort, wie rau und kränklich ihre Stimme sich anhörte. Es wirkte beinahe so, als würde es ihr Schmerzen bereiten zu sprechen oder sich generell zu bewegen. ,,Dann erkläre mir doch, was genau es ist. Was weiß ich nicht?" Nun klang der Drachenreiter sehr aufgeregt und nervös. Ihn machte es wahnsinnig, nicht zu wissen, was mit seiner festen Freundin los war und was genau die Folgen davon waren. Daher konnte er es nicht abwarten ihre Antwort zu hören. ,,I-Ich...", wollte die 20-Jährige ihre Erzählung beginnen, doch wieder versagte ihr Mut dazu, es zu tun. ,,Es...ist eine lange Geschichte.", sprach sie die Ausrede aus. ,,Das ist egal, ich möchte endlich erfahren, was passiert ist. Ich kann nicht für immer unwissend dastehen. Du musst mir endlich sagen, was du dich nicht traust mir zu sagen. Jetzt kannst du dich sowieso nicht mehr herausreden, wie vor ein paar Tagen." Die Berkianerin sah dem Mann kurz zweifelnd in die Augen, bis sie an seinem Gesichtsausdruck merkte, wie viel ihm das bedeutete und wie ernst er es meinte. Seine waldgrünen Augen fixierten die ihre. Zögernd begann die Blondine das Geheimnis aufzulösen, nachdem der Wikinger ihre Arme losgelassen hatte: ,,Ähm...Du weißt ja, dass ich unbedingt den Mörder meiner Eltern finden möchte." Auf diesen Satz folgte ein Nicken ihres Gegenübers. ,,Nun ja...Ich habe ihn schon gefunden." Astrid erspähte den Anblick, wie Hicks' Augen größer wurden und sein Gesichtsaudruck noch mehr Neugier als zuvor ausstrahlte. ,,Allerdings weiß ich nicht wirklich, wo er jetzt ist. Aber das ist jetzt egal." Die Frau fand nicht die richtigen Worte, um die ganze Geschichte zu erklären. Sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte oder wie sie es am besten darlegen und beschreiben konnte. ,,Vor ein paar Tagen...Nein...ähm...Also in der Nacht, in der ich in das Zimmer meiner Eltern gegangen war und sie dann am Boden liegen gesehen habe, da bin ich ja danach schnellstmöglich aus dem Haus gerannt, da ich einfach nicht mehr weiter wusste. Naja...Bevor ich aber verschwunden bin, habe ich am Tisch im Zimmer meiner Eltern einen Zettel bemerkt." Da erinnerte sich das Oberhaupt daran, wie Astrid und er am Morgen nach der letzten Ehre in seinem Bett gesessen sind und er sie gefragt hatte, was in der letzten Nacht genau passiert war. Die Blonde hatte sich versprochen und fast hätte sie unabsichtlich erzählt, was am Tisch gelegen ist. Doch leider hatte sie sich an diesem Tag dann ebenfalls herausgeredet. ,,Auf diesem Zettel standen die Worte: 'Alle Hoffersons werden sterben'. Drei oder vier Tage später habe ich noch einen Zettel bekommen." Die junge Erwachsene griff in ihre Rocktasche und tastete nach dem Blatt Pergament. Ihr Freund verfolgte die Bewegung mit seinem Blick. Als die Wikingerin das Pergament gefunden hatte, zog sie es aus dem Beutel heraus und drückte es Hicks in die Hand. Während dieser die zwei Worte las, setzte Astrid fort: ,,Er wollte, dass ich in der Nacht zum Strand komme. Also habe ich mich im Dunkeln hinaus geschlichen und bin zum vereinbarten Ort gegangen.“ Die Stimme der Drachenreiterin schien die ganze Zeit über rau und schwach. Das Stammesoberhaupt zerknüllte den Zettel und warf ihn aus dem Fenster, das ober dem Bett an der Wand platziert war. Immerhin würde es in mehreren Tagen oder Wochen zu Erde werden. Dann wandte er sich wieder seiner festen Freundin zu und schenkte ihr seine ganze Aufmerksamkeit. ,,Am Strand ankerte ein Schiff, nicht sehr groß, aber auch nicht gerade das kleinste Ruderboot. Drinnen angekommen lernte ich dann den Mörder meiner Eltern und seine zwei Wachen kennen. Der Typ hieß Kruor...äh...Foriris oder sowas. Ich schätze ihn so auf 45 Jahre. Am liebsten hätte ich mir ihn und die anderen zwei gerne vorgeknöpft, allerdings sahen sie nicht gerade wie die schwächsten aus. Außerdem wollte ich ja auch erfahren, warum genau er meine Eltern ermordet hat. Naja...wirklich erfahren habe ich nichts. Er sagte nur irgendetwas davon, dass jeder Wikinger eine Vergangenheit hat und er eine mit meinen Eltern. Etwas anderes habe ich nicht herausgefunden. Denn bevor ich noch länger mit ihm sprechen konnte, da ähm...naja...wurde ich ohnmächtig." Wie erwartet veränderte sich die Miene von Hicks sofort. Noch mehr Schock und noch mehr Sorge wurden ihm ins Gesicht geschrieben. Allerdings blieb er weiterhin stumm. ,,Denn irgendwann wurde mir schwindelig und komisch. Kurz bevor alles schwarz geworden ist, hat mir dieser Kruor erzählt, er würde aus Kräutern und Pflanzen, die er sammelt, Tränke machen, die anscheinend eigenartige Dinge auslösen können. Und wer hätte es gedacht? Bevor ich es erfahren habe, habe ich ein Getränk von ihm getrunken." Astrid musste kurz seufzen. ,,Es war so dumm von mir! Warum habe ich auch das Getränk von meinem Feind angenommen? Das hätte ich mir doch denken können! Es war so klar!", beschwerte sich die Frau. Sie kam sich wie ein dummes Mädchen vor, dass sogar auf die aller einfachsten Tricks hineinfällt. Wie konnte sie nur dämlich sein und aus diesem Becher trinken? Klar hatte dieser Typ etwas mit ihr vorgehabt.
Bevor sich die 20-Jährige weiter aufregen konnte, packte ihr Freund sie an den Schultern und versicherte ihr: ,,Astrid, das ist jetzt nicht wichtig. Vermutlich wäre jeder darauf reingefallen. Immerhin hast du dich bestimmt nur auf diesen Typen konzentriert, wobei du vermutlich nicht einmal richtig mitbekommen hast, dass du dieses Getränk getrunken hast. Wirklich, du kannst dir jetzt nicht auch noch die Schuld dafür geben." Die Drachenreiterin blickte dem Mann in die Augen, ihre Mundwinkel dabei nach unten gerichtet. ,,Aber...was ist jetzt genau mit dir passiert?", wollte sich Hicks schließlich informieren, als er seine Hände wieder von ihren Schultern zurücknahm. ,,Ich weiß es selbst nicht richtig. Ich weiß nur, dass ich in den letzten Tagen immer eigenartige Phasen hatte, bei denen mir plötzlich schwindelig wurde und ich mich fast nicht mehr halten konnte. Dann ist dieser Sturz von Sturmpfeil passiert, wo mir danach auf einmal so kalt war. Und heute bin ich so aufgewacht." Bei diesem Satz deutete die Blonde mit ihrem Finger in ihr Gesicht. ,,Es steht also fest, dass sich in dem Getränk ein Gift befunden hat, nur weiß ich nicht, was für eines und was für Auswirkungen es hat. Aber so wie es mir geht, schätze ich, dass es ein ziemlich starkes war."
Nun war alles raus. Astrid hatte Hicks alles erzählt. Über das, was mit dem Mörder passiert war und über die Vergiftung. Der Braunhaarige saß nur sprachlos da und musste nochmal alles durchgehen. Die Kriegerin saß nur hilflos da und wusste nicht, was sie sagen sollte. Immerhin musste dies auch nicht gerade leicht für das Oberhaupt sein. Zu erfahren, was alles hinter seinem Rücken passiert war.
Nachdem der Mann geschluckt hatte und seinen bis jetzt auf den Boden gerichteten Blick angehoben hatte, erkundigte er sich mit einer etwas zittrigen Stimme: ,,W-Wieso hast du mir oder generell jedem nichts von all dem gesagt?" Astrid biss sich leicht auf ihre Unterlippe und fasste sich den Boden zu Blick. ,,Du kennst mich...Ich wollte niemanden da mit reinziehen. Wenn ich in Gefahr bin, dann sollt ihr nicht auch noch in die Sache reingeraten." Der 20-Jährige seufzte genervt als auch verzweifelt auf. Dann nahm er die Hände seiner Freundin in seine und machte ihr klar: ,,Astrid...Du weißt, dass du uns allen und vor allem mir alles sagen kannst. Wir hätten dir helfen können. Du musst nicht immer alles alleine machen. Wir stehen hinter dir und unterstützen dich - In allen schweren Zeiten." Das Paar sah sich für ein paar Sekunden tief in die Augen, bis Hicks sich von seiner Freundin abwandte, ihre Hände losließ und betrübt zu Boden schaute. Er musste wirklich viel einstecken. Sachen, die ihm sehr zu schaffen machten.
Die neben ihm sitzende Blondine atmete tief aus, wobei man ihr deutlich anmerken konnte, dass sie dabei Schwierigkeiten hatte. Zumindest konnte man ihre qualvollen Atemzüge auf keinen Fall mit ihren gewöhnlichen vergleichen. Schließlich wisperte die Frau unsicher ,,H-Hicks?", als sie den Wikinger dabei beobachtete, wie er seine Ellbogen auf den Knien abgesetzt hatte und seine Hände erschöpft durch seine Haare fuhren. ,,Kannst du bitte etwas sagen?", fragte die Kriegerin unruhig. Während der Braunhaarige sich langsam aufrichtete, fügte Astrid noch an ihre vorherige Frage hinzu: ,,Bist du wütend auf mich? W-Wenn ja, d-dann verstehe ich das...Es war blöd von mir, es dir nicht zu erzählen. Und-" Da unterbrach sie das junge Oberhaupt: ,,Nein...Ich bin nicht wütend. Es ist nur ganz schön viel zu verarbeiten. Immerhin passiert es nicht jeden Tag, dass die eigene feste Freundin vergiftet wird und möglicherweise in Lebensgefahr steckt. Aber...vermutlich hätte ich auch niemandem davon erzählt, um euch zu beschützen. Trotzdem musst du wissen, dass wir dir immer beistehen und gemeinsam jeden Feind besiegen können." Die Blonde fokussierte nur das Gesicht des vor ihr befindenden Mann und zeigte ihm ein leichtes Nicken. ,,Ach, komm her", flüsterte der Drachenreiter und zog die junge Dame in eine Umarmung. Leise redete das Stammesoberhaupt der Blondine zu: ,,Was auch immer in der näheren Zukunft passieren wird, wir schaffen es da durch - Gemeinsam."

Hiccstrid ~ Schwere Zeiten ✅Where stories live. Discover now