24. Noch kurze Zeit zum Genießen

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Kurz nachdem Astrid aus Hicks' Sichtweite verschwunden war, vernahm der Wikinger einen dumpfen Knall. Oder genauer gesagt zwei. Der erste ereignete sich, als die blonde Frau mit dem Kopf auf eine Stufe stieß und der zweite, als sie vollständig zum Boden gelangt war. Völlig überstürzt sprang das junge Stammesoberhaupt von seinem Bett auf, warf dabei seine Decke nach hinten und eilte in hoher Geschwindigkeit zur Treppe. Genauso wie sein panischer Reptilienfreund erspähte er die Hofferson, welche in seinem Shirt mit einem schmerzerfüllten Gesichtsausdruck versteift am Boden lag. ,,Oh Thor, was hast du angestellt?!", rief der Braunhaarige aus, während er die Treppen so schnell es klappte hinunterstieg. Die letzten Stufen übersprang er gleich und landete mit einem Knattern des dunklen Holzes am Boden. Ohnezahn folgte seinem Reiter, welcher vor der Berkianerin kniete. Beide Freunde merkten, dass sie eine kleine Gehirnerschütterung abbekommen haben muss, da ihre Augen keinen Weg zu ihnen finden konnten. Die Feststellung der beiden stimmte wirklich: Astrid sah den Nachtschatten und ihren Freund ungefähr vier mal vor sich. Durch die Schmerzen veranlasst stöhnte die Blondine, als sie sich langsam aufrichtete. Während Hicks ihr dabei half, hielt sie ihre Hand gegen den Kopf. Diese zog der junge Mann gleich wieder von der Stelle auf ihrer Stirn, wo die Spitzen ihrer Haare immer die vollständige Sicht raubten, weg, um nach Wunden zu suchen. ,,Mist, du blutest. Was hattest du bitte vor?" Astrid wollte auf seine Frage antworten, doch ihr fester Freund, der nun auch die rotgetränkten Haarspitzen wahrnahm, kam ihr zuvor: ,,Nein, sag nichts. Ich muss zuerst ein Tuch holen." Der Tonfall seiner Stimme war nicht vorwurfsvoll. Die bessere Beschreibung würde ernst und besorgt miteinbeziehen. Gleich nach seinem ausgesprochenen Beschluss stand das Oberhaupt wieder auf und holte einen Lappen, den er in einen Kübel voll Wasser tauchte. Sanft und vorsichtig presste er das Tuch auf die klaffende Platzwunde. Er versuchte möglichst behutsam vorzugehen, auch wenn er wusste, dass seine Freundin sich bei solchen Sachen nie wehleidig anstellte. Aber wenn man für weniger Schmerz sorgen konnte, dann nutzte man diese Möglichkeit auch. Während seiner Aktion informierte sich der 20-Jährige: ,,Okay. Jetzt kannst du es mir erklären. Warum bist du einfach alleine runtergegangen. Korrektur: Warum hast du versucht, alleine runterzugehen?" Die Drachenreiterin musste sich erst fassen und bemühte sich die zwei Drachen und zwei Männer vor sich zu unterscheiden. Um sich mehr Hilfe zu verleihen streckte sie ihre Hand aus und erreichte etwas wackelnd damit die Brust des richtigen Hicks. Dann rutschte die Hand zu seinem Knie und bald verschwanden die falschen Silhouetten von Ohnezahn und Hicks. Noch etwas benommen erzählte die Kriegerin: ,,Ich bin aufgewacht, da mir auf einmal so kalt war. Deshalb habe ich auch dein Shirt an. Weil mir noch immer kalt war, als ich meine Sachen heimlich angezogen habe. Dann...habe ich einfach beschlossen einen Spaziergang zu machen." ,,Du wolltest ganz plötzlich einen Spaziergang machen?", fragte der Haddock-Junge ziemlich irritiert als auch skeptisch. ,,Die Nacht sah schön klar aus und ich habe mir gedacht, dass ich sowieso nicht mehr lange gehen kann.", erklärte die Blonde ihr Tun präziser. Nun zeigte der Blick des Drachenreiters klar und deutlich, dass er der jungen Dame nur zum Teil glaubte. ,,Bist du dir sicher, dass du nicht doch nach Kruor suchen wolltest?", erkundigte sich der Wikinger mit einem ziemlich dunklen Unterton, während er den Lappen in seiner Hand etwas fester auf die Wunde an Astrids Stirn presste. Sogleich bekam er ein geschocktes Gesicht mit leicht geweiteten Augen retour. ,,Was? Wie kommst du drauf?" In der Stimme der Frau konnte man die Verwunderung nicht überhören. ,,Du hast dich schon einmal in der Nacht rausgeschlichen, um den Typen zu suchen. Und was ist dabei raus gekommen? Du wurdest vergi-" ,,Schon klar, aber ich wollte diesmal wirklich nur spazieren gehen.", lautete die Unterbrechung. Hicks sah seine feste Freundin zweifelnd an, doch dann merkte er an ihrem Gesichtsausdruck, dass sie wirklich die Wahrheit erzählte. Kurz schweifte er vom Thema ab, indem er das Tuch, welches sich schon etwas rot gefärbt hat, anhob, um zu sehen, ob der Blutstrom schon angehalten worden war. Da dies der Fall war murmelte der Drachenreiter ein leises ,,Alles in Ordnung, es blutet nicht mehr." und platzierte den Fetzen auf dem naheliegenden Tisch. Dann kam er wieder zum wichtigen Teil: ,,Aber warum hast du nichts gesagt? Warum wolltest du alleine gehen?" Astrids Lippen verzogen sich zu einem dünnen Strich. ,,Ich habe nicht daran gedacht...", begann die Wikingerin und machte eine kurze Pause, ehe sie weiterredete: ,,Ich habe mir nur was wärmeres angezogen, hatte Lust spazieren zu gehen und habe nicht wirklich überlegt, dich mitzunehmen. Und hätte ich daran gedacht, dann wäre ich vermutlich auch alleine gegangen, um dich nicht zu wecken." Die 20-Jährige blickte ihrem Gegenüber ins Gesicht und versuchte, seine Gefühle zu deuten. Der Mann hatte eine eher ernstere Miene aufgesetzt, welche keine Anstalten machte, sich zu lockern. Dies dauerte mehrere Sekunden an, bis Hicks seinem Kopf leicht schüttelte und: ,,Das macht nichts. Ich kann mich nicht gut in deine Lage versetzen. Aber wer weiß? Vielleicht würde ich genau dasselbe tun, also sollte ich mich jetzt nicht beschweren. Aber du weißt, dass das echt hart sowohl für dich als auch für mich ist. Ich liebe dich und möchte nur nicht, dass dir irgendetwas-" Wie auf Knopfdruck begann Astrid, noch bevor ihr Freund seinen Satz zu Ende sprechen konnte, wie verrückt zu husten. Die Definition der Geräusche: Grausam. Kurz beendete der Wikinger seinen Satz mit einem ,,zustößt..." ehe die Panik ihn überhäufte. ,,Astrid, was ist los?!" Völlig aufgebracht wurde der Braunhaarige seine auf der Zunge liegenden Worte los. Er bot seine Hilfe an, indem er vorsichtig auf ihren Rücken klopfte. Inzwischen hatte die Blondine ihr Gesicht in Richtung Boden geneigt und hielt eine Hand vor ihren Mund, mit der anderen stützte sie sich am Boden ab. Das Husten klang schmerzhaft und hysterisch. ,,Oh Thor", stammelte das Hofferson-Mädchen noch etwas überfordert, als das höllisch schmerzende Husten endlich aufgehört hatte. Ihre Augenlider kurz zusammengepresst umfasste sie ihren brennenden Hals mit einer Hand. ,,Alles okay?", kam es vom Stammesoberhaupt in einem sehr besorgten Ton, nachdem er seine Hand auf ihre Schulter rutschen lassen hatte. Die Blondine nickte, wobei man ihr Zögern nur ganz leicht erkennen konnte. ,,Alles gut. Das gehört wohl zur Krankheit.", versprach sie. Nach einer kurz andauernden Stille stand Hicks auf und übernahm das nächste Wort: ,,Na schön. Du willst einen Spaziergang machen, dann machst du einen Spaziergang. Nur unter einer Bedingung-" ,,Du kommst mit, schon verstanden.", beendete die feste Freundin des Oberhaupts seine Aussage kichernd. Sie verstand, dass ihr fester Freund diesen Schockmoment am liebsten gleich vergessen wollte, also beließ sie es dabei, nicht darüber zu reden. Der junge Erwachsene streckte seine Hand aus und bot sie der Drachenreiterin an, doch anscheinend hatte diese sie übersehen, da sie sich ohne seine Hilfe aufrappelte. ,,Noch schaffe ich es alleine.", belehrte die junge Frau den Berkianer und schritt grinsend an ihm vorbei. Dieser drehte sich noch einmal zu Ohnezahn um und fragte: ,,Na Kumpel, willst du mitkommen?" Doch der Drache brauchte nicht lange um sich wieder auf seine Steinplatte zu legen. ,,Faules Reptil...", murmelte Hicks.

Wenn die einzelnen Blätter und Zweige der vielen Bäume des riesigen Waldes durch eine kühle Brise in Bewegung gesetzt wurden, entstand ein ganzes Orchester, zusammengesetzt aus allen Bestandteilen der Tausenden von Pflanzen. Der Klang wirkte in solch einer dunklen Nacht bedrohlich und angsteinflößend - Zumindest für die kleineren Kinder, die aber sowieso brav und gehorsam in ihren Betten schliefen. Hicks und Astrid befanden sich nun mit ein paar Schritten im Wald. Einige Meter und schon wären sie wieder im Dorf angelangt. Bis jetzt hatten sie kein Wort gewechselt, sondern waren nur schweigend nebeneinander hergegangen. Allerdings ließ das Oberhaupt von Berk seiner festen Freundin ihre Zeit, alles noch einmal - Vielleicht sogar für das letzte Mal - in sich aufzunehmen. Sowohl das Aussehen der prächtigen Gegend als auch die Geräusche der reinen Natur. Dazu gehörten vor allem das Rauschen von kleinen Bächen, das Rascheln der Blätter und das Knacksen der Zweige und Stöcke unter ihren Füßen. Einmal atmete die Blondine die frische Luft tief ein, ehe sie ein Gespräch begann: ,,Weißt du, was ich mich, seit ich vergiftet worden bin, frage?" Der Wikinger zu ihrer Rechten wandte seinen Blick ihr zu und fokussierte sie mit seinen grünen Augen. ,,Nein, was denn?" Die Drachenreiterin blickte kurz zu ihren sich bewegenden Füße, welche mit den Schuhen überdeckt worden waren, und erklärte: ,,Warum Kruor mich vergiftet hat" Kurz machte sie eine Pause und räusperte sich, um ihre Stimme von dem rauen Klang etwas zu befreien. Viel nutzte es nicht. ,,Ich verstehe es nicht...Er hat meine Eltern umgebracht und hat es aus irgendeinem Grund auch auf mich abgesehen. Und nun vergiftet er genau mich, obwohl wir uns noch nie vorher gesehen haben." Hicks nahm eine überlegende Miene an. ,,Stimmt. Ich habe noch gar nicht richtig darüber nachgedacht, aber wenn man es so sieht, dann ist das echt merkwürdig." Kurz stolperte Astrid zur Seite, zum Glück genau nach rechts, wodurch ihr Freund sie stützen konnte. Schnell stand die junge Frau wieder auf beiden Beinen. Dann setzte der Braunhaarige fort: ,,Aber ich bin mir sicher, dass wir das früher oder später noch herausfinden werden. Nun sollten wir uns nicht darum kümmern. Kruor ist ein kleineres Problem. Wir müssen zwar erst einmal dafür sorgen, dass du wieder gesund wirst, aber im Hier und Jetzt genießen wir die Zeit, die wir noch haben. Komm." Beide Wikinger wussten, dass sie nun nicht mehr über diese ernsten Themen reden sollten. Daher streckte der junge Erwachsene seinen Arm aus, legte ihn um die Berkianerin, zog sie dicht an sich und spazierte seelenruhig weiter, nachdem die Frau ihren Arm um seine Taille geschlungen hatte. Einerseits veranlasst, da es eine romantische Geste ist, anderseits um als Stütze zu dienen.

Hiccstrid ~ Schwere Zeiten ✅Where stories live. Discover now