3. Innerlicher Schmerz

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Da saß sie nun. Zusammen gekauert und weinend vor einem großen Stein. Die Beine zu sich gezogen und diese mit den Armen umschlungen. Und dann auch noch mit zwei schmerzenden Schürfwunden - Eine an der Wange, die zweite und blutigere am Oberschenkel. Der Wind verursachte Geräusche der raschelnden Blätter, die im Takt mit ihm wehten. Dieser dunkle Ort war generell sehr bepflanzt von Sträuchern und Bäumen. Astrids Hose war an den Knien schon ganz nass und eingeweicht, ebenso wie ihre Arme. Dieser Schmerz war einfach zu groß. Diesen Schmerz konnte die junge Frau nicht verkraften. Nicht diesmal. Dieser Schmerz war der Schlimmste von allen. Der innerliche Schmerz, der einen bis ans Ende seiner Tage verfolgen wird. Die Wikingerin konnte das alles fast nicht richtig realisieren. Ihre Eltern waren tot! Wie sollte nun der Rest ihres Lebens ablaufen, so ganz ohne sie? Jeden Tag würde sie mit dem Gefühl der Trauer aufwachen. Den leeren Tisch sehen, wo früher immer ihre Eltern fröhlich gefrühstückt hatten. Sie nie wieder umarmen oder gar ihre Nähe spüren können. Die Tränen von Astrid konnten kaum weniger werden. Sie ronnen alle ihre Wangen hinunter. Ihre Eltern wurden grausam erstochen. Wenn Astrid den Mörder nur in die Finger bekommen würde. Sie würde ihn kalt machen. Ihn noch viel grausamer töten, als er es bei ihren Eltern gemacht hatte. Nun konnte sich die junge Dame nicht einmal mehr richtig unter das Volk trauen. Die Berkianer sollten sie nicht so weinend und tränenbeschmiert sehen. Anderseits war es doch klar, dass selbst eine Hofferson bei so etwas weinen konnte. Das durfte alles einfach nicht wahr sein. Nun würde Astrid nie wieder dieses Gefühl bekommen, wenn ihre Eltern immer so stolz auf ihre Tochter waren. Wenn sie sie angemessen für etwas lobten und sie dann voller Freude umarmten. Astrid hatte die zwei wichtigsten Personen in ihrem Leben verloren. Zumindest zwei von drei. Nun hatte Astrid gar keine Familie mehr. Ihre Großeltern waren alle gestorben. Cousinen oder Cousins hatte sie ebenso wie Geschwister keine. Tanten und Onkel waren ebenfalls alle tot. Und nun waren auch noch ihre Eltern den Weg nach Wallhalla gefolgt. Das musste doch alles ein schrecklicher Alptraum sein oder? Astrid war die einzige Hofferson, die es noch gab! Hatten es die Götter auf ihre Familie abgesehen? War sie als nächstes dran? Das alles musste einfach ein schlechter, ein sehr, sehr schlechter Scherz sein! Wie konnte Astrid diesen Schmerz all die Jahre nur verdrängen. Eines war klar: Dieses mal ging dies nicht. Dieses Mal ließ sie ihre weiche Seite hinaus. Diesmal konnte sie diese nicht bei Seite schubsen. Nun hatte sie nur noch sich. Okay, sie hatte Sturmpfeil. Oder Hicks. Und all ihre Freunde. Ohnezahn und die anderen Drachen. Valka und Gothi, die ihr ebenfalls öfters Gesellschaft leisteten. Generell alle im Volk. Wenigstens war Astrid nicht ganz allein. Erst jetzt wurde ihr klar, wie glücklich sie sein konnte, all ihre Freunde zu haben. Aber in dieser Situation konnte sie nicht wirklich fröhlich sein. Die Tränen liefen in Strömen ihre Wangen herab. Die Axt steckte etwas weiter weg von ihr im Boden. Am scharfen Rand klebte noch etwas Blut von ihren Verletzungen. Diese schmerzten ebenfalls höllisch, was aber im Moment von den innerlichen Wunden überspielt wurde. Langsam griff Astrid mit ihrer Hand an ihre Rocktasche. Diese öffnete sie, holte den Zettel heraus und knüllte ihn auf. Die Frau sah zwar verschwommen, konnte die paar Wörter aber lesen, vorallem da sich dieser schockierende Satz in ihrem Gedächtnis gespeichert hatte. Niedergeschlagen packte sie ihn wieder ein. Diese Wörter schossen wie ein grausamer Blitz durch ihren Kopf. Diese vier Wörter eines Unbekannten.
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Hektisch schaute Hicks hier oben in den Lüften in alle Richtungen. Er hielt sich am Sattel von Ohnezahn fest und blickte ins Dorf herab. Sein bester Kumpel schaute ebenfalls mit seinen Augen in die hintersten Ecken, ob sich die Wikingerin vielleicht wo verkrochen hatte. Doch es schien keine Spur von Astrid zu geben. Aber Hicks würde noch lange nicht aufgeben. Das ganze Dorf hatten sie abgesucht. Sturmpfeil lag in ihrem Stall und sorgte sich ebenfalls um ihre Reiterin. Das hieß, Astrid konnte zu Fuß nicht weit sein. Esseiden jemand hatte sie entführt oder sonstiges. Es würde eigentlich keinen Sinn ergeben. Aber die beiden Hoffersons wurden ermordet - Das hatte schon gar keinen Sinn. Die beiden Freunde mussten so schnell es nur ging die letzte Hofferson finden! Sie flogen weiter hinauf ins Schneegebiet, wo überall Schnee verteilt am Boden lag. Wenn Windstöße kamen, schwirrte etwas davon in der Luft herum. Die Freunde suchten in Eishöhlen, egal wie dunkel es darin war. In allen Ecken und bei allen Strecken. Nichts! Hicks war kurz vorm Verzweifeln. Die Zwei landeten im Schnee auf einer kleinen Klippe und sahen auf das Dorf herab. Wo konnte sie nur sein? Der Blick des Wikingers schweifte durch das Dorf, wo jeder Berkianer eine Fakel hielt. Alle machten sich auf den Weg zum Strand von Berk. Dort würden sie die Hoffersons auf ein Boot legen und ihnen die letzte Ehre erweisen. Astrid musste dort dabei sein. Immerhin ging es um ihre Eltern. Hicks sah weiter weg vom Dorf den Wald. Da kam ihm der riesige Gedanke. Natürlich, der Wald! Warum ist er da nicht früher drauf gekommen? ,,Komm, Ohnezahn!", rief der junge Mann. Der Nachtschatten hob ab und flog wie ein unbemerkbarer Schatten in der Nacht zum Wald. Leise landeten sie vor den ersten Bäumen, wo man dahinter noch viel mehr davon sah. Überall befanden sich Sträucher, Büsche, Baumstämme und andere Pflanzen. Hicks stieg von Ohnezahn ab. Sein Drache sah ihn verwirrt an, worauf Hicks gleich eine Antwort gab: ,,Keine Sorge, Ohnezahn. Ich mache das hier alleine, geh schon mal ins Dorf." Der Nachtschatten gurrte zustimmend und machte sich auf den Weg zurück. Sein Reiter sah ihm noch kurz hinterher, ehe er sich selbst auf den Weg in den Wald machte. Schon an den ersten Bäumen vorbei, standen überall welche. Sie zierten gemeinsam mit anderen Pflanzen den dunklen Wald. Oben im Himmel sah man die Sterne, die versuchten Licht ins Dunkel zu bringen. Man erkannte fast nur Umrisse an diesem Ort, so dunkel es war. Die grünen Lebewesen warfen zusätzlich Schatten zu Boden, sodass alles noch düsterer wirkte. Hicks folgte einfach dem gewöhnlichen Weg zur Bucht. Dort könnte Astrid gutmöglich sein. Hoffentlich. Der Wikinger sah schon von weitem die Umrisse der Schlucht. Dadurch wurde er reflexartig schneller. Kurz vor dem Ende des Bodens blieb er stehen, um nicht in die Tiefe zu fallen. Er blickte überall in die Bucht hinein. Hinter Steinen, im Gebüsch, wirklich überall. Egal ob es dunkel war und Hicks nur schwache Umrisse erkannte, merkte er, dass Astrid nicht hier war. Seufzend überlegte er und starrte Löcher in die Luft. Wo konnte sie nur sein? Hicks kannte seine Freundin am besten, da würde er doch wohl wissen, wo sie sich am ehesten aufhält. Und tatsächlich. Sofort rannte Hicks los in die richtige Richtung. Er sprang über Wurzeln oder schwang sich über Felsen.
Hoffentlich war Astrid nichts passiert. Was wäre, wenn sie ebenfalls ermordet worden war? Das könnte Hicks niemals aushalten. Sein Vater war gestorben, einer der wichtigsten Personen in seinem Leben. Einen zweiten Tod könnte er nicht ertragen. Vorallem da Valka und Astrid nun diese letzten wichtigsten Personen in seinem Leben waren, wenn man Ohnezahn nicht mitzählte. Astrid war sogar noch wichtiger für ihn. Immerhin kannte Hicks seine Mutter nicht so lange, aber mit der Blonden hatte er schon so viel erlebt. Niemals wollte er Astrid verlieren. Wenn dann wollte er den Rest seines Lebens mit ihr verbringen. Doch Hicks kam aus seinen Gedanken heraus, als er beim richtigen Ort angekommen war. Hier auf dieser Art Lichtung trainierte die Kriegerin oft mit ihrer Axt. Da musste sie doch hier sein. Das war Hicks letzte Chance. Denn dieser Ort war der letzte, der ihm einfallen würde. So ging der junge Mann ein paar Runden und suchte überall. Gerade schaute er an einem Baum dahinter, als er ein Geräusch hinter sich hörte. Reflexartig drehte er sich um und merkte, dass es sich um einen Schluchzer handelte. Und diese Schluchzer, die durchgehend ihren Weg aus dem Mund fanden, konnten nur von einer Person stammen. Sofort ging Hicks Blick zu einem Felsen, wo davor ein blondes Mädchen saß und weinte.

Hiccstrid ~ Schwere Zeiten ✅Where stories live. Discover now