15. Knapper Sieg

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Gedankenverloren saß Astrid auf einem großen Stein im Wald und starrte auf den Boden. Genauer gesagt befand sie sich an ihrem Übungsplatz für das Äxtewerfen. Zwar hatte die Frau ihre Waffe in der Hand, spielte aber nur abwesend damit. Sie ließ die Axt immer kurz in die Luft gleiten und drehte sie dabei schnell. Ursprünglich war die Berkianerin hier an diesen Ort gekommen um ihr übliches Training zu vollziehen, doch nach einer halben Stunde hatte sie es aufgegeben und sich niedergelassen. Nun schwelgte die Blondine in Erinnerungen. Die junge Dame dachte an die alten Zeiten, wo sie mit ihren Eltern hier trainiert hatte. Ein ,,Astrid?" und ein Gepolter brachten die Kriegerin zur Realität zurück. Zwinkernd drehte sich die Wikingerin am Stein um und erspähte die Person, die von dem großen Drachen abstieg und milde lächelnd auf sie zukam. ,,Valka, was machst du denn hier?", fragte die Blonde verblüfft, als sich die Mutter rechts neben ihr auf den Stein hievte. ,,Ich habe vorher mit Wolkenspringer eine Runde über die Insel gedreht, als ich dich hier gesehen habe. Warum trainierst du denn nicht?" Während die zwei Frauen dabei waren ein Gespräch anzufangen, versuchte Wolkenspringer einen Platz zu finden, wo sie hinpasste und legte sich schlussendlich neben den Stein. Astrid antwortete: ,,Ich habe trainiert. Nur irgendwie konnte ich es nicht dabei lassen." Kurz herrschte eine Stille. Valka sah die Frau zu ihrer Linken schweigend und überlegend an. Nach ein paar Sekunden informierte sie sich: ,,Kann es sein, dass du gerade an deine Eltern denkst?" ,,Wow, wie hast du gelernt, Gedanken zu lesen?", gab die 20-Jährige in einem gespielt schockierten Ton von sich. Danach mussten die beiden kurz kichern. ,,Ich sehe es an deinem trüben Blick.", erklärte die ältere Dame schließlich. Astrid platzierte kurz ihre Beine anders am großen Felsen und begann dann zu erzählen: ,,Meine Eltern haben hier auch immer trainiert, als sie kleiner waren. Deshalb haben sie mir hier das Kämpfen und Äxtewerfen beigebracht. Sie wollten unbedingt, dass ich einmal eine starke Kriegeirn werde. Daher haben sie mich an meinem sechsten Geburtstag das erste Mal hierher geführt. Wir haben uns auf diesen Stein hier gesetzt, wobei ich erst einmal hinauf kommen musste." Kurz musste die Blondine eine Pause machen, da ein paar Lacher ihrem Mund entwichen, wodurch sie Valka etwas ansteckte. Dann setzte sie fort: ,,An diesem Tag haben sie mir meine erste Axt geschenkt. Ich war zwar sehr klein und habe nicht viel vom Kämpfen verstanden, trotzdem war ich überglücklich. Ich habe die Axt aufgehoben und jetzt liegt sie noch immer in meinem Haus in einer Truhe. Nun ja...An diesem Tag habe ich also mein Training begonnen. Anfangs mussten meine Eltern natürlich sehr viel Geduld haben, aber schon nach ein paar Wochen habe ich es das erste Mal geschafft einen Baum zu treffen. Nach zwei Jahren, also als ich schon acht Jahre war, habe ich eine neue, längere Axt bekommen. Nun habe ich auch angefangen, Krafttraining zu machen, um die Axt besser schießen zu können. Meine Eltern haben mir immer geholfen, mir immer Tipps gegeben und mich immer gelobt. Damit habe ich natürlich noch viel mehr Motivation geschöpft." Die ganze Zeit über hatte die Frau ein großes Lächeln auf ihrem Gesicht. Daher musste Valka auch ziemlich lächeln. Für ein paar Sekunden überlegte Astrid, wo sie weiterreden sollte. Dann kam sie wieder in das Konzept: ,,Als ich 14 war habe ich schon einen Volltreffer nach dem anderen gemacht. Ich war auch schon sehr gut im Nahkampf, weshalb mein Vater mich auch einmal herausfordern wollte. So haben wir hier einen Kampf veranstaltet. Meine Mutter hat dabei zugesehen. Natürlich waren wir aber auf keine Verletzungen aus. Es hat zwar etwas länger gedauert, aber am Schluss habe ich es tatsächlich geschafft, meinen Vater zu entwaffnen. Danach sind meine Eltern zu mir geeilt, haben mich umarmt und haben gesagt: 'Du bist die stärkste Kriegerin von allen.'" Astrid sah genau vor sich, wie ihr Vater und sie auf dieser Stelle gekämpft hatten und ihre Mutter auf diesem Stein saß und zuschaute. ,,In den nächsten Jahren habe ich dauernd mit meinen Eltern gekämpft und bin viel erfahrener geworden. Ich habe es ihnen zu verdanken, dass ich zu einer richten Kriegerin geworden bin. Ohne sie wäre ich nun vermutlich nicht die Astrid Hofferson, die ich heute bin." Wieder setzte Astrid eine ganz kurze Pause ein. Dann schluckte sie kurz und beendete ihre Erzählung: ,,Und nun habe ich diese Axt hier." Die junge Dame hielt der 50-Jährigen ihre Waffe hin. Fasziniert nahm Valka die Axt in ihre Hände und musterte sie. In den letzten Monaten hatte sie diese Waffe noch nie so richtig von nahem gesehen. ,,Die hat Hicks mir an unserem ersten Jahrestag geschenkt.", berichtete die Kämpferin und beobachtete lächelnd, wie Valka ihre Axt begutachtete. Nach kurzer Zeit gab die Braunhaarige der Drachenreiterin die Axt wieder zurück und äußerte: ,,Ich bin froh, dass ihr zwei zusammen seid. Mal davon abgesehen dass du wirklich die beste Kriegerin von allen bekannten Meeren bist, bist du auch noch freundlich, loyal und selbstbewusst. So jemanden findet man nur sehr schwer. Aber dich gibt's nur einmal und ich bin froh, dass ich dich meine zukünftige Schwiegertochter nennen kann." Die zwei Erwachsenen lächelten sich freudig an. ,,Du bist genau wie Haudrauf. Er hat mich auch immer als seine zukünftige Schwiegertochter bezeichnet.", sagte die Blonde und musste kurz kichern. ,,Naja, du und Hicks seid schon seit zwei Jahren zusammen und alles verlief bis jetzt perfekt. Noch dazu seid ihr die einzigen vernünftigen Wikinger, also was sollte euch trennen?" Beim zweiten Satz musste die Mutter kurz lachen. ,,Keine Ahnung. Aber man weiß ja nie, was die Zukunft noch so bringt. Jedenfalls bin ich auch froh, dich meine zukünftige Schwiegermutter nennen zu können." Daraufhin mussten beide Wikingerinnen lachen. Nach einer kurzen Stille wisperte die ältere Witwe: ,,Weißt du, es ist schön zu sehen, dass du bei den Gedanken an die alten Zeiten nicht traurig bist, da es nun vorbei ist, sondern darüber lachen kannst." Wortlos schenkte die Blondine der Dame ein Lächeln, welche sich ebenfalls eines aufsetzte. Dann sprang Valka von dem Felsen und erinnerte die Drachenreiterin: ,,Und jetzt komm. Du darfst ja nicht das Drachenrennen verpassen."
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Wie blaue, grüne, braune, rote und schwarze Schatten flitzten die sechs Drachen durch die Lüfte, sodass der Flugwind die laut jubelnden Zuschauer fast nach hinten fallen ließ. Das weiße Schaf gab einen kurzen Ton von sich, als es auf den zwei anderen Schafen in dem Korb der Zwillinge landete, worauf Valka als eine Art Schiedsrichterin den neuen Punkt für die Geschwister verkündete. Diese hatten heute erst nur eines wirklich selbst fangen können. Die andern zwei hatten Fischbein und Rotzbakke ihnen überlassen. Eret schnitt mit ganzen zwei Schafen ab. Immerhin hatte er die brillante Taktik entdeckt, Raffnuss abzulenken, sodass er ihr das Schaf wegnehmen konnte. Hicks besaß 4 Schafe und führte somit, während Astrid nur eines weniger als er hatte. Damit belegte sie gemeinsam mit den Zwillingen den zweiten Platz - Bis jetzt.
Ein Geräusch von vorne war zu hören und alle Blicke wurden dem schwarzen Schaf, welches in den Lüften hilfesuchend mähte, geschenkt. Geradewegs steuerte jeder Drache das Säugetier an und alle Wikinger spornten ihre Reptile noch viel mehr an. An der Spitze flog Ohnezahn. Hicks wollte schon seine Arme nach dem Schaf ausstrecken, als ein Nadder knapp an ihm vorbei flitzte. Danach konnte der Mann vor sich kein Schaf mehr sichten. Stattdessen schnellte sein Kopf in Richtung Astrid, die auf dem Rücken von Sturmpfeil saß, das Schaf auf ihrem Schoß. Die Blonde hatte sich zu ihrem Freund nach hinten gedreht und zwinkerte ihm unschuldig lachend zu. Grinsend schüttelte Hicks seinen Kopf und folgte der jungen Frau. Fast alle Wettbewerber waren der Drachenreiterin, welche sich den Körben immer mehr näherte, dicht auf den Fersen. Die Zwillinge und Fischbein verblieben weiter hinten. Rotzbakke dagegen glitt direkt neben der Blondine und wollte ihren Drachen mit Hakenzahn rammen. Zu Astrids Glück bemerkte sie den Wikinger rechtzeitig und wich nach oben aus. Unerwartet stieß Hakenzahn auf Schädelbrecher, sodass sie in die Tiefe flogen. Während ihre Reiter Schreie ausstießen, enthederten sich die zwei Tiere und flogen noch etwas benommen weiter. Nur konnten sie Astrid nun nicht mehr aufhalten. Der Einzige, der noch direkt hinter der Berkianerin flog, war Hicks. Zielsicher sausten die beiden durch die Lüfte und bekamen den erfrischenden Flugwind ab. Aber trotzdem schien nichts mehr in den Weg von Astrids Sieg zu kommen. Doch plötzlich fing der Kopf der 20-Jährigen an zu schmerzen. Ihr bis jetzt triumphierender Gesichtausdruck zog sich zu einem schmerzerfüllten zusammen. Auf einmal begann sich alles um die Wikingerin zu drehen. Die Sicht der Frau wurde immer unklarer und verschwommener. Mehrere Schwarze Punkte tauchten auf und die Objekte vor ihr, darunter die Körbe, wurden von einer Sekunde zur anderen größer, länger, breiter, dann wieder kleiner und kürzer. Schwer atmend drehte die junge Erwachsene hektisch zu den Tribünen, wo alle Zuschauer laut jubelten. Anscheinend bemerkten sie Astrids blasses Gesicht, das die pure Panik ausstrahlte, nicht. Erst jetzt begriff die junge Dame, dass sich alles um sie auch oft schnell und dann wieder langsamer bewegte. Trotz des unangenehmen Kopfwehs, wegen dem der Drachenreiterin auch so schwindelig wurde, fixierte sie wieder ihren Korb mit dem Naddersymbol darauf und sammelte ihre letzte Kraft auf. Denn die Blonde wusste ganz genau, dass sie jeden Moment in Ohnmacht fallen würde. Noch dazu wurden die Schmerzen immer schlimmer und grausamer, da sie nun durch den ganzen Körper zu strömen schienen. Die Drachenreiterin konnte ein Stöhnen aus Leid nicht aufhalten und verkrampfte sich leicht. Nun merkte auch Sturmpfeil ihr Verhalten und krächzte ihr besorgt entgegen. Hicks, der auf Ohnezahn hinter ihnen flog, zog seine Augenbrauen zusammen, um besser erkennen zu können, ob etwas nicht stimmte. Der Braunhaarige hatte nun ebenfalls Zweifel, dass alles in Ordnung war. Doch er konnte seine Theorie von hinten nicht gut bestätigen. Als sich die zwei Freundinnen genau über dem Korb befanden ließ die Frau das Schaf angestrengt fallen. Das Applaudieren wurde lauter. Doch anstatt ebenfalls zu jubeln, verdrehte Astrid ihre Augen, da sich alle schwarzen Punkte zu einem großen Fleck zusammenzogen und sich all ihre Systeme ausschalteten. Und sie flog direkt nach dem Steg, auf dem die Körbe befestigt waren, in die Tiefe - Geradewegs ins Meer.

Hiccstrid ~ Schwere Zeiten ✅Where stories live. Discover now