42. Verräter

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,,Leute, wie könnt ihr das in diesem Moment nur machen?!" Verwundert von dem Tun der Zwillinge, sprach Rotzbakke diese Worte aus, um sich Klarheit zu verschaffen.
Die drei Wikinger standen hinter dem Stall der Schafe. Das Gebäude befand sich eher am Rande des Dorfes, nahe am Strand, von dem sie gekommen waren. Taffnuss und Raffnuss waren kurz davor, ihrem Drachen, der hinter ihnen stand, den Befehl zu geben, Feuer auf das Gebäude vor ihnen zu werfen.
Der Schmerz saß noch immer sehr tief. Ohne Astrid fühlte sich die ganze Gruppe der Drachenreiter unvollständig. Genau aus diesem Grund beantwortete Raffnuss Rotzbakkes Frage mit einer Stimme, die andeutete, dass sie ihre Tränen nur mit Mühe zurückhalten konnte. ,,Wir wollen es doch nur tun, um unseren Frust zu beseitigen." Ihr Bruder setzte fort: ,,Genau. Ihr versteht das nicht. Wir haben eben eine andere Art, unsere Gefühle in die Welt zu schreien!" Rotzbakke protestierte: ,,Aber deshalb könnt ihr doch nicht so einfach ein Gebäude anzünden!"
Trotz seinen Worten hatten die Zwillinge genau das vor. Sie wollten den Stall der Schafe anzünden. Dies würde allerdings schlimme Folgen haben.
,,Ist es nicht logisch? Wir beide zünden immer alles an. Nur durch etwas, das uns gefällt, also das Anzünden von Häusern, können wir uns ablenken und unseren Schmerz vergessen!" Taffnuss schien kurz davor zu sein, in Tränen auszubrechen. Raffnuss nahm Rotzbakke am Kragen und schrie ihn an: ,,Das musst du doch verstehen!"
Gewissermaßen steckte diese typische Art der Zwillinge in ihrer Stimme und ihrem Vorhaben. Diese Art, die man niemals ernst nehmen sollte. Obwohl...Man sollte sie ernst nehmen, wenn man nicht will, dass irgendetwas Schlimmes passiert. Aber man merkte doch, dass die Zwillinge wirklich tiefste Trauer empfanden.
Hilflos sah Rotzbakke zu, wie Taffnuss sich seinem Drachen zuwandte. Er war kurz davor, seinem Drachen das Signal zu geben, den Rauch für das Machen des Feuers auszustoßen. ,,Kotz, jetzt bist du dran. Na los, feuere eine Gaswol-" Und dann geschah etwas, das weder die Zwillinge, noch Kotz und Würg oder Rotzbakke erwartet hätten.
Wie aus dem Nichts schoss ein grauer Blitz an ihnen vorbei. Ehe sie sich versahen, war Taffnuss schon an die Wand gepresst. Erst jetzt erkannten sie, dass Taffnuss' Ärmel von einer Axt getroffen worden ist. Nun hing diese an der Wand und Taffnuss war praktisch an diese gefesselt.
Es dauerte kurz, bis Rotzbakke und Raffnuss realisierten, was passiert war, und ihren Blick von Taffnuss nehmen konnten. Dieser war ebenfalls zu überrumpelt von der plötzlichen Aktion. Im Prinzip vergingen nur ein paar Sekunden, aber die Drei brauchten etwas länger, um ihr Gehirn anzustrengen und das Ganze zu verarbeiten.
Kurz nachdem Taffnuss von der Axt getroffen worden war, war auch eine Stimme ertönt: ,,Nichts da.“ So sahen die Berkianer in die Richtung der Stimme, als sie sich wieder fassen konnten. Das, was sie sahen, brachte sie allerdings wieder aus der Bahn. ,,Astrid?“ ,,Astrid?“ ,,Astrid?!“ Zuerst sprach Rotzbakke, dann Raffnuss, dann Taffnuss.
Astrid war von ihrer Position, aus der sie ihre Axt geworfen hatte, zu einer normalen, lässigen gewichen, ihre eine Hand auf ihrer Hüfte. Lächelnd sagte sie: ,,Höchstpersönlich und zu 100 Prozent echt.“ Hinter ihr standen Ohnezahn und Sturmpfeil, neben ihr stand Hicks. Er hatte keine Ahnung, was als nächstes kommen würde. Da seine Freunde aber unberechenbar waren, blieb er auf Abstand zu Astrid.
Anfangs haben Hicks und Astrid gedacht, dass sie einfach alle Bewohner Berks zusammentrommeln sollten und ihnen dann allen gleichzeitig zeigen würden, dass Astrid lebte. Aber als sie hinter dem Stall der Schafe ihre Freunde entdeckt hatten, hatte Astrid sich nicht zurückhalten können.
Die Reaktionszeit war bei dem Zwillingen und Rotzbakke deutlich kürzer als bei Hicks. Sobald Astrid fertiggesprochen hatte, flitzten sie schon los, rannten auf Astrid zu. Taffnuss war es völlig egal, dass sein Ärmel dadurch zerrissen wurde. Binnen einer Sekunde wurde die Blondine zu Boden gerissen. Ein ersticktes Keuchen konnte sie sich nicht verkneifen, als Raffnuss, Taffnuss und Rotzbakke auf ihr landeten. Sie waren schwer, vor allem zu dritt. ,,Ihr Vollpfosten...geht...von mir runter!“ Astrid hatte eine hohe, leise und kratzige Stimme, da ihr die Luft aus den Lungen gepresst wurde. Ihre Stimme wurde nicht wahrgenommen. Die drei auf ihr liegenden Personen blieben einfach liegen und ließen wie bisher Kommentare fließen, darüber, dass sie tatsächlich lebte.
Hicks stand daneben und musste lachen. Während der letzten Ehre hatte er gedacht, dass die Drachenreiter nie wieder so scherzen können würden. Es war ein tolles Gefühl, von dem Gegenteil überrascht worden zu sein.
Dann bemerkte der Wikinger erst, dass ein Blick auf ihm lag. Er erwiderte Astrids Blickontakt. ,,Du...Verräter...“, presste sie angestrengt hervor. Hicks musste noch etwas mehr lachen, als ihr der Zopf von Raffnuss ins Gesicht fiel. Da ihre Arme aber unter dem Haufen Mensch vergraben waren, konnte sie den Zopf nicht entfernen.
,,Was ist denn hier los?“ Die Stimme, die ertönt war, gehörte zu Fischbein. Er kam hinter einem der Häuser hervor und stellte sich neben Hicks. ,,Was haben die denn schon wieder aufgeführt?“ Er schaute auf Rotzbakke und die Zwillinge herab. Er konnte nicht erkennen, was unter ihnen begraben war. ,,Was tun die? Versuchen sie, ein Yak zu erstick-“ Dann tauchte Astrids Gesicht hinter Raffnuss' Haaren hervor. Ihre Stimme klang wütend, aber trotzdem von dem Gewicht ihrer Freunde gedämpft. ,,Sehe ich etwa so aus wie ein Yak?!“ Astrid wünschte sich danach, sie hätte sich nicht gezeigt.
Ohne irgendeine Warnung oder ein Zeichen sprang Fischbein mit einem ,,Du bist am Leben!“ nach vorne und landete ganz oben am Haufen der Wikinger. Astrid stöhnte schmerzerfüllt auf. Sie war zwar nicht die Einzige, aber für sie war das Ganze am unangenehmsten, da sie ganz unten lag. ,,Ich bin kein Yak. Ihr seid auch kein Yak. Aber ihr habt das Gewicht von tausend Yaks!“ Hicks musste wieder lachen. ,,Geht sofort runter, ihr...“ Weiter konnte sie nicht reden, da die Umarmung der Wikinger noch fester zu werden schien. Sie vergaß gleich, dass sie ihren Satz nicht fertiggesprochen hatte, als ihre Aufmerksamkeit wieder dem sich tot lachenden Hicks schenkte. ,,Du mieser Verräter kannst dich gleich einmal vergraben gehen, bevor ich es tue.“ ,,Ich fürchte, da kommst du aber nicht mehr raus.“, lachte Hicks und zeigte auf den Haufen über ihr. ,,Ohnezahn!“, quietschte Astrid. Ohne zu wissen, wie ihm geschehen würde, fühlte Hicks auf einmal einen Stoß. Kaum hatte Ohnezahn ihn nach vorne geschubst, wurde Hicks schon von einem Arm von Fischbein mit in die Umarmung, die man nicht einmal Umarmung nennen konnte, gerissen. Ohnezahn ließ sein typisches Drachenlachen hören.
,,Was zum großen Odin macht ihr da schon wieder?!“ ,,Was zum- Hicks?!“ Zwei Stimmen ertönten. Die erste in einem typischen Wikinger-Akzent. Mit viel Kraft wandte Hicks sich aus dem Griff von Fischbein und kugelte zu Boden. Er erblickte Grobian und Eret. ,,Hicks, was machst denn du hier? Du bist doch vorhin noch wie eine Statue am Strand gestanden.“ Verwirrt schaute Grobian sein Oberhaupt an. ,,Sagen wir, es kam was dazwischen“, murmelte Hicks. Er stand auf, schaute noch einmal zu dem Haufen hinter sich, um sich zu vergewissern, dass Astrid nicht erstickte, und ging ein paar Schritte auf Grobian und Eret zu. ,,Hört zu. Ihr müsst jetzt noch das gesamte Dorf aufwecken. Es gibt etwas, weswegen wir feiern müssen.“ ,,Entgeistert“ war das Wort, das die Gesichtsausdrücke seiner Gegenüber am besten beschrieb. Eret brachte geschockt heraus: ,,H-Hicks, hast du dir den Kopf gestoßen. Oder trägst du ein Trauma von Astrids Tod. Sie ist gestorben. Du kannst das nicht ernst meinen, dass du feiern willst.“ Von den Drachenreitern, die auf Astrid einen Haufen bildeten, kam ein Lachen. Bis vor ein paar Sekunden hatte niemand diesen Haufen Menschen beachtet. Doch als Grobian und Eret dieses Lachen hörten, stockten sie. ,,War das...“ Hicks schloss seine Augen und bereitete sich schon auf die folgende Reaktion vor. ,,Wie ihr schon gehört habt, war die letzte Ehre praktisch um sonst. Astrid“ Er deutete nach hinten und Astrid schubste wie vorher irgendwie mit ihrem Gesicht Raffnuss' Haare, die wieder in ihr Gesicht gefallen waren, aus dem Weg. ,,Hey.“ Der Versuch, die Hand zum Gruß aus den Tiefen des Haufens zu ziehen, scheiterte. Hicks drehte sich wieder zu Grobian und Eret. ,,ist am Leben. Ich weiß, es kommt plötzlich. Aber die Erklärung kommt gleich. Zuerst müssen wir das ganze Volk versammeln, damit wir es bei einer Erklärung belassen können. Also, Grobian, könntest du-“ Erst dann bemerkte Hicks den Zustand der beiden Wikinger. Sie waren überfordert. Alles an ihnen sagte aus, dass sie überfordert waren. ,,Grobian,“ Hicks klatschte vor seinem Gesicht in die Hände. ,,wecke alle Bewohner von Berk auf. Eret,“ Wieder ein Klatschen. ,,du bereitest alles für das Fest vor. Je mehr Wikinger dir helfen, desto besser.“ Geistesabwesend machten sich die Beiden auf den Weg. Nachdem sie Astrid gesehen hatten, konnten sie sich einfach nicht fassen. Sie sahen aus, als hätten sie ein Trauma. ,,Und ich“, murmelte Hicks. ,,Ich werde mal versuchen, Astrid zu befreien.“ Er sprach nur zu sich selbst. Niemand hörte ihm zu.

Hiccstrid ~ Schwere Zeiten ✅Where stories live. Discover now