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• D A N I E L •

Eine Woche ist vergangen und nun befinde ich mich wieder auf dem großen Balkon, dieses Mal sitzend neben meinem Vater.

Mutter sitzt links neben ihm. Schweigend schaut sie gerade aus. Obwohl ich sie nicht ansehe, weiß ich, dass sie mit den Tränen kämpfen muss.

Sie ist eine starke Frau, kann jedoch nicht mitansehen, wie ein Mensch Schmerzen zugefügt wird. Doch nur deshalb sind wir hier.

Noch einmal hat sich das gesamte Volk versammelt. Dieses Mal jedoch, um zwei Männern beim Sterben zuzusehen.

Ich versuche in den Gesichtern einiger Menschen lesen zu können - man drängelt sich vor, um viel sehen zu können. Sie wollen sehen, wie diese Menschen leiden.

"Was ist mit dir?", höre ich die gefasste Stimme meines Vaters. Ihm macht das hier ebenfalls nichts aus. Als echten Mann soll man keine Schwäche zeigen, kein Mitleid.

Kopfschüttelnd schaue ich zu, wie sich auch die letzten Menschen versammeln. "Es ist alles in Ordnung, Vater. Ich...ich frage mich nur, wann es beginnt?" Er nickt. "Das stimmt. So langsam könnte es wirklich anfangen." Alle Blicke sind auf ihn gerichtet, als er aufsteht und ans Geländer tritt. "Heute sind wir hierhergekommen, um dabei zu sein, wie zwei Männer bestraft werden. Von Gott geleitet, führen wir sie zu ihrem Urteil. Wer hätte geglaubt, dass wir einmal diesen Schritt gehen müssen, doch es muss sein. Eine Sünde muss bestraft werden!"

Wie sich mein Vater in dem Jubel des Volkes räkelt, wird mir augenblicklich schlecht. Ich verstehe einfach nicht, wie man nur so kaltblütig sein kann, besonders wenn man jemandem das Leben nehmen wird.

Und das schlimmste ist, dass er es von mir ebenfalls erwartet. Aber kann ich wirklich so sein wie er? Ich will nicht, dass später meine Frau und meine Kinder Angst vor mir haben, wenn ich in demselben Zimmer bin.

"Führt diese...abartigen Kreaturen zum Podium!", befiehlt er, während er sich wieder neben mich setzt. Ich zucke leicht zusammen, als er sich zu mir herüber beugt. "Du wirst nicht wegsehen. Bemerke ich nur einmal, dass du woanders hinschaust, wirst du es bereuen. Ich will, dass du dir ansiehst, was mit solchen...Menschen passiert. Denn niemand in meinem Königreich begeht unter meiner Herrschaft eine Sünde." Ich nicke, ignoriere den dicken Kloß, der sich in meinem Hals bildet.

Kann ich wirklich ertragen, Menschen dabei zuzusehen, wie sie sterben? Sie haben eine Sünde begannen, aber müssen sie deshalb mit dem Leben bezahlen?

Mein Blick wandert nochmals über die Menge und bleibt bei einem Jungen hängen. Er ist anders, als alle anderen. Das sehe ich sofort. Jeder freut sich über die Hinrichtung, er aber...es wirkt fast, als wäre er traurig.

Er ist aber ganz sicherlich kein Familienmitglied. Die stehen weit vorn an der Bühne, müssen mitansehen, wie ihr Bruder oder Sohn vor dem gesamten Volk gefoltert wird.

Ihn scheint es nahezugehen. Auf keinen Fall möchte er dort stehen.

Ich schaue weiter, ein junger Mann steht neben ihm. Er sieht ihm ähnlich, wohl sein Bruder. Im Arm hat er ein kleines Mädchen. Die Frau, offenbar deren Mutter, hält ebenfalls ein kleines Kind im Arm.

Warum müssen die kleinen Kinder das hier auch miterleben?

Dass mein Vater befiehlt, dass jeder sich dieses 'Spektakel' anschauen muss, ist eine Sache, aber Kinder werden doch augenblicklich verstört, wenn sie sehen, wie jemand so sehr leiden wird.

Auf einmal wird das Gemurmel in der Menschenmasse lauter und nur wenige Sekunden später schreien einige. Meine Eltern und ich schauen zur Seite und verfolgen die beiden Männer, die gerade zum Podium geführt werden.

Bei ihrem Anblick muss ich schlucken. Selbst aus dieser Entfernung sehe ich, wie sehr sie abgemagert sind. Ihre Gesichter zeichnen Müdigkeit und die Gewalt, die sie erleiden mussten.

Während sie ihrem Tode entgegenlaufen, werden sie von ihren Mitmenschen bespuckt, mit Essensresten beworfen und herumgeschubst. Ihnen scheint es völlig egal zu sein, dass die beiden nicht einmal mehr die Kraft haben, alleine zu stehen.

Vater erhebt sich nochmals, um das Geschehen besser beobachten zu können. Er verdeutlicht mir, dass ich mich neben ihn stellen soll. Ich erhebe mich ebenfalls und stelle mich an das Geländer. Nun habe ich einen noch besseren Blick auf die Bühne. Ich sehe jetzt die Streckbank, wo beide dran gefesselt werden sollen.

Doch ist es nicht so, dass sie gleichzeitig gefoltert werden, mein Vater hat angeordnet, dass der andere dem einen dabei zusehen muss. Bei einem Verfahren wurde aufgeklärt, wer wen zuerst verführt hat. Dieser soll nun zuerst und noch schlimmer leiden müssen.

Man will Tränen und Blut fließen sehen.

Das bedeutet aber auch, dass sie sich gegenseitig beim Leiden zusehen müssen. Wie grausam das einfach nur ist.

"Du heulst doch jetzt nicht oder?" Ich schaue zu meinem Vater. Angestrengt versuche ich, mich zu fassen und schüttle den Kopf. "Warum sollte ich?" "Dir ist doch hoffentlich bewusst, dass diese beiden Schwuchteln verdient haben, zu sterben?" "Natürlich-", ich schlucke, "wer sündigt, muss bestraft werden." Er nickt. "Da muss ich mir vielleicht doch keine Sorgen machen, dass du deine Familie in den Dreck ziehen könntest."

Ich bin mir nicht sicher, ob jedes Gesetz meines Vaters seine Richtigkeit hat. Das hier kann doch nicht richtig sein.

Er gibt seinen Leuten unten ein Zeichen, woraufhin sie die Männer weiter auf die Bühne schubsen und ihnen die Fesseln abnehmen.

"Wie es wohl Gott gewollt hat, werden beide sich nun ihren Klamotten entledigen und dann gefesselt werden. Abwechselnd bekommt jeder 140 Schläge mit dem Lederstreifen auf den Rücken ausgeteilt. Doch werden sie nicht schlapp machen, sonst werden sie an einem festgemachten Seil an ihren Handgelenken wieder hochgezogen.", während er erzählt, ziehen sich die beiden Männer bereits aus. Das Gelächter um sie herum wird lauter.

"Danach werden sie vor den Augen Gottes hingerichtet. Ihr werdet Zeuge sein, wie sie unter Schmerzen um Gnade flehen werden, während man ihren Körper immer weiter gestreckt wird. Ob sie sich augenblicklich den Tod wünschen werden? Das wird ihr einziger Wunsch sein. Doch so leicht werden wir es ihnen nicht machen. Sie müssen dafür leiden, dass sie unser Königreich und besonders unseren Herren hintergangen haben!"

Ich weiß nicht warum, aber mein Blick findet wieder den Jungen, der immer noch mit leidenden Blick zuschaut.

Ihn scheint das hier wirklich sehr mitzunehmen. Wenn das Wachleute mitbekommen, dann wird er auf jeden Fall bestraft.

Ich schüttle den Kopf. Das geht mich nichts an. Jeder ist für sein Schicksal selbst verantwortlich. Wie auch die Männer.

"Sie werden es bereuen, hinter dem Rücken des Herren gesündigt zu haben. Und mich und unser Königreich so hintergangen zu haben!", ruft mein Vater nun mit lauterer Stimme. Mich überkommt eine Gänsehaut, als das Volk jubelt.

Ich sehe zu, wie man die beiden an einen Pfal fesselt. Sie versuchen nicht einmal, sich zu wehren. Sie nehmen ihr Urteil entgegen. Doch selbst von dieser Entfernung kann ich erkennen, dass beide weinen.

"Beginnt mit den Schlägen!", erteilt Vater den Befehl. Während sich zwei Wachleute hinter den Pfosten stellen und nach dem Seil greifen, positionieren sich zwei andere jeweils mit einer Lederpeitsche neben den Gefesselten. Ihre Blicke kreuzen den meines Vaters. Als dieser nickt, beginnt die Folter.

Beide schreien auf, als der erste Schlag kommt. Ich zucke zusammen. Die Männer des Königs machen ihre Arbeit mehr als gut...Sie schlagen einfach auf sie ein. Als würden sie sich bei den beiden rächen, trifft das Leder immer wieder auf die Haut. Es schneidet sich regelrecht rein.

Am liebsten würde ich wegschauen und mich einfach zurückziehen. Die Bilder in meinem Kopf verdrängen - diese schmerzverzerrten Gesichter, die Schreie...alles hallt in meinem Kopf wider.

Doch auch die Worte meines Vaters schaffe ich nicht, aus meinem Kopf zu bekommen.

"Du wirst nicht wegsehen. Bemerke ich nur einmal, dass du woanders hinschaust, wirst du es bereuen. Ich will, dass du dir ansiehst, was mit solchen...Menschen passiert. Denn niemand in meinem Königreich begeht unter meiner Herrschaft eine Sünde."

©Aria1Spencer

Hopelessly Fall In Love [BoyxBoy] + Aria1SpencerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt