Prolog

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Noah

„Mum bitte!" Ich flehte meine Mutter schon seit zwei Tagen an, dass ich nicht mit zu meinem Vater musste, aber sie ließ sich einfach nicht weichkochen. 

„Er ist dein Vater, er hat Geburtstag und er wünscht sich, dass wir ihn besuchen.", meinte sie nur und presste mich ins Auto. 

„Dave, hilf mir!" Ich sah zu meinem Halbbruder. 

Er erwiderte den Blick entschuldigend. „Mum hat schon Recht, Kleiner. Und so schlimm wird es schon nicht werden" 

Er lächelte aufmunternd, aber das konnte er sich von mir aus gerne in den Arsch schieben. 

Meine letzte Hoffnung war also mein Stiefvater.

 Ich sah durch den Rückspiegel zu ihm nach vorne und er wusste sofort, dass ich ihn auch anbetteln wollte. „Vergiss es, Noah. Dein Vater war mal einer meiner besten Freunde. Ich freue mich, ihn wiederzusehen. Du wirst dich schon einmal mit seinem Sohn zusammenraufen können. Immerhin ist er auch dein Bruder" 

Ich schnaubte beleidigt und verschränkte die Arme vor der Brust, während ich Beschwerden vor mich hinbrabbelte. 

Meine Mutter fuhr los und ließ mich schmollen.

 Ich überlegte ernsthaft, einfach aus dem fahrenden Auto zu springen. Ich wollte meinen Dad ja echt gerne wiedersehen, aber sein scheiß Sohn mit diesem blöden, selbstgefälligen Grinsen konnte mir gestohlen bleiben. 

Ich wusste, er würde mir wie jedes mal, wenn ich dort war, auf den Sack gehen. 

Er hasste mich, weil ich das Produkt des Seitensprungs unseres Vaters war.

 Dave war es egal, dass unsere Mutter seinen Vater mir meinem betrogen hatte und ich dabei entstanden war. Er liebte mich, als sei ich sein richtiger Bruder. Etwas, das Cameron nicht tat. Dieser dumme Arsch.

 Ich sah jetzt schon sein behindertes Grinsen vor mir. Er dachte, er sei ach so toll und super cool und er gab immer mit seinem super heißen Freund an. 

Ja toll für ihn, dass er schwul war und einen Lover hatte. Was juckte es mich?! 

Vor allem kapierte ich nicht, wieso er mich dann immer Schwuchtel nannte, er war doch der Schwanzlutscher von uns.

 Egal, aus welchem Blickwinkel ich es betrachtete, ich fand einfach keinen Grund, Cameron nicht zu hassen. 

Aber das verstand natürlich keiner.

 Ich hörte meine Mutter seufzen. Sie sah durch den Rückspiegel zu mir. „Ach, Schatz, jetzt zieh doch nicht so ein Gesicht. Wir bleiben doch nur zwei drei Stunden" Sie lächelte mich an. Und sie kochte mich weich. Wie immer. 

Was sollte ich dazu sagen? Ich liebe meine Mum nun mal. Sie war eine starke, bewundernswerte Frau. 

Es gab keine Möglichkeit, sie nicht zu lieben. 

Deshalb hörte ich auf, ihr das Leben schwer zu machen und wendete mich an meinen Bruder. „Du weichst mir keine Sekunde von der Seite, hast du verstanden?" Ich kniff die Augen zusammen. 

Er grinste, legte die Hand auf mein Knie und drückte leicht zu. „Hab ich dich jemals allein gelassen?" 

Das brachte auch meine Mundwinkel dazu, sich zu heben. Ihm konnte ich vertrauen. Er würde mich beschützen, das hatte er schon immer getan. 

Ich schnallte mich ab, um auf den mittleren Sitz rutschten, damit ich mich an Dave lehnen konnte, doch meine Mutter rastete natürlich sofort aus. „Spinnst du?! Schnall dich sofort an!" 

„Ist ja gut!", schrie ich zurück und rutschte gerade zum mittleren Sitz, als das Auto plötzlich hochflog. 

Meine Mutter riss das Lenkrad zur Seite, das Auto überschlug sich. Es schien alles wie ich Zeitlupe zu geschehen. Während mein Stiefvater ans Lenkrad griff, schnallte meine Mutter sich ab, um mich aufzufangen, weil ich geradewegs auf die Windschutzscheibe zuflog. Ich spürte Arme um mich, hörte Schreie, das Krachen des Autos, spüre, wie ich eingequetscht wurde.

 Mein Kopf flog wild hin und her, während Dave mich an seinen Körper presste. Aber ich wollte nicht, dass er mich festhielt. Er musste mich loslassen. 

Ich streckte meine Arme aus, griff nach meiner Mutter, die mich geschockt ansah, doch ich erreichte sie nicht. Sie flog durch die Windschutzscheibe und am Auto vorbei, das sich noch drei Mal überschlug und dann liegen blieb. 

Ich hatte Schmerzen am ganzen Körper, mir war schwindlig und ich hörte einen lauten Ton im Ohr, doch all das verschwand mit jeder Sekunde immer mehr. 

Ich sah die wenigen Sekunden, in denen Mum sich abgeschnallt hatte, nach mir greifen wollte und dann aus dem Auto geschleudert wurde, immer wieder vor meinem inneren Auge ablaufen, doch es war unerträglich langsam, sodass ich jedes Detail ihres geschockten Gesichts genau erkennen konnte. 

Ich hörte, wie Dave mich fragte, ob es mir gut ginge, spüre, wie er mich festhielt und gleichzeitig abtastete, doch ich war komplett apathisch. 

Ich wusste nicht gewiss, was mit meiner Mum war, doch schon in diesem Moment schrie alles in mir, dass ich sie auf dem Gewissen hatte.

Das Herz meines Bruders (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt