91

5K 319 21
                                    

Noah:

Sogar beim Abendessen ließ Kate das Thema mit Cams Date nicht auf sich beruhen.

Ich stocherte nur in meinem Teller herum, zermanschte das Essen, aber rührte es nicht an.

Dass Cam mich deshalb ganz leidend anschaute, machte es auch nicht besser.

Allen anderen schmeckte er hervorragend.

„Sag mal, wo hast du diese Jacke her?" Dad schaute Cam verwundert an, der dann überrascht an sich runter blickte. „Oh. Die gehört Ken. Hab vergessen, sie ihm zurückzugeben. Mache ich morgen"

Beim letzten Satz sah er mich entschuldigend an.

Ich schüttelte den Kopf, konnte nicht glauben, wie aggressiv ich vom einen Moment auf den anderen wurde, warf meine Gabel geräuschvoll auf meinen Teller, stand auf und ging wortlos die Treppen hoch.

Es war mir egal, dass wir Dave vorher in mein Zimmer gebracht hatten. Trotzdem knallte ich die Tür hinter mir zu. Ich wusste nicht wieso. Eigentlich sollte keiner wissen, wie es in mir aussah.

Aber kennt ihr dieses Gefühl, wenn euch einfach alles wehtut? Wenn ihr euch so fühlt, als wärt ihr kurz davor zu Explodieren und einfach nur noch vor Verzweiflung schreien wollt? Genauso fühlte ich mich in diesem Moment.

Aber nein, ich musste es verstecken, in mir zurückstauen, genauso wie meine Gefühle für Cam.

Es waren Höllenqualen. Immer wieder hatte ich dieselben Gedanken.

Es war so ungerecht. Ich liebte Cam so sehr, aber durfte nicht. Alle würden mich hassen, wüssten sie es. Sie würden sich vor mir ekeln, wenn sei wüsten, was in mir vor sich ging. Ich sah ihn an und wollte nicht lieber als ihn zu küssen. Wir berührten uns und ich wollte seine Hände überall spüren. Ich wollte ihn spüren.

Das war alles so krank.

Wieso war ich so? Wieso hatte ich mich in meinen Bruder verlieben müssen? Wieso zur Hölle war er so dumm, das auch noch zu erwidern?

Er konnte so viel Besseres haben. Ein wirklich glückliches Leben, aber ich zog ihn dermaßen runter.

Ich war ein Wrack. Er sollte sich von mir fernhalten, bevor er mit mir unterging.

Ich wagte es nicht, mich zu Dave in mein Bett zu legen, weil ich ihn kannte und wusste, dass er im Schlaf um sich trat. Früher zumindest. Wie das jetzt war, wusste ich nicht. Zu sehr hatte ich mich in letzter Zeit auf mich selbst und meine eigenen Probleme fokussiert. Hatte ihn vernachlässigt. Kein Wunder, dass er mir heute schlimmer vorgekommen war als sonst irgendwann.

Ich hatte die Vermutung, er musste seine Dosis erhöht haben. Anders konnte ich mir das alles nicht erklären.

Es ging ihm so schlecht. Ich sollte eigentlich bei ihm sein und mich um ihn kümmern, sowie er es bei mir jahrelang gemacht hatte.

Ich bemerkte gar nicht, wie ich wieder in meinen Gedanken und Selbstvorwürfen versank, wie ich Tränen vergoss und leise zu schniefen begann.

Es war dunkel in meinem Zimmer, der Mond schien durch mein Fenster, aber das machte es auch nicht besser. Ich sah nach draußen, wusste, ich war frei, konnte gehen, wohin ich wollte, aber fühlte mich gefangen.

Ich umklammerte meine Beine mit den Armen, lehnte die Stirn an meine Knie und schluchzte vor mich hin.

Ich wollte ja aufhören zu weinen, aufstehen und tapfer sein, aber ich konnte nicht.

Hatte ich jemals behauptet, stark genug zu sein, um all das durchzustehen? Nein.

Ich war schwach. Und ich konnte nicht mehr.

Einerseits hatte ich das Gefühl, meine Liebe zu Cam gab mir eine unbekannte Stärke, aber andererseits wusste ich, sie war meine größte Schwachstelle.

Wie sollte ich denn damit leben? Damit, für sein Unglück verantwortlich zu sein?

Ich konnte einfach nicht verstehen, wie er so viele gute Dinge in mir sehen konnte. So oft hatte er mir nun schon klargemacht, wie schön, wie toll, wie liebenswert er mich fand. Ich hatte ihm jedes Mal geglaubt. Aber ich konnte bis heute nicht verstehen, wie er zu diesen Ansichten kommen konnte.

Im Gegensatz zu Cam, im Gegensatz zu Ken, war ich ein Nichts. Ich wartete nur darauf, dass Cameron mir kam mir mitteilte, dass seine Gefühle für mich nur eine Phase gewesen waren und ich nichts als ein kleiner Bruder für ihn war. Irgendwie sowas würde sicherlich passieren. Das wäre mal wieder typisch mein Leben.

Kaum hatte ich mal was Gutes bekommen, verlor ich es auch schon wieder. Oder sorgte durch mein Verhalten dafür, dass es mich verließ...


Das Herz meines Bruders (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt