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Cameron:



Ich saß mit Noah auf seinem Bett, wir hatten die Hände noch miteinander verschränkt, doch taten nun nichts anderes mehr als uns stumm anzusehen.

Es war unglaublich, was dieser Junge schon alles durchgemacht hatte und wie er doch noch aufrecht durch das Leben gehen konnte.

Nicht zu fassen, wie stark er war.

Er war im Stande so viel Schmerz auszuhalten, körperlich und seelisch, doch er hatte all das nicht verdient.

Er war immer so süß und unschuldig gewesen. Ich hatte mich jedes Mal über ihn lustig gemacht, wenn er versucht hatte, mich zu beleidigen oder verletzen, weil ich es bei ihm getan hatte, als wir noch Kinder waren.

Aber eigentlich hatte ich schon immer dagegen ankämpfen müssen, ihn nicht zu sehr zu mögen. Doch nun auf eine komplett andere Weise.

Ich wusste, was ich da empfand, okay? Und ich wusste, dass es nicht normal war. Dass es abstoßend sein sollte, dass ich es abstellen sollte, aber ich konnte einfach nicht.

Ich war auf dem besten Wege, mich in meinen Halbbruder zu verlieben und ich fand es nicht mal schlimm.

Etwas, das sich so schön anfühlte, konnte doch nicht falsch sein.

Das einzige, wovor ich Angst hatte, war, wie alle andern reagieren würden, wie er selbst reagieren würde.

Er stand ja nicht mal auf Jungs. Und, um dem die Krone aufzusetzen, war ich auch noch sein Bruder.

Ich kämpfte dagegen an, gegen mich, doch ich verlor.

Mein Blick huschte runter zu seinen Lippen.

Ich spürte mein Zittern, als ich mich leicht zu ihm beugte und wieder in seine Augen sah.

Sie waren weiter geöffnet und starrten mich geschockt an. Er wusste es. Bestimmt wusste er es schon vom ersten Moment an.

Ich drückte seine Hand fester, wollte nicht, dass er mich losließ und rückte noch ein Stück näher zu ihm.

Ich wusste, es war falsch, was ich da tat und ja, es war sogar strafbar.

Deshalb war ich auch so erleichtert, als die Zimmertür aufgerissen wurde und Noah in sekundenschnelle vom Bett aufsprang.

Außer dem Umstand, dass er komplett verwirrt wirkte und einen leichten rötlichen Schimmer auf den Wangen hatte, konnte man nichts mehr von der gerade noch herrschenden Spannung erahnen.

So sah dann auch ich zu meinem Vater, der mich soeben davor gerettet hatte, den Fehler meines Lebens zu begehen.

„Ich freue mich ja, dass ihr euch so gut versteht, aber ihr haltet euch bitte trotzdem an bestimmte Regeln. Wie zum Beispiel nicht einfach vom Tisch wegzurennen, wenn andere noch am Essen sind. Und vor allem, räumt ihr eure Teller in die Küche. Ihr seid hier nicht in einem Hotel" Er zog auffordernd die Augenbrauen hoch.

Noah ging zu seinem Schrank, warf sich eine Weste über und ging dann wortlos aus dem Zimmer.

Ich seufze, als er draußen war und sah leicht verzweifelt auf den Boden.

Was war nur falsch mit mir? Mein Bruder?! Ernsthaft?!

Ich spürte, wie die Matratze neben mir nachgab, wie jemand seine Arme um mich legte und hörte ein Seufzen. „Was ist los, mein Großer?"

Ich lehnte meinen Kopf auf die Schulter von meinem Dad und hoffte, er konnte mich irgendwie wieder gerade biegen, doch das konnte er nicht.

Es war nach wie vor nichts falsch mit mir. Ich hatte einfach Gefühle. Nur halt für die falsche Person.

Ich seufzte. „Ich glaube, ich bin dabei, mich zu verlieben", murmelte ich.

Mein Dad und ich hatten eigentlich schon immer ein relativ enges Verhältnis gehabt, vor allem seit meinem Outing. Ihm konnte ich vertrauen.

„Und was ist schlimm daran?", wollte mein Dad verwirrt wissen.

„Nichts ist schlimm. Es ist schön, aber... aber auch falsch" Ich schluckte.

Ich vertraute ihm, aber nicht genug, um ihm zu sagen, dass ich auf seinen Sohn stand.

Das wäre zu viel für ihm. Er würde mich vermutlich sofort rauswerfen.

„Macht er dich denn glücklich?", wollte mein Dad wissen.

Das war eine schwere Frage. Was bedeutete es denn überhaupt glücklich zu sein?

„Ich weiß nicht", gab ich zurück.

Ich hörte ihn seufzen. „Weißt du, Noah hatte damals schon Recht, als er gesagt hatte, dass es das Wichtigste ist, dass du glücklich bist. Nur das zählt, okay? Lass einfach ein Herz entscheiden und bis es eine Entscheidung getroffen hat, lass ihn in der - wie ihr das so schön nennt- Friendzone"

Ich nickte.

Das wäre wohl das Beste. Ich musste erstmal mit mir selbst klarkommen und vielleicht bekam ich mich ja auch unter Kontrolle. Irgendwie...

Aber anderseits wollte ich das auch gar nicht.

Nach der Sache mit Matt... Ich brauchte wieder jemanden, bei dem ich mich wohlfühlen konnte.

Klar hatte ich meine Freunde und die liebte ich ja auch, aber ich wollte jemanden, bei dem es mehr als nur einen Umarmung war, mehr als nur ein Lächeln... Aber nicht bei Noah.


Das Herz meines Bruders (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt