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Cameron:

Ich war heute sehr aufgeregt, da ich Noah wiedersehen würde.

Wir hatten ja vor kurzer Zeit Blut abgeben müssen, das dann untersucht worden war, ob einer von uns Dads Krankheit geerbt hatte und wir waren verständigt worden, dass wir uns heute alle in dem Krankhaus in der Praxis des Arztes treffen sollten, damit er uns aufklärte.

Seltsam, sich darauf zu freuen. Aber bisher hatten Noah und ich nur noch Kontakt über Mums Handy gehabt und das eine Woche lang!

Ich drehte benahe durch, ohne ihn in echt zu sehen oder seine Berührungen zu spüren. Ich vermisste ihn so sehr.

Ich kam viel zu früh in das Wartezimmer der Praxis, aber das war es mir wert.

Noah, Dad und Mum gingen zur Anmeldung, ohne mich zu bemerken, als sie etwa eine halbe Stunde nach mir eintrafen.

Ich grinste schon breit, als ich nur seinen Rücken sah und die trotzige Art, wie er mir Dad umging.

„Noah", meinte ich gut verständlich.

Sofort drehte er sich um, seine Augen wurden so groß, dass ich Angst hatte, seine Augäpfel würden einfach rauskullern.

Er gab einen kleinen Schrei von sich, rannte zu mir und fiel mir um den Hals. Lächelnd drückte ich ihn an mich und schloss dabei die Augen.

„Ich hab dich so vermisst", flüsterte ich.

„Ich dich auch, ich dich auch", sagte er schnell, während er sich so fest an mich presste, dass nicht mal mehr der Wind zwischen uns durchwehen könnte.

„ich glaube, Dad schaut uns grade böse an", flüsterte ich leise.

„Soll er doch. Was soll er hier tun? Rumschreien, dass seine Söhne es treiben?" Noah klang erfreut, als er das sagte, egal wie gereizt er war, wenn man das Wort „Dad" auch nur sagte.

„Ich liebe dich so sehr", flüsterte ich, gab ihm einen Kuss auf den Hals.

„Ich liebe dich auch"

Es war ein schöner Moment. Egal, ob Dad anwesend war und uns beide totstarrte, ich genoss es, Noah in meinen Armen zu halten, seinen Duft einzuatmen, seinen Körper an meinem zu spüren. Einfach zu wissen, dass er da war.

Andere, die uns so eng umschlungen sahen, mussten denken, wir hatten eine schlechte Nachricht bekommen, doch in Wahrheit waren wir beide grade einfach nur glücklich, einander wieder in die Arme nehmen zu können.

„Du darfst mich nachher nicht wieder mit ihm gehen lassen", flüsterte Noah mir zu. „Bitte lass nicht zu, dass er mich wieder mitschleppt."

„Versprochen", hauchte ich leise und gab ihm nochmal einen Kuss auf dieselbe Stelle wie eben.

Als ich diesmal meinen Kopf zurück an seinen lehnte, ließ ich die Augen dabei offen und konnte Dad deshalb direkt ins Gesicht sehen.

Er sah so aus, als würde er am liebsten zu uns stürmen und uns auseinander reißen, aber Mum hielt ihn davon an.

Wir alle vier wurden nach kurzer Zeit von der Krankenschwester geben, ihr zu folgen. Sie brachte uns in einen Raum, in dem der Arzt schon auf uns wartete. Es gab nur 2 Sitzplätze, auf die sich Noah und ich setzen sollten.

Der Arzt sah ernst aus.

Bisher hatte ich mir keine Gedanken darum gemacht, was war, wenn Noah oder ich diese Krankheit hatten. Wie real konnte das schon sein? Immerhin hatte nie einer von uns Symptome gehabt. Aber jetzt, als uns der Arzt so ansah, hatte ich ein ganz mieses Gefühl.

„Die Ergebnisse ihrer Tests waren überraschend für uns und es dürfte mich nicht wundern, wenn sie sie auch überraschen würden", meinte er Arzt, als er eine Mappe aufschlug.

„Zuerst die guten Nachrichten. Keiner von ihnen ist von der Hämophilie betroffen. Noah... Ich darf doch du sagen?" Der Arzt schaute mein Baby fragend an und er nickte schnall. „Klar."

Ich sah ihm an, wie nervös er war und legte deshalb unter dem Schreibtisch des Arztes meine Hand auf seinen Oberschenkel.

Mir war klar, dass Dad es sah, weil er hinter räumlich uns stand, aber auch, dass er vor dem Arzt kein Drama machen würde.

„Du solltest ein wenig auf deine Ernährung achten. Dein Bluthaushalt weist auf eine Mangelernährung hin, wie das eigentlich nur bei Leuten aus Entwicklungsländern der Fall ist. Möchtest du uns dazu vielleicht etwas sagen?"

Der Arzt war nett, ich fand es gut, dass er nicht gleich mit der Tür ins Haus fiel und Noah Druck machte.

Noah schaute fragend zu mir.

Ich lächelte ihn aufmunternd an und nickte.

Deshalb seufzte er tief durch, ehe er sich wieder an den Arzt wandte.

„Meine Mum ist vor fast einem Jahr gestorben. Ich musste zu meinem Dad ziehen, weil mein Stiefvater ins Koma gefallen ist und es meinem großen Bruder auch nicht sehr gut geht. Ich hab halt immer weniger gegessen und, wenn ich ehrlich bin, hab ich es irgendwann einfach vergessen. Wenn ich was gegessen habe, weil alles andere zu auffällig gewesen wäre, habe ich es danach fast jedes Mal sofort ausgekotzt. Das ging mehrere Monate so. Aber... Jetzt geht's mir besser. Psychisch, meine ich. Ich hab zwar noch sehr viele Probleme und Leute, die mir Druck machen, aber ich hab was gefunden, das mir meinen Lebenswillen zurück gebracht hat" Noah lächelte bei dem letzten Satz und legte unter dem Tisch seine Hand auf meine, um sie zu drücken.

Der Arzt nickte verstehend. „Nun, es freut mich sehr, dass es dir besser geht. Trotzdem solltest du vielleicht über eine Therapie nachdenken. Das muss dir nicht unangenehm sein, diese Art von Hilfe in Anspruch zu nehmen. Du musst dich auch nicht jetzt sofort entscheiden." Der Arzt legte Noah eine Broschüre hin und lächelte ihn an. „Denk einfach mal darüber nach, oder probiere es in einer Art Probesitzung, ob es dir helfen könnte."

Noah nickte, nahm die Broschüre an sich. „Danke. Sie sind sehr nett"

Der Arzt lachte leicht. „Ich möchte nur helfen, deshalb mache ich diesen Beruf"

Lächelnd steckte Noah die Broschüre ein.

Der Arzt schloss eine Akte wieder und öffnete eine andere. „Und jetzt zu dir, Cameron... ich darf doch du sagen?"

Ich grinste leicht, weil er mir extra noch dieselbe Frage stellte wie Noah und das, obwohl ich ja nur ein Jahr älter war als er. „Natürlich"

„Bei dir war von den Werten her alles mehr als in Ordnung. Du bist ein gesunder, sportlicher junger Mann. Allerdings und das betrifft wohl deine gesamte Familie, haben wir festgestellt, dass dein Blut und Noahs nicht annähernd darauf hinweisen könnte, dass ihr in irgendeiner verwandtschaftlichen Beziehung zueinander steht..."

„Stopp", sagte ich sofort, wodurch der Arzt perplex verstummte. „Noah ist nicht mein Bruder?"

Der Arzt schüttelte den Kopf. „Nein, ist er nicht"

Total begeistert schaute ich Noah an und er mich komplett fassungslos. „Wie kann das sein?", wollte er wissen.

Er bekam es mit der Angst zu tun. Vermutlich dachte er, er sei wohl doch nicht Dads Kind, aber anscheinend war es eher andersrum.

„Nun ja, das habe ich mich auch gefragt... Ich habe mich erkundigt. In der Nacht, als du geboren wurdest, Cameron, gab es in diesem Krankenhaus ein ziemliches Chaos... Es hat einen Massencrash auf der Autobahn gegeben... Es war wohl viel los damals... Außer dir ist in dieser Nacht nochmal ein Junge zur Welt gekommen. Seine Eltern waren bei dem Unfall beteiligt und deshalb im Krankenhaus. Ich kann natürlich nicht mit Sicherheit sagen, dass meine Vermutung stimmt, aber du musst irgendwie mit ihm verwechselt geworden sein... Das bedeutet, du bist das Kind von dem Unfall und der andere Junge... ihr leiblicher Sohn..." Der Arzt schaute hinter Noah und mich und vollendete seinen Satz: „... ist in dieser Nacht gestorben"


Das Herz meines Bruders (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt