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Amara

"Oh, Miguel. Es ist gut, dass du mit ihr so schnell hergekommen bist.", stellt der Arzt fest.
Ich schaue den großen Typen an der Wand durch den Spiegel an. 

Er heißt Miguel?

Miguel antwortet nicht.
Er hebt nur seinen Kopf und schaut sich mein Spiegelbild an. 

Dann zwinkert er mir zu.

Irritiert und errötet zugleich wende ich meinen Blick ab.
Was zwinkert er denn jetzt?

"Wer hat auf Sie geschossen, Señora?", fragt der Doktor an mich gewandt.
Ich schlucke.

"Vermutlich ein anderes Kartell.", kommt mir Miguel schnell zu vor.
Lügner.

Zornig schaue ich ihn an.
Seine Mundwinkel heben sich belustigt, ehe er wieder auf sein Handy schaut.

"So fertig, Señora. Ihr Hals wird vermutlich etwas blau werden, aber ich denke nicht, dass etwas verstaucht oder gebrochen ist".
Warm lächelt er mich an, dann packt er seine Sachen ein und verabschiedet sich von Miguel.

Ich ziehe mir schnell mein blutiges Shirt über, auch wenn es sich ekelig anfühlt.
Auch an meinem Arm klebt noch Blut von heute Mittag.

"Komm, wir haben was zu besprechen."
Miguel nickt mit dem Kopf in Richtung Flur.

"Du bringst mich jetzt sofort wieder nach Los Angeles!", fordere ich ihn auf und gehe wütend auf ihn zu, während er völlig entspannt an der Wand lehnt und langsam das Handy in seiner Anzughose verschwinden lässt.

"Princesa, habe ich dir gerade auf dem Rastplatz nicht deutlich genug gezeigt, wer hier das Sagen hat?"
Provokant hebt er eine Augenbraue an und sieht von oben auf mich herab, während er sich leicht vor beugt.

Weil ich nicht wieder weinen will, versuche ich das Thema zu wechseln.
"Wo ist die Toilette?", frage ich ihn stattdessen leise. 

"Jetzt nicht.", verbietet er mir meine Frage und drückt mich an der linken Schulter aus dem Raum.
Er braucht nicht viel sagen, ein kurzer Blick reicht um mir zu verstehen zu geben, dass ich ihm folgen soll.
Wir laufen den langen Gang entlang bis zu der Treppe, die wir vorhin hochgelaufen sind. Unten angekommen geht er geradewegs auf zwei große Holztüren zu und öffnet die rechte.

"¡Ah aqui estas!", höre ich eine dunkle Stimme.
Miguel steht mitten in der Tür und versperrt mir die Sicht auf den anderen Mann in diesem Zimmer.

"Hola hermano.", begrüßt  Miguel  den Unbekannten und geht weiter ins Zimmer hinein.
Ich hingegen bleibe draußen stehen und betrachte den Mann auf dem Sessel genauer.
Er hat tatsächlich große Ähnlichkeit mit Miguel.

"Ist sie das?" schmunzelt der Mann jetzt und schaut mich genauer an.

Miguel winkt mich rein und lächelt den Fremden an.
"Si."

Lachend antwortet er seinem Bruder.
Warum genau lacht er jetzt? 

Ich schaue mich unsicher um, während ich das große Zimmer betrete.
"Was soll ich hier?", unterbreche ich die beiden, als sie sich noch immer über Miguels simple Antwort lustig machen.

"Hab ich dir gesagt, dass du reden sollst?"
Intensiv mustert mich Miguel mit einem kalten und distanzierten Blick.

Sein Bruder schaut belustigt zwischen uns her, während Miguel an einem Schreibtisch lehnt und seine Hände lässig ins eine Hosentaschen wandern. 

Schließlich deutet er mit dem Kinn auf den dunkelbraunen Ledersessel einige Meter vor ihm. Als ich mich nicht bewege, macht er einen großen Schritt auf mich zu, um mich einzuschüchtern.
Schnell setze ich mich.

Ich hasse es jetzt schon, dass er mich so im Griff hat.

"Mein Bruder hat etwas vergessen. Das Problem ist, dass du es jetzt hast.", fängt Miguels Bruder an.
Seine Stimme ist auch rau, aber nicht so dunkel und furchteinflößend wie Miguels Stimme.

"Oh wie unhöflich, meine Name ist Pedro", stellt er sich vor und lächelt spöttisch.

"Wir hätten das gerne wieder, aber das hab ich dir ja gestern schon klar gemacht.", fährt Miguel fort.
"Also, wo ist es?"
Abwartend sehen mich beide an.

"Ich habs nicht.", flüstere ich zitternd.
Mein Herz rast, weil ich nicht weiß, was als nächstes passieren wird.

Pedro seufzt laut und Miguel verfestigt den Griff um die dunkle Holzplatte seines Schreibtisches. Anscheinend versucht er sich zu beruhigen.

"Okay nochmal. Wo ist der Zettel?", wird seine Stimme nun doch laut und ungeduldig.

Mir wird heiß und kalt gleichzeitig -  Gänsehaut läuft über meinen Körper, aber trotzdem fühle ich die Schweißperlen auf meiner Stirn.

"Ich.. ich habs nicht.", lüge ich erneut.
Miguel haut auf die Tischplatte, dann packt er unter mein Kinn und drückt es hoch, damit ich ihn anschaue.

"Wenn du dir eine Kugel fangen willst, dann mach ruhig weiter so.", droht er mir.

"Du tust mir weh, Miguel!", rufe ich schmerzhaft.
Kurz blickt er auf seine Hand, bevor er daraufhin mein Kinn loslässt.

"Ich schicke dir morgen einen Trupp, der euer ganzes scheiß Haus auseinander nimmt!", droht er mir erneut.

"Gut, damit wäre aber ihr zweites Problem nicht geklärt.", mischt sich Pedro nun das erste Mal so richtig ein.
Welches zweite Problem?

Verwirrt schaue ich erst Pedro und dann Miguel an.
Dieser streicht sich gerade gestresst über die dunklen Bartstoppeln.

"Ich habe gestern nicht auf dich geschossen.", erklärt Miguel mir nach langer Pause.
"Das war vermutlich das Jalisco-Kartell. Wir sind im Krieg mit denen und der Zettel, den du hoffentlich doch noch hast, ist ihnen sehr wichtig.", informiert er mich.

"Ein Kartell ist hinter mir her?", hauche ich fassungslos.
Mir wird übel.

Miguel lacht leicht.
"Wenn man es genau nimmt, sogar zwei.", witzelt er und betrachtet seine glänzenden, schwarzen Schuhe. 

Ich find' es gerade gar nicht witzig.

"Wieso zwei?"
Meine Sicht verschwimmt immer mehr.

Fang jetzt bloß nicht wieder an zu weinen, Amara.

"Naja, wir auch!", sagt er so locker, als würde er eine Cola an der Bar bestellen.

Er ist Drogenboss? Er führt ein Kartell?

"Ich muss mal... ich muss mal kurz..."
Ich kann nicht weiter sprechen, da ich sonst in Tränen ausbrechen würde.

Miguels giftgrüne Augen durchbohren meinen Körper. 

Pedro hingegen steht auf und verlässt den Raum.
"Du regelst das.", ist das Einzige, was er zum Abschied sagt.

AmaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt