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Amara

Ich kann mein Glück kaum fassen, als ich endlich auf den Highway in Richtung Sacramento fahre.

Ich bin frei.

Die Musik dröhnt auf den Boxen und ich genieße den kühlen Fahrtwind, der durch mein offenes Haar weht.
Im Rückspiegel sehe ich, wie die Sonne langsam untergeht.


Miguel
20:06 Uhr

"Wo ist sie!", brülle ich die Männer an, die sie so simpel haben abhauen lassen.
Keiner antwortet mir, alle starren sie auf den Boden.

Feiglinge.

"Gib mir die Schlüssel für den verschissenen Land Rover.", brülle ich Xavier an.
"Hier, Miguel.", holt er sie aus seiner Tasche und reicht sie mir.

"Idiota!", zische ich, nachdem ich ihm den Schlüssel abgenommen habe und die Eingangstreppen zu den Autos herunter laufe.

Wenn ich sie nicht rechtzeitig finde, werden die anderen sie töten.
Weit über der Geschwindigkeitsbegrenzung fahre ich über den Highway.
Mittlerweile ist es dunkel und ich weiß nicht, wie lange sie schon weg ist.

Das Klingeln meines Handys reißt mich aus meinen Gedanken.
"Ja.", brumme ich ich in mein Telfon.

"Senor, sie ist bei ihrer Mutter in Los Angeles. Wir konnten Ihr Auto orten.", teilt mir Xavier mit. Hoffentlich passiert ihr nichts.

"Wir haben die Leiche allerdings noch nicht entsorgt."

"Wie bitte?", frage ich entsetzt.
"Sag mir, dass das nicht wahr ist.", muss ich mich kontrollieren, ihn nicht anzuschreien.
Es bleibt still in der Leitung, nur ein leises Rauschen ist zu hören.

"Verdammte Scheiße. Seid ihr Anfänger oder was?", reiße ich mich kräftig zusammen. Wenn ich jemanden ermorde, dann räume ich alles sofort weg und fahre nicht erst irgendwo anders hin!

"Entschuldigung.", höre ich Xaviers leise Stimme.

Dann lege ich auf.
Ich trete fester aufs Gaspedal, dann wähle ich Patricio's Nummer.

"Miguel, como estas?", fragt er mich gut gelaunt.

"Du musst was für mich erledigen", gehe ich nicht auf seine Frage ein.
Ich habe nun wirklich keine Zeit Small Talk zu führen.

"Si, was denn?", stimmt er zu.

Ich erkläre ihm, dass er dringend zu Amara's Haus fahren soll und aufpassen muss, dass sie weder die Polizei ruft, noch irgendwas unüberlegtes tut. Am besten wäre es, wenn sie gar nicht erst ins Haus kommen würde, aber dafür ist es vermutlich schon viel zu spät.

"Alles klar, Santa Monica sagst du?", wiederholt er die Adresse.
"Wehe du packst sie mit deinen dreckigen Pfoten an!", drohe ich ihm.
Er lacht nur blöd und legt dann auf.


20:47 Uhr

Als ich in Los Angeles ankomme ist es fast 21 Uhr.

Es brennt kein Licht im Haus, aber ich sehe meinen BMW und Patricio's Auto vor dem Grundstück stehen.
Nachdem ich aus dem Auto gestiegen bin, zünde ich mir zuerst eine Zigarette an, danach gehe ich über die Straße.
Die Haustür steht leicht offen und ich schaue mich kurz um.
Die Nachbarn in den Wohnvierteln sind immer unglaublich neugierig und ich habe keine Lust, dass jemand die Cops ruft und ich das hier dann auch noch erklären muss.
Das würde mich nur kostbare Zeit kosten.

Langsam schiebe ich mit dem Fuß die Haustür auf.

"Mama, bitte! Wach auf Mama!", höre ich Amara bereits schluchzen.
Ich kneife die Augen zusammen, als ich sie in der Mitte des Wohnzimmers sitzen sehe. Der leblose Kopf ihrer Mutter liegt auf ihrem Schoß, das blasse Gesicht ist feucht von Amaras Tränen.

Vorsichtig gehe ich einige Schritte in ihre Richtung. Sie scheint mich noch nicht bemerkt zu haben.

"Mama, bitte!", ruft sie erneut verzweifelt. Sie weint kräftig und ihr Körper zittert stark.

"Amara.", mache ich leise auf mich aufmerksam.
Sie zuckt zusammen und kreischt dann laut auf. Sie greift nach der Waffe, die vor ihr auf dem gläsernen Couchtisch liegt.

Woher hat sie die?

Sie zielt auf mich. Diesmal zittert ihre Hand nicht mehr, während ihre kleinen Finger die schwere Waffe umgreifen.

Abwehrend hebe ich die Hände.
"Leg die Waffe weg.", bitte ich sie ruhig.

"Halt dein Maul!", brüllt sie mich an.
Ihre Stimme ist rau, ihr Gesicht feucht von den Tränen.

"Woher hast du die Waffe?", frage ich vorsichtig. Währenddessen gehe ich auf sie zu.

"Bleib wo du bist oder ich schwöre dir, ich knall dich ab."
Sie steht ruckartig auf, der Kopf ihrer toten Mutter fällt mit einem dumpfen Geräusch auf den Teppichboden.

„Du willst mich ausliefern! Lieber sterbe ich, als bei fremden Kriminellen zu leben.", weint sie laut.

"Ich bleibe hier stehen. Aber du musst mir sagen, woher du die Waffe hast.", wiederhole ich mich erneut. Erst jetzt sehe ich, dass ihre Lippe aufgeplatzt ist.

"Was ist mit deiner Lippe?", stelle ich ihr erneut eine Frage, die mir tatsächlich wichtiger ist, als die vorherige.

"Hier war ein Typ, so ein großer. Er war dunkel, so wie du, und hatte lockige Haare." schluchzt sie.
Die Waffe hält sie noch immer fest in ihrer rechten Hand.

Patricio

"Was hat er gemacht?", frage ich und merke, wie die Wut in mir hochkommt.

"Er hat die Tür aufgetreten, während ich hier bei Mama saß. Er meinte, dass ich mich besser nicht bewegen soll, wenn ich nicht so enden will, wie meine Familie. Und... Und dass du auf dem Weg wärst."
Ihre Stimme zittert vor Angst.

Ich könnte jetzt einfach meine Waffe ziehen und das ganze hier beenden, doch ich will sie nicht noch mehr verängstigen.
Noch nicht.

"Und weiter?", frage ich leicht nervös.

"Tu nicht so, als würde dich das interessieren!", verschließt sie sich wieder.
An ihrem Blick erkenne ich, dass sie bemerkt, wie sie gerade mit mir redet, doch ich lasse mir nichts anmerken.
Es gefällt mir nicht, doch das ist im Moment egal.

"Verschwinde jetzt!", brüllt sie wieder.
„Was machst du überhaupt hier! Ob ich heute oder morgen sterbe ist doch völlig egal!", weint sie laut.

Ich atme tief durch, dann wird mir das Ganze doch zu wild und ich ziehe meine Waffe.
Ihre Augen weiten sich, während ich schnell auf sie zu gehe, doch sie entwischt mir, in dem sie über das Sofa hüpft.

"Geh weg!", kreischt sie. Rückwärts geht sie zur Terrassentür.
"Wehe!", drohe ich ihr, als ich ihren Plan durchschaue.
Brav löst sie ihre Hand vom Türgriff.

"Jetzt leg die Waffe weg und komm her. Ich werde dir nichts tun.", verspreche ich ihr und meine es auch so.

Ich sehe an ihrem Gesichtsausdruck, wie sie überlegt.
"Der Mann hat mich geschlagen.", haucht sie plötzlich.

"Ins Gesicht.", fährt sie fort und deutet auf ihre Lippe.
"Er wollte mich erwürgen, mit dem Band da.", zeigt sie neben mich auf den Boden.

"Dann hab ich ihn geschubst und er ist mit den Kopf auf den Glastisch gefallen. Er.. Er hat sich nicht mehr bewegt, Miguel. Ich glaube- Ich glaube ich habe ihn umgebracht.", weint sie völlig erschöpft.

"Das ist seine Waffe, ich hab sie ihm geklaut. Jetzt- Er ist jetzt- Ins Badezimmer habe ich ihn gezogen.", erklärt sie mir.

Plötzlich spüre ich eine unglaubliche Wut, die ich die ganze Zeit versucht habe zu unterdrücken. Nicht auf Amara, sondern auf Patricio, und setze dem Theater hier endlich ein Ende.

Ich gehe auf Amara zu, schlage ihr die Waffe aus der Hand und zerre sie ins Auto. Sie ist so schwach, dass sie sich nicht einmal wehrt.
Nein.
Sie ist so schwach, dass ich sie fast tragen muss.

AmaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt