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Amara
08:21 Uhr

Miguels Bürotür steht offen und ich versuche immer wieder einen Blick auf ihn zu erhaschen. Heute trägt er eine dunkelblaue Anzughose und ein weißes Hemd. Auf seinem Schreibtisch steht ein halbvolles Glas Whiskey mit Eis.

Es ist noch nicht mal halb neun und er trinkt schon Alkohol?

Angestrengt blättert er in irgendwelchen Akten herum. Die Tür zu der kleinen Terrasse vor seinem Büro steht offen.

"Was willst du?", fragt er genervt ohne von seinem Schreibtisch aufzuschauen. Wie hat er mich jetzt erkannt?

"Nichts, ich..-"

"Dann verschwinde und hör auf mich zu beobachten.", unterbricht er mich unfreundlich.
Ich schaue ihn noch einige Sekunden an und versuche mit seiner Unfreundlichkeit klar zu kommen. Als meine Augen feucht werden, wende ich mich ab und gehe in den Garten.

Wieso ist der so gemein zu mir?
Niemand zwingt ihn, dass er mich hier wohnen lässt. Das war allein seine Idee.
Als wäre ich freiwillig hier.

"Ich sag ja, Arschloch!"
Ich kicke einen kleinen Stein, der vor meinen Füßen liegt, durch den Garten und stelle mich vor den Pool.

"Was hat mein Bruder wieder angestellt?", ertönt Pedros Stimme hinter mir.
Ich drehe meinen Kopf zu ihm.

"Nichts, ich- er ist einfach gemein zu mir.", erkläre ich ihm mein Problem, welches mir plötzlich total nichtig vorkommt.

Pedro lacht.

"Glaub mir, ich habe ihn noch nie so freundlich gesehen."
Er pustet den Rauch seiner Zigarette aus und stellt sich neben mich.

Freundlich? Soll das ein Witz sein?

"Dir mag es nicht so vorkommen, aber normalerweise hätte er dich bei eurer ersten Begegnung direkt abgeknallt. Und wenn da nicht, dann sicherlich gestern, nachdem du abgehauen bist.", offenbart er mir.

Ich runzle die Stirn.
"Er hat mir aber gedroht es zu tun.", will ich nicht wahr haben, dass das Miguels Art von Freundlichkeit ist.

"Drohen und es letztendlich machen sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Er will dir Angst machen, damit du Respekt vor ihm hast. Mehr nicht."
Er drückt die Zigarette auf dem Boden aus und winkt mich zu sich.

"Komm jetzt, Miguel wartet."
Mit diesen Worten dreht er sich um und lässt mich im Garten zurück.

Hastig versuche ich ihn einzuholen, doch er ist schon viel zu weit vor mir.

"Warte!", rufe ich ihm hinterher.

Ich folge Pedro in Miguels Büro, welcher scheinbar die Akten wieder im Schrank verstaut hat.

"Setz dich hin, Amara.", ertönt seine raue, dunkle Stimme.
Ohne zu zögern, tue ich was er von mir verlangt.

"Du hast Glück, dass mein Bruder es sich anders überlegt hat und dich nicht zum Tausch anbietet.", beginnt Pedro.
Mein Blick schnellt zu Miguel, der mit einem Kugelschreiber abwesend auf einem weißen Blatt rum malt.
Er ignoriert meinen Blick.

"Ich weiß nicht, was er jetzt mit dir vor hat, aber du wirst sicherlich nicht nach Hause können. Sollten wir dich heute nicht aus allem raus halten können, dann wirst du hier bleiben müssen. Miguel wird sich sicherlich um deine Schulausbildung kümmern, nicht wahr?"
Spöttisch schaut er zu seinem Bruder rüber, der immer noch nicht den Anschein macht, als würde er etwas sagen wollen.

"Kannst du auch antworten? Wofür hast du denn bitte deinen Mund?", verlassen exakt die Worte meinen Mund, die er mir bei unserer ersten Begegnung an den Kopf geworfen hat.

Sein Blick liegt endlich auf mir.
"Wie bitte?", fragt er ungläubig.

"Ob du auch-"

"Ich hab dich schon verstanden!", lässt er mich verstummen.
Er spielt mit dem Stift zwischen seinen Fingern, ehe er aufsteht und sich bedrohlich vor mir aufbaut.

"Na? Doch nicht mehr so mutig?!", faucht er und stützt seine Arme auf den Armlehnen meines Sessels ab.

Seine Augen durchbohren mich und sein Blick jagt mir einen Schauer über den Rücken. Ich drücke mich weiter ins teure Leder, um den Abstand zwischen uns zu vergrößern, doch es bringt nichts.

"Du vergreifst dich ganz schön oft im Ton, findest du nicht?", fährt er jetzt.
"Gerade eben noch, hast du mich Arschloch genannt.", macht er mir klar, dass er alles gehört hat.

Ich schlucke.

"Das war nicht so gemeint", versuche ich mich zu verteidigen.
"Ich habe eine viel bessere Verwendung für dich, als die Auslieferung an das Jalisco-Kartell."
Er tut so, als würde er überlegen, dabei weiß er schon genau, was er mit mir vor hat.

"Du willst doch so gerne nach Los Angeles zurück, oder? Eine Nutte in meinem Club hat mich verarscht, sie liegt jetzt in den Müllcontainern am Hafen. Du bist nicht, naja, sagen wir mal so. Nicht hässlich. Und deine Figur reicht auch aus, um Männer zu befriedigen."
Mit diesen Worten drückt er sich vom Sessel ab und steckt sich eine Zigarette in den Mundwinkel.

"Ich bin aber keine Nutte.", runzle ich die Stirn.
Er lacht, so dass die Zigarette in seinem Mundwinkel hin und her wackelt.
„Das ist nicht schwer. Du wirst das hinkriegen.", will er nicht diskutieren, verkneift sich jedoch ein Schmunzeln.

"Ich werde nicht deine Nutte ersetzen!", rufe ich außer mir vor Wut.

Er legt seinen rechten Zeigefinger auf seine vollen Lippen, um mir zu verdeutlichen, dass ich nicht schreien soll.

"Du kannst mich mal! Einen Scheiß werde ich, wenn du keine Nutte findest dann geh doch selber dahin!", ignoriere ich seine Warnung.
Sein Blick warnt mich erneut, doch ich lasse mich nicht unterkriegen.

"Lieber sterbe ich, lieber schlafe ich draußen bei den Hunden, bei den Wölfen oder in Los Angeles auf der Straße, ehe ich für dich arbeite!", höre ich nicht auf.

"Amara!", meldet sich jetzt Pedro zu Wort und will mich ebenfalls warnen.

"Du bist feige! Tust so, als würde dich jemand zwingen mich hier auf zu nehmen, dabei war das allein deine Idee! Niemand zwingt dich!", brülle ich verheult.

Mittlerweile steht er dicht vor mir und sieht mir in die verheulten Augen.
"Du gehst jetzt besser."

"Mira su cuerpo. Sólo puede trabajar como prostituta. Ella sufrirá" (Schau dir ihren Körper an. Sie kann nur als Nutte arbeiten. Sie soll leiden). Starr blickt er mir in die Augen, redet jedoch mit seinem Bruder.

Die Wut überkommt mich plötzlich und meine Hand trifft seine Wange. Ein roter Abdruck ziert sein Gesicht und meine Handfläche brennt fürchterlich.

"Hoppla", versucht Pedro die Stimmung aufzulockern.
Miguel sieht mich überrascht an.

"Hablo español. Yo nací en Sinaloa", offenbare ich ihm, dass ich aus Sinaloa komme.

Dann gehe ich aus dem Büro.

"Gehst du jetzt einen Schritt weiter, dann lege ich dich auf der Stelle um!", durchdringt Miguels kräftige Stimme die Stille.
Ich höre nicht auf ihn.

Wenn er mich unbedingt töten will, dann soll er das tun.

"Amara!", ruft er nun lauter.

AmaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt