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Amara

Ich stehe in der Küche und schütte mir Wasser in ein Glas, während meine Gedanken immer noch bei meiner Mutter sind.
"Jetzt reiß dich zusammen!", meckere ich mich selber an, als mir die Tränen kommen.

"Hier bist du.", ertönt seine Stimme hinter mir. Ruckartig drehe ich mich um und fege das Glas vom Tresen.

"Scheiße"
Ich bücke mich schnell, um die Scherben aufzuheben.

"Pass auf, dass du dich nicht schnei-", er unterbricht sich selber. Ich zische auf.
"-dest", beendet er seinen Satz.

Ich sehe im Augenwinkel, wie er näher kommt.

„Zeig mal her", bückt er sich zu mir runter. Hastig ziehe ich meine Hand weg und räume weiter die Scherben auf.

"Amara, hör auf.", fordert er mich auf.

"Ich kann das alleine!", lehne ich seine Hilfe ab. Zugegeben ist meine Stimme viel zu aggressiv, weshalb er überrascht zu mir rüber schaut.
Kurzerhand zieht er mich auf die Beine und schiebt mich zum Waschbecken.

"Das brennt jetzt kurz", gibt er mir Bescheid, ehe er mein Handfläche unter das kalte Wasser hält.
Ich will meine Hand wegziehen, doch er hält mein Handgelenk so fest, sodass ich es kaum bewegen kann.

"Ist gleich vorbei.", beruhigt er mich.
Dann tupft er meine Hand mit einem sauberen Küchentuch ab und schaut sich den Schnitt genauer an.

"Drück das Tuch fest auf die Wunde und setzt dich da hin. Ich komme gleich wieder.", zeigt er erst auf den Stuhl im Essbereich und verschwindet danach aus der Küche.

Ich tue was er verlangt, aber nur, weil ich keine Lust habe mit ihm zu diskutieren. Seit der Situation gestern Abend wird mir bewusst, dass er anders ist, als noch vor einer Woche.

Miguel kommt mit einem großen Pflaster und ein bisschen Desinfektionsmittel wieder und kniet sich vor mich hin.

"Gib mir deine Hand", fordert er mich auf und tränkt gleichzeitig die Watte in der antibakteriellen Lösung.

"Aua!", rufe ich laut, als er den feuchten Wattebausch auf meine Handfläche drückt. "Entschuldigung."
Auf der Stelle hält er inne, während ich versuche zu verstehen, was er da gerade von sich gegeben hat. Hat er sich gerade zum ersten Mal bei mir entschuldigt?
Bis gerade eben war ich mir ziemlich sicher, dass er dieses Wort nicht einmal kannte.
Miguel schaut mir einen Augenblick an, vermutlich weil auch ihm dämmert, was genau da gerade seinen Mund verlassen hat.
Unbeirrt, ohne noch etwas zu sagen, widmet er sich wieder meiner Hand.

Nach einer gefühlten Ewigkeit lässt er meine Hand los.
„Fertig."

"Danke, wäre nicht nötig gewesen.", murmel ich und stehe auf.

"Lass das liegen, ich sage Mira Bescheid, dass sie es aufräumen soll.", gibt er mir zu verstehen, dass ich nichts anfassen soll.

Er geht an mir vorbei zum Mülleimer und wirft den Abfall weg.
"Willst du mitkommen joggen?", fragt er mich nun.

"Nein", lehne ich ab.

"Warum nicht? Als ich dich beobachtet habe, bist du auch fast täglich joggen gegangen.", will er meine Antwort nicht akzeptieren.

"Mag sein, aber ich will einfach nicht.", versuche ich ihn abzuwimmeln.

"Du gehst mir aus dem Weg.", stellt er mit verschränkten Armen fest.
Ertappt schaue ich ihn an und merke, wie die Hitze in mein Gesicht steigt und ich feuerrot werde.

"Warum?", will er mit rauer Stimme wissen.
Mein feuerrotes Gesicht hat ihm vermutlich seine Antwort gegeben, denn ich musste nichtmal was sagen.

Mir ist die Situation so peinlich, dass ich kein Wort rausbekomme.
Er zieht die Augenbrauen zusammen.
"Ich hab dich was gefragt.", wiederholt er sich mürrisch.

„Du- Du hast mich gegen meinen Willen mitgenommen. Meine Mutter ist tot, mein Bruder ist verschwunden. Und gestern- Gestern da- Du hast einfach mit mir geflirtet.", rufe ich empört und beschämt zu gleich.

"Und deshalb darf ich dich nicht schön finden?", versteht er mein Problem anscheinend nicht.

"Doch! Also natürlich, nur..", stammel ich vor mich hin.

Er schließt die Augen und atmet tief durch.

"Das deine Mutter tot ist und so weiter, dass leugnet doch auch keiner. Aber darf ich dir deshalb nicht sagen, dass du schön bist? Was tut das zur Sache? Ich bin der letzte der vergisst, weshalb du hier bist."

Er hat recht, das will ich nicht bestreiten, aber trotzdem gibt er mir ein ungutes Gefühl mit seiner Aussage.
Sein letzter Satz könnte auch wieder eine versteckte Drohung gewesen sein. Natürlich vergisst er nicht, weshalb ich hier bin.
Nur weiß ich nicht, was er mit mir vor hat.

"Ja.", flüstere ich nur.

Er legt seinen Kopf leicht schief und schaut mit ins Gesicht, so, als wüsste er, dass mir noch was auf dem Herzen liegt.

"Hast du was über die Leute herausgefunden, die meine Mutter getötet haben?", überwinde ich mich.

"Jetzt nicht.", bricht er das Thema sofort ab und geht seufzend um mich herum. Während er auf die Terasse zu läuft, zieht er eine Zigarette aus der Zigarettenschachtel, die immer in seiner Anzughose steckt.

"Aber-"

"Kein aber!", unterbricht er mich harsch und dreht sich wütend zu mir um. Die Zigarette steckt bereits zwischen seinen Lippen.
Als ich nicht antworte, zündet er sich die Kippe an und geht nach draußen.

Habe ich wirklich vorhin noch gedacht, dass er sich in den letzten Tagen verändert hat?

"Du musst heute Abend deine Sachen packen. Wir fahren morgen um 4 Uhr zurück. Geh am besten früh schlafen, damit du fit bist.", ruft er mir von der Terasse zu.
Sein Blick liegt auf seinem Handy.

"Blödmann", flüstere ich und drehe mich um, um nach oben zu laufen.

AmaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt