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Amara

"Ich glaube, ich habe alles.", flüstere ich erschöpft, bevor ich mich umdrehe und direkt in den Lauf seiner Waffe blicke.
Er hat sie direkt auf meinen Oberkörper gerichtet. 

"Der Zettel.", ist das Einzige, was er durch seine Zähne presst.

„Ich..-"

Er unterbricht mich, in dem er die Waffe entsichert.

"Und wehe du heulst jetzt wieder. Ich habe keine Zeit für diesen Kindergarten", droht er mir. Tatsächlich haben sich vor Schreck Tränen in meinen Augen gesammelt.

"Los jetzt!", setzt er mich unter Druck.
Mit zitternden Händen öffne ich die Schublade meines Kleiderschrankes und krame den in blutgetränkten Zettel mit der Zeichnung heraus.
Schnell reißt er ihn mir aus der Hand, dann zieht er mich mit einer Hand zu sich heran, sodass mein Rücken gegen seinen trainierten Oberkörper knallt und er seine kalte Waffe unter mein Shirt führen kann. 

"Kein Wort, kein Geschrei. Gar nichts, verstanden?", flüstert er mir bedrohlich ins rechte Ohr und schiebt mich aus meinem Zimmer.

Zitternd atme ich aus, während wir die Treppen herunter gehen. Er drückt die Waffe so fest gegen meine Wirbelsäule, dass ich das Gefühl kriege, als hätte sich das kalte Metall bereits durch meine Haut gebohrt.
Miguel ist so dicht hinter mir, dass ich seinen warmen Atem an meinem Hinterkopf spüren und sein Aftershave riechen kann.

„Wo ist meine Mutter? Und wo ist mein Bruder?", frage ich ihn erneut, weil das Haus leer ist, aber das Auto meiner Mutter vor der Tür steht.
Ich kann mir eigentlich sicher sein, dass er mir diese Frage nicht beantwortet wird, trotzdem gebe ich nicht auf.

Miguel drückt mich weiter ins Auto, sodass ich keine Zeit mehr habe, darüber nachzudenken.
"Hörst du schlecht? Ich habe dir gesagt, dass ich es nicht weiß und dass es mir verdammt nochmal egal ist."
Mit einem lauten Knall schlägt er meine Tür zu und wirft anschließend meine Tasche auf die Rückbank, bevor er mit großen Schritten um den Wagen herum geht und sich hinters Steuer setzt.

Ich atme zitternd aus während er das Auto startet.

"Was soll das denn? Du hast den Zettel! Lass mich doch endlich in Ruhe!", flehe ich schon fast und will versuchen, dass er mich nicht mehr mitnimmt.
Ich bin so wütend , dass sich meine Sätze fast überschlagen.
Außerdem fällt mir das Atmen immer noch schwer.

Er hat vorhin wirklich fest zugedrückt.

"Jetzt halt endlich deine Klappe oder hat dir keiner Respekt beigebracht?!", wird nun auch er lauter.
"Du bist eine kleine verwöhnte Göre, die viel zu naiv für das echte Leben ist. Du hast überhaupt keine Ahnung, also quatsch mich nicht ständig an!", weist er mich zurecht.

Es ist gemein, was er zu mir sagt, aber das merkt er wahrscheinlich nicht mal.
Freiwillig nehme ich mir das schwarze Tuch und versuche es mir um die Augen zu binden. 

Ich will ihn einfach nicht mehr sehen.


17.03 Uhr

Wütend trete ich auf den hellen Kies vor Miguels Villa.
Gerade als er meine Tasche von der Rückbank des BMW's nehmen will, komme ich ihm zu vor und greife nach ihr. 

Genervt atmet er aus.

Soll er doch genervt sein.
Mir doch egal.

"Amara!", höre ich seine warnende Stimme einige Meter hinter mir. Wir stehen bereits im  Eingang des Anwesens.
Ich antworte nicht, drehe mich aber dennoch um.

"Schau mich an, wenn ich mit dir rede.", faucht er und nimmt den letzten Zug seiner Zigarette. 

Wann hatte er sich die bitte angezündet und vor allem: Wie schnell hat er geraucht?

Nun betritt auch er die Eingangshalle und geht an mir vorbei.
"Komm mit."

Obwohl ich nicht will, folge ich ihm.
Wir gehen die breite Treppe hoch bis fast zum Ende des Gangs, bis er auf der linken Seite eine Tür öffnet.

„Hier kannst du schlafen."

Ich schaue mich um. Der Flur war schon lang und riesig, doch das Zimmer hier ist noch edler eingerichtet.

"Der Keller ist tabu, ist das klar?!", gibt er mir zu verstehen, dass ich mich anscheinend nicht überall aufhalten darf.

"In den Schränken ist kein Platz mehr, da hängt meine Kleidung. Deine Sachen müssen in deiner Tasche bleiben.", teilt er mir unfreundlich mit. 

Dann verschwindet er aus dem Zimmer.

Ich lege mich kraftlos auf das Bett und gucke mich um. Es ist groß und steht mittig an der Wand. Rechts neben dem Bett befindet sich eine Tür, die leicht offen steht.

Vorsichtig stehe ich auf und öffne die Tür einen Spalt, dann fällt mir auf, dass es ein Badezimmer ist. In der Mitte auf den Marmorfliesen steht eine große Badewanne, rechts hinten in der Ecke ist die Dusche.
Neben mir an der Wand stehen Schränke und zwei Waschbecken.
Das dunkle Holz in Kombination mit dem weißen Keramik wirkt edel und teuer. 

Viel zu teuer.

Ich verlasse das Badezimmer und öffne die breite Balkontür.
Kurz fühle ich mich wie im Urlaub, weil das blaue Meer sich direkt vor meinen Augen auftut. Das Meeresrauschen beruhigt mich ein wenig und trotzdem darf ich nicht vergessen in was für einer Situation ich stecke.
Für einige Minuten verharre ich auf dem Balkon, dann entscheide ich mich duschen zu gehen.

Es dauert, bis sich das getrocknete Blut von meiner Schulter und meinem Arm abwaschen lässt. 
Meine Haare kann ich nur mit dem linken Arm waschen, doch ich gebe mir Mühe und zum Schluss klappt es tatsächlich richtig gut.

Das warme Wasser tut gut und lenkt mich zum ersten Mal nach 48 Stunden ab. 

Fast erschrecke ich mich, als ich aus der Dusche steige und mein Spiegelbild sehe.
Meine Augen sind tiefrot und angeschwollen, während seine Fingerabdrücke meinen Hals zieren. 
Vorsichtig fahre ich mit meinen Fingern über die blau-roten Flecken und begutachte sie genauer.

Er hat wirklich fest zugedrückt.

Ich trotte zu meiner Tasche und krame frische Sachen heraus. Eine Jogginghose und ein Shirt müssen ausreichen.
Gerade als ich mich fertig angezogen habe und meine Haare trocknen will, ertönt Miguels Stimme auf dem Flur.
Ich halte inne.

"Einen Scheiß werd' ich! Ihr Idioten sollt mir den Bastard hier hin bringen, verdammt nochmal! Wie genau ist mir völlig egal!"
Dann stürmt er ohne zu Klopfen ins Zimmer.

Stumm läuft er an mir vorbei zum Kleiderschrank und knöpft währenddessen sein  weißes Hemd auf.
Beschämt wende ich meinen Blick ab.

Im Augenwinkel sehe ich, wie er wütend und gehetzt nach einem frischen Hemd greift und es sich über die Schultern wirft.
Seine Haare sind zerzaust und liegen wild auf seinem Kopf rum, ganz anders, als vorgestern Mittag.

"Was starrst du so?", fragt er teilnahmslos als er den Schrank schließt.
Erst jetzt fällt mir auf, dass er seinen Gürtel bereits geöffnet hat. Unfähig irgendwas zu erwidern, schließe ich beschämt die Augen und lege mich mit dem Rücken zu ihm aufs Bett. 

Er schnauft, dann verschwindet er im Bad.

AmaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt