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Amara

"Hey Kleines!", ruft mich eine weibliche Stimme, als ich auf dem Weg ins Wohnzimmer bin.
Suchend drehe ich mich um.

"Komm mal her!", winkt mich die nette Haushälterin zu sich.
Unsicher folge ich ihrer Bitte und gehe zur ihr in die Küche.

Sie hält mir einen Teller mit Fleisch, Kartoffeln und etwas Gemüse hin.
In der Hand hält sie ein Glas Orangensaft.
"Hier, nimm das. Ich kann nicht zusehen, wie er dir nur eine lächerliche Brühe geben will. Sowas kriegen Hunde, nein, nichtmal seinen Hunden würde er sowas zu essen geben!", regt sie sich leise auf.

Unwillkürlich muss ich lächeln.

"Na los, meine Kleine. Setz dich dort hin und iss was!"
Sie zeigt auf den langen Tisch im großen Wohnzimmer.

"Danke.", hauche ich leise und setze mich dann an den Tisch. Das Essen schmeckt köstlich und sogar der Orangensaft ist frisch gepresst.

Nach dem Essen bringe ich den leeren Teller und das leere Glas zurück in die Küche.
"Hier, nimm die Flasche Wasser mit. Dann hast du was zu trinken!", hält sie mir eine große Glasflasche hin.
Sie ist wirklich sehr nett und ich kann nicht beschreiben, wie froh ich darüber bin.

"Haben Sie keine Angst, dass er das mitbekommt und Sie dann feuert?", frage ich sie neugierig.

Sie zuckt unbekümmert mit den Schultern.
„Selbst wenn - ich könnte schon längst in Rente gehen. Wenn er mich feuert, dann ist das eben so.", interessiert es sie anscheinend nicht.

Sie wendet sich von mir ab und putzt die Küchentheke weiter.

Ich hingegen entschließe mich in den Garten zu gehen und mir genauer umzuziehen.
Der Pool ist groß und das Wasser sieht erfrischend aus.
Da es immer noch sehr warm ist, obwohl es schon nach 18 Uhr ist, setze ich mich an den Rand des Pools und lasse die Füße ins Wasser hängen. 

Während ich hier sitze, schaue ich mich wieder im Garten um. Neben dem Pool stehen Liegestühle, weiter hinten ist noch ein kleiner Teich.
Eine hohe Hecke umrandet das riesige Grundstück.

Wie viel das hier wohl gekostet hat?

Ich lege meinen Kopf in den Nacken und schaue in den blauen, mit kleinen Wolken durchzogenen, Himmel.

Ein Flugzeug ist zu sehen und ich frage mich, wo es wohl hinfliegt.

Ich würde mal gerne wieder nach Hause.
Ich meine nicht Los Angeles, sondern meinen Geburtsort in Mexiko.
Ich bin in Sinaloa geboren, genauer gesagt nicht weit entfernt von der Stadt Culiacan. Mit 6 Jahren sind Mama und ich dann zu meinem Papa nach Los Angeles gezogen.
Mein Vater arbeitet nun schon seit einigen Jahren in Miami, aber Mama wollte, dass ich erst die Schule abschließe, bevor wir nach Miami ziehen.

Und jetzt?
Jetzt weiß ich nicht mal, ob ich meine Familie je wieder sehe.

Ich senke meinen Kopf und erschrecke, als ich die schwarzen Lackschuhe neben mir sehe.

Miguel.

Hastig versuche ich aufzustehen, da es ihm vermutlich nicht gefällt, dass ich hier am Pool sitze.

"Bleib sitzen."
Er drückt mich an meiner Schulter wieder auf den Boden. 
Dann schaut er über den Pool in die Ferne.

"Pedro hat morgen ein Treffen mit dem Boss vom Jalisco-Kartell. Wenn alles gut läuft, können wir dich da raus halten und mit ihnen verhandeln. Wenn nicht, dann musst du uns helfen.", informiert er mich emotionslos.

Ich muss helfen? Was soll das heißen?

"Wie helfen?", frage ich irritiert.
Seine Hände hat er tief in seiner Anzughose vergraben. Das weiße Hemd ist leicht geöffnet.

"Wenn sie nicht kooperieren wollen, werde ich dich ausliefern. Dann hab ich endlich Ruhe vor dir und vor denen."
Er schaut mich nicht an, sondern beobachtet die Vögel in der Hecke.

Mir bleibt die Luft weg.

"Weißt du.. ihr habt was gemeinsam. Also du und das Jalisco-Kartell.", beginnt er wieder und verschränkt seine Arme vor der Brust.
"Du störst mich bei meiner Arbeit und diese elenden Wichser auch. Außerdem gehst du mir zusätzlich derbe auf die Eier. Das tut das Kartell im Übrigen auch." zuckt er mit den Schultern und dreht sich dann um.

"Dann habe ich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.", murmelt er nur noch belustigt, bevor er durch die Terrassentür verschwindet.

Ist das hier gerade wirklich passiert? Er will mich ausliefern?

Ich stürme ihm hinterher.
"Warum solltest du das tun?!", rufe ich ihm panisch zu.

Er antwortet nicht, sondern geht einfach weiter.

"Du hättest mich doch dann einfach zu Hause lassen können. Da hätten sie mich so oder so geholt!", fahre ich fort und greife reflexartig nach seiner Schulter.

"Wo wäre denn da der Spaß?", entgegnet er spottend und streicht meine Hand von seiner Schulter.
Bitte was?

Stirnrunzelnd schaue ich zu ihm hoch, während er mir lange in die Augen schaut, bevor er wieder seine Stimm erhebt.
"Nächstes Mal trocknest du dir draußen die Füße ab. Du machst den Boden dreckig." beendet er das Gespräch und geht wieder in sein Büro.

Mir kommt nur ein Gedanke in den Sinn.
Ich muss hier weg.
Auf der Stelle.
Morgen ist es vielleicht schon zu spät - Morgen hat er mich vielleicht schon ausgeliefert.

Ich drehe mich ruckartig um und sprinte die Treppen hoch. Völlig überhetzt ziehe ich mir meine Schuhe über und werfe mir einen dicken Pullover von ihm über, der über dem hellen Sessel hängt. Dann fällt mein Blick direkt auf Nachttisch, auf dem sein Autoschlüssel liegt.

Während ich mein Glück kaum fassen kann, greife ich nach dem Schlüssel und laufe durch den Flur. Auf den Treppen bin ich extra leise, damit mich keiner hört. Vorsichtig und mit klopfendem Herzen öffne ich die breite Haustür und schlüpfe durch.

Den Weg werde ich sicherlich finden, Los Angeles ist wirklich keine kleine Stadt, sodass sie sicherlich ausgeschildert ist.

Zu meiner Verwunderung steht keiner draußen vor den Türen. Nur am Tor vor der Einfahrt erkenne ich zwei Gestalten, welche aber mit dem Rücken zu mir stehen.
Ich drücke auf den Schlüssel und schaue mich um, welcher Wagen aufblinkt. Es ist der schwarze Kombi, mit dem wir vorhin meine Sachen geholt haben.
Mit zitternden Beinen laufe ich über den Kies und setze mich leise in den Wagen. Immer wieder schaue ich in den Rückspiegel, um sicher zu gehen, dass Miguel nicht doch plötzlich an der Tür steht.

Dann drehe ich den Schlüssel um und fahre langsam über den Schotter. Hoffentlich fällt keinen auf, wer ich bin.

AmaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt