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Amara

Mein Herz pumpt noch immer schnell, auch wenn er schon seit 5 Minuten unter der Dusche steht. Mittlerweile sitze ich auf dem Balkon und schaue auf das stürmische Meer.

Es klopft an der Tür.
"Ja?", rufe ich vorsichtig, weil ich nicht weiß, ob es mir erlaubt ist, jemanden in dieses Zimmer zu lassen.

"Señora, das Abendessen ist fertig, sie können runter kommen."
Liebevoll lächelt mich die Dame an, die mir vorhin Mut zu gesprochen hat.

Gerade als ich mich erheben will, kommt mir Miguel zuvor.
"Wer sagt das?"
Er steht in der Badezimmertür - lediglich mit einem Handtuch um seine Hüften, während das Wasser ihm über seine trainierte Brust läuft.

"Pedro hat das angeordnet, Miguel.", erwidert die Dame selbstsicher. 
Sie scheint keine Angst vor ihm zu haben.

Lächelnd schaut sie zu mir herüber.

"Pedro ist aber nur ein Gast hier und hat hier nichts zu sagen. Sie bekommt Brühe und ein trockenes Brötchen. Ist das klar?", macht er deutlich, dass die Haushälterin nächstes Mal zuerst mit ihm spricht.
Sie presst kurz ihre Lippen auf einander, dann lässt sie uns wieder alleine. 

Ich schaue Miguel entsetzt an, doch er erwidert meinen Blick nicht.
Stattdessen geht er wieder zurück ins Bad, vermutlich um sich anzuziehen.

Hoffentlich.

Während ich alleine zurück bleibe, merke ich, wie mich seine Art verletzt.
Die Art, wie er mich behandelt und dass er mir kein richtiges Essen gibt, macht mich traurig. 

Ich habe ihn nicht gezwungen, mich hier einziehen zu lassen. Das war allein seine Entscheidung, doch trotzdem behandelt er mich so, als würde ich ihm zur Last fallen.

Ich schaue hoch, als er einige Minuten später angezogen aus dem Bad kommt. 
Wie immer tippt er auf seinem Handy herum und verlässt dann kurzerhand das Zimmer.

Ich seufze laut. 

Was macht Mama wohl gerade und wie geht es ihr?
Sie macht sich sicherlich fürchterliche Sorgen um mich. 

Ich will mein Handy aus meiner Jogginghose ziehen, doch muss feststellen, dass es weder in der einen, noch in der anderen Hosentasche ist.
Schnell eile ich zu meiner großen Taschen und durchwühle mein Zeug, aber nirgendwo ist mein Handy.

"Scheiße."
Gestresst fahre ich mir durch die Haare und versuche nachzudenken, wo und wann ich es als letztes hatte, allerdings fällt es mir nicht ein.
Nachdem ich tief Luft geholt habe, stürme ich aus dem Zimmer, um Miguel zu suchen.

Schnell renne ich über den dunklen, langen Teppich im breiten Flur und hüpfe die Treppen herunter.
Zwar höre ich aus Miguels Büro Stimmen, doch diese Tatsache hält mich nicht davon ab, trotzdem sein Büro zu betreten.

So schnell ich sein Büro betreten, so schnell bleibe ich abrupt stehen. Die Szene, die sich vor mir auftut, schnürt mir die Luft ab. 

Mitten im Raum kniet ein älterer Herr, der seine Hände verteidigend über seinen grauen Kopf hält.
Es sieht aus, als würde er sich ergeben.
Dann fällt mein Blick auf Miguel, welcher seine Waffe fest in der Hand hält und auf den Kopf den Mannes richtet.

Geschockt sehe ich zwischen beiden hin und her.

"Hast du nicht gelernt zu klopfen?!", schallt Miguels raue Stimme gefährlich durch den Raum.
Schnell senkt er seine Waffe und versteckt sie im Hosenbund hinter seinem Rücken, fast so, als wäre es ihm unangenehm, dass ich die beiden erwischt habe.

"Ich-"
Ich breche meinen Satz ab.
Wollte er diesen Mann gerade töten?

"Was ICH? ", erhebt Miguel seine Stimme.
Der Mann auf dem Boden hat sich mittlerweile auch zu mir umgedreht.
Seine Schläfe blutet stark und auch seine Lippe ist an mehreren Stellen aufgeplatzt.

Automatisch fällt mein Blick auf Miguels rechte Hand. Auch seine Fingerknöchel bluten.
Stumm folgt er meinen Blick, dann putzt er sich seine Hand schnell an der Hose ab.

Ich sage nichts, weil ich immer noch schockiert bin. Wenn ich nur 5 Sekunden später gekommen wäre -  hätte er diesen Mann dann vor meinen Augen erschossen?

"Was hast du vor?", finde ich endlich meine Stimme wieder.
Er kneift die Augen zusammen und sieht mich danach warnend an.

"Wolltest du diesen Mann töten?", hauche ich fassungslos.
Er antwortet nicht.

Dem Mann laufen Tränen über die Wangen, die schließlich auf dem teuren Teppich landen.

"Ich glaube, du gehst jetzt besser!", spricht Miguel mit zusammengebissenen Zähnen.

„Erst wenn du den Mann gehen lässt.", fordere ich ihn auf. 

Spöttisch lacht er mich für meine Aussage aus.
"Soll ich dir noch was sagen, was ich glaube?", hebt er seine Augenbrauen und sieht mich abwartend an. 

Ich antworte nicht, sondern warte lediglich stumm auf seine Antwort.

"Dass du nicht in der Position bist, mir irgendwelche Anweisungen zu geben.", wird er jetzt wieder lauter, sodass ich mich vor seiner dunklen Stimme erschrecke.

"Und du!", dreht er sich jetzt wieder zu dem verletzten Mann.
"Du wirst jetzt sofort deine dreckigen Augen von dem Mädchen nehmen, sonst bist du schneller tot, als du dir vorstellen kannst!", droht er nun auch ihm.

"Verschwinde jetzt, bevor ich es mir nochmal anders überlege.", lässt er den Mann tatsächlich gehen.
Überwältig steht der Mann auf.
Er kann sein Glück anscheinend nicht fassen.

Mit gesenktem Blick stolpert er aus dem Büro.

"Und jetzt zu dir."
Miguel hat sich eine Zigarette angemacht.

"Kommst du hier noch einmal so unaufgefordert rein, dann kannst du was erleben!"
Sein Blick durchbohrt mich und ich habe das Gefühl, dass er meine Gedanken lesen kann.

"Verschwinde!", wirft er mich aus seinem Büro.

"Mein Handy ist weg.", erkläre ich, warum ich überhaupt hier unten bin.

Er lacht laut auf.

"Und jetzt? Deshalb bist du hier?"
Spöttisch hat er die Augenbrauen hochgezogen und nimmt einen kräftigen Schluck von dem Whiskey aus seinem Glas.
Er setzt sich entspannt auf den Sessel hinter seinem Schreibtisch und scheint auf eine Erklärung meinerseits zu warten.

"Ich will es wieder."

Er brummt.
„Ich hab dein scheiß Handy nicht und jetzt hau ab, bevor ich dir die Kugel verpasse, die ich eigentlich an den Kerl von gerade verschwenden wollte.", knurrt er unfreundlich und deutet auf die Tür hinter mir.

Still, ohne irgendwas zu erwidern, gehe ich aus seinem Büro.

AmaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt